Quarta erobert Schwarzenberg im Sturm
Christoph Eberle führte sein großes Jugendorchester sicher durch alle Klippen.
Fritz Jurmann · Sep 2025 · Musik

Nach einer Serie international besetzter Konzerte der Schubertiade aus Lied, Kammermusik und Klaviermusik mit ebensolchem Publikum in der Woche zuvor war der Angelika-Kaufmann-Saal am Mittwoch erneut Schauplatz eines diesmal ganz anders gearteten Konzertereignisses lokalen Zuschnitts mit einem jungen Symphonieorchester. Der Hittisauer Dirigent Christoph Eberle hat goldrichtig erneut den Start der aktuellen fünfteiligen Konzertreihe mit seiner Quarta 4 Länder Jugendphilharmonie in großer Besetzung in seiner engeren Heimat angesiedelt und mit diesem Konzertereignis die Bevölkerung des Bregenzerwaldes im Sturm erobert.

Zwischen 14 und 25 Jahren

Es war ein Festtag, zu dem viele Frauen und Mädchen der Region ihre Trachten aus dem Schrank holten, die Männer den guten Anzug. Man wollte damit den bereits gut vorgebildeten Jugendlichen und jungen Erwachsenen gebührenden Respekt für ihre Leistung zollen, die sie nach einwöchiger Probenarbeit unter Anleitung eigener Coaches (Alexandra Rappitsch für die hohen, Rahel Rupprechter für die tiefen Streicher) mit einem fordernden und vielseitigen Musikprogramm in großer Besetzung erbrachten. Aber auch die rund 70 jungen Musiker:innen zwischen 14 und 25 Jahren aus der Region hatten sich bemerkenswert in Schale geworfen und boten im langen Schwarzen oder Anzügen mit Mascherl ein attraktives Bild. Sie waren zu einem auch logistisch bemerkenswerten Kraftakt aufgeboten, um den Ansprüchen gerecht zu werden, die Eberle mit Bedacht und Erfahrung den Seinen diesmal auferlegt hatte. 
Es ist bereits die neunte Auflage von Quarta in dieser großen Besetzung, bei der es um Darbietungen auf einem höchstmöglich erreichbaren musikalischen Niveau je nach Ausbildungsstand geht, vor allem aber um das Erreichen von Routine im Orchesterspiel über große symphonische Literatur. Verschieden gewichtete Romantik aus drei Ländern mit Werken von Verdi, Saint-Saëns und Tschaikowsky an einem Abend unter einen Hut zu bringen, fordert diesmal von den Youngsters neben enormer Vielseitigkeit und Flexibilität zudem auch entsprechendes Durchhaltevermögen, Konzentration und eine gute Portion Musikalität im Zusammenspiel. Im ausgebuchten Saal ist die Stimmung von Anfang an von gespannter Erwartung bestimmt.

Farbenreiche Klangkultur

Und: Es funktioniert. Nach kleinen Anpassungen an die veränderte Akustik stellt sich sehr bald jene fein abgemischte, farbenreiche Klangkultur ein, wie sie diese Formation stets auszeichnet und man sie von früheren Konzerten in dieser Besetzung kennt. Dabei ist es erstaunlich, dass Eberle bei seinen Einstudierungen auch das Problem der Fluktuation mit oft wechselnden Musiker:innen offenbar locker wegsteckt. Mit einer kleinen Geste da, einem aufmunternden Lächeln dort werden noch vorhandene kleine Unebenheiten überspielt – es war nichts! 
Diese Sicherheit im Zusammenspiel von Dirigent und Orchester ergibt sich auch zu einem guten Teil daraus, dass Eberle wie immer in seinem langen Musikerleben alles auswendig dirigiert, dabei in Blickkontakt mit den Musikern steht und auch blitzschnell reagieren kann. Und man spürt auch sofort: Der Spielleiter ist nicht der große Dominator, er gibt Sicherheit und stellt sich quasi auf Augenhöhe in die Reihen seiner Mitspieler. Die Freude, der Spaß am gemeinsamen Spiel ist vordergründig, nicht unbarmherziger Leistungsdruck.

