Raffaela Schöbitz: „Über die Kraft der Sprache“ Katharina Klein · Apr 2023 · Literatur

In der Edition „Großes kleines Kino“ kündigt sich die Eröffnung des Literaturhauses Vorarlberg in der Villa Franziska und Iwan Rosenthal in neun Mikrogeschichten an. Mit dem vierten Daumenkinoband macht die preisgekrönte Illustratorin und Autorin Raffaela Schöbitz nun den Auftakt zur Sprache.

Katharina Klein: Du arbeitest als Illustratorin und Schriftstellerin intermedial vielseitig mit sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Gibt es irgendwas, das Sprache nicht kann? Hat sie Grenzen? Oder wechselst du dann einfach das Medium?
Raffaela Schöbitz: Ich glaube, Sprache konstituiert so ziemlich alles. Ich beobachte das auch gerade bei Kleinkindern, dass sie immer eine Form des Ausdrucks finden, der auf Sprache hinweist. Um Bedürfnisse verbalisieren zu können, geht man alle möglichen Wege. Und an dem Punkt, wo man nicht mehr weiterkommt, da kann es hilfreich sein, das Medium zu wechseln und von dort weiterzugehen. Speziell beim Bilderbuch arbeitet man so genau in die Lücken hinein und erzählt mit der Illustration was anderes als der Text. Da liegt für mich auch das spannende Moment. Zu reproduzieren kann natürlich auch was, aber ich persönlich suche gern den Kontrapunkt.
Klein: Für Philipp Weiss‘ „Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen“ hast du mit deiner Graphic Novel „Die glückseligen Inseln“ auch einen Text in Bildsprache übersetzt. Inwiefern ist damit Illustration immer auch eine Form von Übersetzung, Übertragung oder Erweiterung?
Schöbitz: Ich glaube sie ist vieles in einem. Sie ist Ergänzung. Philipp hat mir zum Beispiel mehr oder weniger ein Regieheft geschrieben. Vom Theater kommend, hat er da ziemlich tolle Vorarbeit geleistet für das Medium. Aus einem Textblock ansonsten einen Graphic Novel zu machen, ist mit sehr viel Arbeit verbunden. Was man da alles zerlegen muss: was ist Atmosphäre, was ist Bild, was sind die Figuren, und wie kann man sie das sprechen lassen, was sonst Fließtext wäre. Das war aber auch ein extrem spezielles Projekt, das mich auch in ein anderes Spannungsverhältnis geworfen hat: Ich zeichne in einer japanischen Wohnung eine italienische Espressokanne, aber keinen Reiskocher. Das kann nicht funktionieren. Man nimmt seine eigene Welt immer mit. Was ich also auch gelernt habe dabei, ist wegzugehen von der eigenen Blase, divers zu sein und zu denken und so viel wie möglich miteinzubeziehen, damit sich möglichst viele Leute angesprochen und aufgehoben fühlen.

Geschichten ohne Erzähler:in

Klein: Du stellst mit deinem Daumenkino auch die Frage: Was passiert mit einer Geschichte, wenn ihre Erzähler:innen fehlen? Das ist sowohl Anlehnung an den Holocaust und die verschwindenden Augenzeug:innenberichte, aber auch generell an die Frage nach Überlieferung. Wem gehören welche Geschichten überhaupt? Oder wie würdest du deine Frage selbst beantworten?
Schöbitz : Ursprünglich war mein Ausgangspunkt für das Daumenkino das Fenstertheater von Ilse Aichinger. Das ist eine rührende aber gleichzeitig schreckliche Geschichte über eine Frau, die am Fenster steht und einen alten Mann in der Wohnung gegenüber beobachtet, der total schräge Dinge macht. Weil die Frau irgendwann ein mulmiges Gefühl beschleicht, ruft sie die Polizei und erst als sie dann in besagter Wohnung stehen, sehen sie im gegenüberliegenden Fenster ein Baby, das ihm sozusagen als Spiegel fungiert hat. Also einerseits geht es in der Geschichte natürlich um Denunziation. Aber auch darum, was mit einer Geschichte passiert, in der die Sprache fehlt, in der das Bild ohne Kontext bleibt. Ilse Aichinger hat auch ein sehr schönes Vorwort geschrieben, wie sich das Erzählen durch den zweiten Weltkrieg verändert hat, durch die Geschehnisse, die in die Erzähler:innen eingeschrieben sind und – um jetzt da zurückzukommen – für mich waren diese Überlegungen spannend, was passiert, wenn diese Person dann irgendwann nicht mehr da ist und das Erzählte überbleibt. Wer hat dann die Macht über das Material? Also eine Antwort hab ich nicht.
Klein : Aber dafür eine schöne Umsetzung mit der Frage gefunden: Dein Daumenkino funktioniert sowohl als Stummfilm als auch als Buch.
Schöbitz : Ja, je nachdem von wo aus man zu blättern beginnt.

