Qualität braucht Kontinuität
„Review – Sequenzen bildnerischer Positionen“ – Ausstellung von Rudl Lässer im Atelier Galerie L in Dornbirn
Peter Niedermair · Apr 2023 · Ausstellung

Wir kennen Rudl Lässer als einen Wanderer durch die Landschaften, die südliche Sonne, durch St. Moritz und die Gegend der Silser Seen. Dort oben am Malojapass, vorbei an den Orten, an denen Segantini, der aus der mailändischen Großstadt, die in der aufgehenden Blüte der Industrialisierung stand, heraufkam in die weiteren Horizonte der Silser Seen, nach Maloja, die Serpentinen hinunter ins Bergell, nach Stampa, wo die Giacomettis ursprünglich her sind.

Diese Bergwelt, wie die gesamten Alpen wurden ursprünglich von den englischen Romantikern entdeckt, darunter die Dichter Percy Bysshe Shelley, William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge, Lord Byron. Für William Turner und John Constable war die Landschaft nicht nur der Inbegriff des Naturschönen, sondern darüber hinaus auch die Vision des Vollkommenen und Einzigartigen. Durch die Unbewohnbarkeit der Städte, die stark zunehmende Verschmutzung in den englischen Großstädten, zogen die englischen Romantiker zunächst hinaus in den Lake District, später an den Genfer See und zogen hinauf in diese faszinierende Bergwelt, wo der europäische Adel zwischen Leningrad und London winters und sommers urlaubte. Es gab Casinos in Maloja und St. Moritz, die ersten Olympischen Winterspiele fanden 1924 dort statt. Über diese Panoramen haben wir am 15. November 2019 anlässlich Rudl Lässers letzter Ausstellung in diesen Werkräumen berichtet.

Die Panoramen des Rudl Lässer

In der neuen Ausstellung in den Räumen der Galerie sehen wir etwas über 60 Bilder - thematisch, technisch, regional-geographisch leicht strukturiert. Die Herausforderung sind die großformatigen, weit ausholenden Aquarelle, die sich wieder verdichten müssen. Das ist die Königsdisziplin der Malerei. Des Künstlers Bild-Ziel ist jedoch weiterhin die Auseinandersetzung mit der Landschaft. Dort sucht er das Gespräch und den künstlerischen Dialog. Schwerpunkt sind die Berge, deren Philosophie er transzendiert. Daneben finden wir ein paar urbane und dörflich-lokale Szenen, meist Orte in Vorarlberg, beliebt der mittlere Bregenzerwald und seine Heimatstadt Dornbirn.

Die Kunstwerke werden zu platonischen Zeitgenossen

Sie spiegeln nicht die Zeit, allerhöchstens indirekt, und doch nehmen sie darauf Bezug. Rudl Lässers letzten Jahre seit 2020 waren vom Großformat und vom Aquarellieren geprägt. Und in der persönlichen Begegnung mit ihm begegnet man seiner vielschichtigen Künstlerpersönlichkeit. Er wählt seine Orte des Malens, die Achauen, am Alten Rhein, Orte im Land, vornehmlich in der Natur.  In den letzten Jahren war er wenig in der sonst  beliebten Toskana. Im näheren Umfeld ergibt sich eine diverse, unmittelbare Fülle, die der Künstler aufsucht. In der Pleinair-Malerei ändern sich die Verhältnisse ständig. Es wechseln das Licht, die Kälte, die Hitze, Personen, die ablenken, die Fülle an Geräuschen, die summenden Insekten … alle diese Umweltphänomene fließen unbewusst ein, füttern seine Sensibilität, die immer mehr zutage getreten ist und zusehends auch zu einer qualitativen Perspektivenänderung geführt habe.
Der Künstler lebt in einem strukturierten Tagesablauf, er möchte am Abend sagen können, heute habe er etwas geschafft. Jetzt, mit über 70, manchmal altersbedingt, nach vorne gebeugt, konzentriert er sich auf das Schauen, das Übung braucht, und einen regelmäßigen Tagesablauf. Er braucht das Haptische, das sei integraler Teil seiner Lebenseinstellung. Rudl Lässer verfolgt aktiv das politische Zeitgeschehen, die aktuelle Lage, spürt den Impulsquellen nach, im Internet, die er dann mit der Aufbereitung in den Printmedien vergleicht, er versucht Schlüsse zu ziehen, beide und auch andere Seiten zu hören. Aus dem kritischen Sensorium heraus, dass jeder Krieg immer auch über eine einseitige Darstellung verfügt. Man möchte sich wegbeamen, kommentiert er diese Ereignisse, weil man mit der Frage konfrontiert sei, was man als Einzelner machen könne.

