Probegalopp für einen jungen Dirigenten
Nach der Sonntagsmatinee ist Darius Grimmel ein Anwärter auf den Chefposten beim Orchesterverein Götzis
Fritz Jurmann ·
Jun 2025 · Musik
Die Marktgemeinde Götzis hat am Wochenende gleich in mehrfacher Hinsicht aufgezeigt, ist zum Nabel Vorarlbergs geworden. Von internationaler Bedeutung wie gewohnt die Leichtathletik, wo die Besten der Besten beim Meeting im Mösle-Stadion um Meter und Sekunden kämpften. Nicht weniger spannend auf der Kulturbühne AmBach eine anspruchsvolle Konzertmatinee des Orchestervereins Götzis, die als eine Art Probegalopp zum ersten Mal zur Gänze dem jungen Dirigenten Darius Grimmel (29) anvertraut wurde.
Im Musikmanagement muss man heute ja auf vieles gefasst sein. Etwa auch, dass einem Orchester der langjährige Dirigent abhandenkommt, wie es dem Orchesterverein Götzis zuletzt passiert ist. Da wurde Benjamin Lack, der zehn Jahre lang regelmäßig höchst erfolgreich diese Matineen geleitet hat, an die Musikuni Graz berufen und konnte damit seiner Verpflichtung in Götzis nicht mehr nachkommen. Das brachte die Verantwortlichen dort nicht in Verlegenheit, denn man hatte seit Jahren einen jungen Musiker am Kontrabass für solche Fälle quasi in der Hinterhand. Es ist der Lindauer Darius Grimmel, der eine Dirigentenausbildung besitzt und bereits im Vorjahr eine Hälfte des Programms alternierend mit Lack geleitet hat. Heuer nun wurde ihm erstmals die Verantwortung über das gesamte Programm übertragen.
Längerfristige Zusammenarbeit angestrebt
Damit ist freilich noch nicht entschieden, dass er auch der Nachfolger von Lack werden wird, auch wenn eine längerfristige fixe Zusammenarbeit mit einem bestimmten Dirigenten durchaus angestrebt wird, wie das Konzertmeister Markus Ellensohn formuliert. Er ist als Leiter des Orchesters innerhalb des Vereins neben Obmann Thomas Dünser die künstlerische Zentralfigur in Programmwahl und Einstudierung.
Entsprechend erwartungsvoll zeigt sich auch das treue Stammpublikum bei diesem Anlass. Man kennt Darius Grimmel, denn der vielseitige Musiker hat auch schon die Leitung der Kinderkonzerte übernommen und für das Orchester komponiert. Er wurde 1996 in Lindau geboren, schloss 2019 am Landeskonservatorium Feldkirch das IGP-Bachelorstudium im Hauptfach Kontrabass mit Schwerpunkt Dirigieren bei Benjamin Lack ab und beendete seine Ausbildung mit dem Künstlerischen Diplomstudium. Neben seiner Tätigkeit als Musikschullehrer in Rankweil komponiert er regelmäßig neue Werke u. a. auch für die „Pforte“ und entwickelt weitere interessante Projekte.
Eine Stunde Programm genügt
Sein locker als „Musical Morning“ bezeichnetes Programm dauert ohne Pause genau eine Stunde, nicht mehr und nicht weniger, und das genügt auch. Es umfasst drei weniger bekannte Werke britischer Komponisten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die auch meist etwas abseits des Mainstreams stehen. Raritätenpflege also, aber von einer großen inneren Geschlossenheit, mit der sich Grimmel intensiv auseinandergesetzt hat und damit gleich seine Visitenkarte ablegt.
Für die Aufführung steht ihm ein gut disponiertes Streichorchester mit rund 30 längst bewährten und auch jungen Kräften zur Verfügung, das sich nach kurzer Eingewöhnung an die veränderte Akustik im fast vollen Saal rasch zu großer klanglicher Einheit, sauberer Intonation und klarer Artikulation findet. Das ergibt mit Edward Elgars „Elegy“ eine Einführung in diese oft etwas herbe britische Tonsprache an der Schwelle von der Spätromantik zur Moderne, die manchmal leicht geschärft, aber immer gut konsumierbar bleibt. Impressionistisch anmutende Farben finden sich besonders in der folkbetonten „Downland-Suite“ des Schotten John Nicholson Ireland, die den Musiker:innen in den vier programmatischen Sätzen einiges an Einsatz und Präzision abfordert und ein überzeugendes Finale bildet.
Talentierte Solistin an der Oboe
Zur Überraschung dieses Vormittags aber wird die Solistin Alesia Varapayeva mit ihrer Oboe. Obwohl die bildhübsche Künstlerin aus Weißrussland seit 14 Jahren in Vorarlberg lebt, hat man diese außergewöhnlich talentierte Musikerin bisher nur in den Reihen des Symphonieorchesters Vorarlberg und bei Concerto Stella Matutina erlebt, kaum aber solistisch. Da tut sich nun im Oboenkonzert von Ralph Vaughan-Williams mit ihrem tonlich wunderbar weich und dabei locker virtuos geblasenen Instrument eine Leuchtkraft und Schönheit auf, als wäre eben die Morgensonne über Götzis aufgegangen. Und irgendwo blitzt dabei auch so etwas auf wie ein Melodiefetzen des britischen Volksliedes vom „Danny Boy“. Mit ihrer Bühnenpräsenz stellt sie gemeinsam mit dem Dirigenten auch in den Dialogstellen mit dem Orchester die rechte Balance her, wird unangefochten zum strahlenden Mittelpunkt dieses Vormittags. Als Sahnehäubchen trifft sie in ihrer Zugabe die Zuhörer:innen mitten ins Herz mit einer Melodie aus dem Film „The Mission“, wie sie nur einem Meister wie Ennio Morricone einfallen konnte – zum Weinen schön! Das Publikum ist außer sich.
Darius Grimmel hat als Dirigent seit seinem letzten Auftritt handwerklich viel dazugelernt. Seine Tempi sind angemessen, hin und wieder wünscht man sich freilich einen etwas härteren Zugriff, eine linke Hand, die nicht mitdirigiert, sondern Höhepunkte schafft, Einsätze gibt und Konturen formt. Und was ihm wirklich noch fehlt, sind Persönlichkeit und die Routine im Umgang mit den Musiker:innen – und mit seinem Publikum. Dessen Applaus bereitet ihm sichtlich Unbehagen statt Freude. Die Solistin des Abends macht ihm vor, wie man sich elegant vor den Zuhörer:innen verbeugt – dagegen wirkt er unbeholfen. Ob Grimmel mit diesem engagierten Probegalopp den Sprung auf den Chefsessel des Orchesters geschafft hat, bleibt weiter offen. Wir sind gespannt.