Von Anfängen

Klein: Der Anfang ist also entscheidend. Dein Text bezieht sich auch auf die Odyssee und damit auf die Anfänge der Epik, und der Stummfilm markiert den Anfang des Kinos.
Schöbitz: Die Anfänge des Erzählens beginnen eigentlich ja auch mit der Lyra, mit der mündlichen – der gesungenen – Überlieferung. Sprache ist für mich deshalb auch eng mit der Musik verknüpft. Es geht also nicht nur um die Frage, was Sprache kann, sondern auch woher sie kommt. Und wie sie weitergegebenen wird, und damit auch immer um Fragen nach kulturellem Gemeingut.
Klein: Ursula K. Le Guin spricht in ihrem Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“ auch vom Erzählen als Sammeln und setzt damit dem klassischen, dominanten Narrativ in Form eines Pfeil, der ein Ziel treffen muss, ein Behältnis, eine Tragetasche entgegen. Der rote Faden, der aus dem Mund deiner Protagonistin kommt und sich mit den Wellen verwebt passt da gut dazu.
Schöbitz: Ja, oft ist einem ja gar nicht bewusst, was alles für Dinge in die Arbeit hineinfließen, die unterbewusst für einen feststehen, das ganze Gepäck, das man mitträgt. Darunter die eigene Biographie, oder, vielleicht auch, Dinge, die man eigentlich gern erzählen möchte. Das Material zur Villa hat für mich natürlich auch mitgespielt. Was für Probleme das Ehepaar Rosenthal damals aufgrund ihrer jüdischen Herkunft hatte, das Haus zu kaufen und wie das vom Ort aufgenommen worden ist, aber auch wie sie das in Bildern in dieses Haus wiederum eingebracht haben, in Form von Wandmalereien und Fenstergestaltungen, das war auch ganz viel Inspiration für die Illustrationen.
Klein: Du arbeitest bevorzugt mit kleinen Formaten, das Daumenkino speziell ist ja in jedem Bereich Mikro. Wie war das für dich?
Schöbitz: Also die Länge war eine Herausforderung, ich wollte ja dieses Fenstertheater erzählen und habe dann aber gemerkt: Das geht einfach nicht. Wenn sich nämlich in der Länge eine sinnvolle Bewegung ausgehen soll, und die Bewegung zu nutzen heißt das Medium Daumenkino zu nutzen, dann muss ich kleiner werden. Aber das kleine Format mag ich sowieso gern. Wenn man mir ein großes Blatt gibt, habe ich eher einen Stress, wie ich das alles vollkriegen soll. Ich kann mich gut auf eine kleine Ecke konzentrieren. (lacht)
Klein: Aber man geht ja auch in die Tiefe, da gibts ja auch wieder eine Weite, die ist dann halt in der Dichte!
Schöbitz: ... und du hast ja nicht nur die Geschichte oder das Bild, sondern auch die Art, wie sie erzählen. Sowohl dem Text, als auch dem Bild Raum zu geben oder eben eines völlig auszuschließen – aber genau das ist bei der Graphic Novel das spannende Element: die Auswahl, die man dabei trifft, die Entscheidung, wie man erzählt.

Wie die Auslassung spricht

Klein: Auf dem Nadelkissen deiner Protagonistin stecken verschiedene Nadeln. Stehen die auch für die Mittel, die du wählst? Gibt da der Inhalt die Form vor? Durch ein Nadelöhr geht ein bestimmter Faden leichter als ein anderer, oder ist das zu viel hineininterpretiert?
Schöbitz: Nein, das führt genau wieder zurück zu der Frage: was passiert, wenn der/die Erzähler:in fehlt. Entscheidend ist für mich aber nicht nur, welcher Medien man sich bedient, sondern auch welche Situationen man damit erschafft. Und gerade da sind auch bei meiner Arbeit mit Bilderbüchern Comics ein großes Vorbild. Comicstrips müssen ja auch in wenigen Bildern, manchmal auch nur in einem Bild, was ganz Klares und Präzises schaffen und dadurch, welche Situationen man wählt, lässt sich auch mit der reinen Übersetzung von Text in Bild brechen. Jon Klassen zum Beispiel zeigt nie den Streit an sich, sondern immer das Danach oder das Davor. Aber den Streit selbst, den lässt er aus, und das find ich die ultimative Arbeitsweise. Dadurch sind in seinen Arbeiten Bild und Text immer so getrennt, aber auch so verschränkt, dass dadurch ein irrer Humor entsteht.
Klein: Aber die Auslassung ist in deinem Daumenkino ja ebenso präsent. Sowohl Bild und Text existieren, je nach Lesart, getrennt voneinander. Das Ausgelassene, das ja trotzdem dann da ist, bezieht sie wieder aufeinander.
Schöbitz: Ja, durch Synthese aus Bild und Text passiert nochmal was anderes, aber auch wenn beides getrennt voneinander funktioniert, also: „muss“ ist so ein Wort, aber ein guter Anspruch ist das allemal. Dass ein Bilderbuch auch ohne Worte aussagekräftig ist, sagt ja auch, ob das ein gutes Ding ist oder nicht.

Raffaela Schöbitz: „Über die Kraft der Sprache“
Buchpräsentation des vierten Daumenkinos in der Edition „Großes kleines Kino“ des Literaturhauses Vorarlberg
11.04., 19 Uhr
Stadtbibliothek, Dornbirn
www.stadtbibliothek.dornbirn.at

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