Mit ordentlicher Lautstärke

Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Nichts Anderes enthält die bekannte Ouvertüre zu Giuseppe Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“, mit der das Konzert schwergewichtig eröffnet wird. Und mit ordentlicher Lautstärke in diesem Saal, für die sich Eberle einleitend entschuldigt: Verdi hat man vor allem für die übrigen Spielorte im Programm. Und wirklich: Das tiefe Blech hat da seinen großen Auftritt im durchgängigen Schicksalsmotiv, die gut aufgestellten Streicher schluchzen dazu eine wunderbare Melodie – es ist der dramatische Verdi, wie er leibt und lebt und von den jungen Leuten leidenschaftlich in Musik gesetzt wird.
Dann kommt mit der erst 23-jährigen, vielfach international ausgezeichneten spanischen Cellistin Mar Gimferrer die Solistin des Abends ins Spiel – ein Ausbund an Musikalität, Risikofreudigkeit und erstaunlicher Reife. Als vollwertig ausgebildete Musikerin bewältigt sie ohne merkliche Nervosität, überlegen und auswendig, mit enormer Sicherheit im Technischen und Feingefühl im Gestalterischen das anspruchsvolle bekannte erste Cellokonzert Nr. 1 in a-Moll des Franzosen Camille Saint-Saëns. Die drei Sätze gehen attacca ineinander über, es bleibt in dem halbstündigen Werk keine Sekunde zum Durchschnaufen und Luftholen bei Solistin und Orchester. Selbstbewusst tritt Mar Gimferrer mit einer Gegenmelodie gegen das Orchester an, Tempo und Temperament halten sich die Waage, in den wenigen lyrischen Momenten zeigt die Solistin wunderbare sangliche Qualitäten auf ihrem Instrument. Das setzt sich nach dem Jubel in der Zugabe fort mit dem „Gesang der Vögel“, einem Volks- und Weihnachtslied aus ihrer katalanischen Heimat, das sie zusammen mit der stark besetzten Cellogruppe des Orchesters spielt.

Tschaikowskys Fünfte als Offenbarung

Der zweite Teil des Abends ist mit Tschaikowskys Symphonie Nr. 5 in e-Moll einem absoluten Konzertsaal-Knüller gewidmet und straft in dieser besonderen Situation all jene Lügen, die vielleicht im Vorfeld noch daran gezweifelt hatten, ob ein so bekanntes und populäres Werk wohl das Rechte für ein Jugendorchester sein würde. Diese Fünfte als monumentales 50-minütiges Klanggemälde, als diffiziles Porträt eines Orchesters wird hier im Gegenteil zur Offenbarung dessen, was dieses Orchester zu leisten imstande ist, wenn es diese einzigartige Mischung aus russischer Schwermut und Lebensfreude, aus eingängigen lyrischen Themen und fetzigen Blech-Einwürfen wirklich so verinnerlicht hat, wie Christoph Eberle es den Musiker:innen wohl zu vermitteln imstande war: Als Kompetenzzentrum inmitten aller musikalischen Stürme. 
Großartig auch, wie überlegen die junge Franziska Bär das heikle Hornsolo im 2. Satz bewältigt und sich dafür am Schluss den Jubel des Publikums abholen kann. Aber auch ihre Kolleg:innen rundum in den Holzbläsern und im Blech, die bombensichere Paukistin und die 42-köpfige, unglaublich kompakt und klangschön aufspielende Streichergruppe zeigen sich hoch konzentriert, spielfreudig und in dosierter Emotionalität dem Werk durchaus gewachsen. Was will man mehr, als es Christoph Eberle tut: Im Beifallsorkan, der auch für ihn zu einer persönlichen Sternstunde wird, einfach den Walzer aus der Symphonie in Kurzfassung zu wiederholen. Für Gesprächsstoff beim Publikum ist anschließend gesorgt.               
 

Weitere Konzerte der Quarta 4 Länder Jugendphilharmonie:
Do, 4. September, 19.30 Uhr, St. Gallen Tonhalle
Fr, 5. September, 19.30 Uhr, Wangen Waldorfschule
Sa, 6. September, 19.30 Uhr, Feldkirch Montforthaus
So, 7. September, 18.00 Uhr, Bregenz Festspielhaus      

www.quarta4.org 

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