Kunstorte als soziale Ereignisse

Unsere Wahrnehmungstentakeln sind auf Konfrontation orientiert. Was am Russland-Ukraine-Krieg deutlich sichtbar und spürbar werde. Für ihn als Künstler, wie für andere auch, ist die Frage: Was macht der Künstler? In diesem Wissen um die Umstände versuche er bewusst und aktiv zu leben. Jeden Tag, spüre er seiner filigranen Intuition nach. Er realisiere, wie schnell alles zerstörbar sei, in einer Zeit, in der alle auf sich schauen und ihren Individualismus hochhalten. Der Stellenwert der Kultur, beobachtet der Künstler, sei in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten.
In der Coronazeit sind kleine Bilder entstanden, die Ränder laufen irgendwie aus, die Phantasie ist stärker angeregt, es entstehen eruptiv-explosive Darstellungen. Ihm gehe es immer darum, aggressive Töne, Kanten, Formen in einer ausgewogenen Komposition zu schaffen, damit das Bild nicht am Rande abfällt. In einer nicht unbedingt unmittelbar wahrnehmbaren Ironie und in einer Fülle von ironischen Seitenblicken versucht er, der Politik gegenüber einen Gegenpol zu setzen, auch wenn das beim ersten Eindruck als seltsames Bild erscheine, er strebe eine Harmonie der Farben an, in denen, ganz ausgeglichen, das große Bild auftauche.
In seiner persönlichen Entwicklung der vergangenen Jahre seit November 2019, nennt er die starke gesellschaftliche Beeinflussung durch die Corona-Pandemie. Es seien – was das Format anlangt – viele kleine Bilder entstanden, 20 x 20 und 15 x 15 cm, Abbild einer stark komprimierten Schaffensweise, damit hat er angeknüpft, an was er schon vorher begonnen hatte.  Hier in der Ausstellung hängen auch einige 120 x 80 cm großw Bilder. Die Zeit und die Umstände engten ein, relativierten, veränderten, deshalb wollte er auf relativ großformatigen Leinwänden etwas machen. Die mediale Beeinflussung war stark und stand im Zentrum: Er wollte nichts Gegenständliches mehr machen. Durch die mediale Überflutung hatte er keine Assoziationen zu Bildern gehabt, er fühlte sich medial ausgepumpt, und wechselte zu mehr oder weniger abstrakten Bildern, explosiv in Farbe und Form.

Folge für die künstlerischen Verfahren

„Schwerpunkt des Schaffens von Rudl Lässer ist die Topografie der Landschaft in Öl- und Mischtechniken und vor allem in großformatigen Aquarellen, wobei er diese mit interessanten Farbkombinationen und besonderer Leuchtkraft gestaltet. Wenn es die Witterung zulässt, bevorzugt er Pleinair-Malerei. Er sieht ein Motiv, zeichnet nicht vor und beginnt an einer bildrelevanten Stelle zu malen. Für seine oft großformatigen Aquarelle arbeitet Rudl Lässer auf trockenem Papier und jedes Motiv bedingt meist eine Lasurtechnik. Er bedient sich dabei fast ausschließlich der Bogen/Rollenware mit einer Grammatur von mind. 300 g. Am Beginn einer neuen Arbeit fixiert Rudl Lässer den Malgrund mittels Klammern auf einer leichtgewichtigen Unterlage.“ (Kunstsalon 2/2021, S. 9).
Der Schwerpunkt verlagert sich zum Aquarell, ohne Vorzeichnungen. Das verlange absolute Konzentration. Was ist die besondere Herausforderung? Die Größe, das Papier sauge sehr schnell, speziell italienische Papiere wie von Fabriano, dem Weltmarktführer, seien herausfordernd zum Malen. Er beginnt an der bildrelevanten Stelle und lässt das Bild in die vier Richtungen zum Blattrand laufen. Was geschieht dabei? Die Perspektive habe er vor sich, allerdings spiele der Zufall eine nicht unwichtige Nebenrolle; mit viel Übung habe man den gesteuerten Zufall im Griff. Vor seinem inneren Auge laufe eine gewisse Richtung ab, in die er das Bild lenken möchte. Das Auge suche im Bild die Komplementärfarbe. Genauso die Form, das Auge suche nach einer Gegenbewegung. Vor zwei Jahren wurden in einem Aufsatz in der Zeitschrift der Österreichischen Künstlervereinigung seine Techniken diskutiert, wie und warum er gegenläufige Formen verwendet (Kunstsalon 2/2021, Zeitschrift der Öst. Kunstvereinigung).

Simulation mehrdimensional-imaginärer Lichteinfälle

Bei der Beschreibung der technischen Ideen, erklärt er, brauche es nicht nur eine Gegenfarbe im Bild, sondern auch eine Gegenbewegung. Seine Hypothese dazu: Das Auge suche nicht nur eine Komplementärfarbe, sondern auch eine Gegenbewegung. Das heißt, er fährt mit Farbflächen entgegengesetzt verschoben in eine Landschaft hinein. Dadurch erscheint es, als gäbe es eine Lichtstrahlung. „Für seine meist großformatigen Landschaftsdarstellungen werden Farbflächen mit großen Pinseln, welche ohne zu tropfen viel Wasser aufnehmen können, angelegt. Nach dem Trocknungsprozess werden etliche weitere Lasuren gesetzt, wodurch Motiv konform Schritt für Schritt die Landschaft herausgearbeitet wird. Meist werden erst gegen Ende des Arbeitsprozesses im Bereich des Himmels Farbflächen aufgetragen und ganz bewusst in brachial-gegenläufigen Verlaufsformen die meist horizontal vorherrschende Bilddominanz gebrochen. Mit diesen bewusst gesetzten Akzenten wird die Spannung im Bild verstärkt sowie Struktur und Bewegung ins Bild gebracht.“ (Kunstsalon 2 / 2021, Seite 9).

 

Rudl Lässer: Review – Sequenzen bildnerischer Positionen
15. April bis 7. Mai
Mi/Fr 17-19, So/Ftg 10-12 u 14-17 Uhr sowie nach Vereinbarung
Atelier Galerie L, Schützenstraße 23, Dornbirn
www.laesser.cc

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