Premiere von „Kiss me Kate“ in Vaduz Michael Löbl · Mär 2023 · Musik

Wer einen wirklich unterhaltsamen, dabei absolut hochklassigen Musiktheaterabend erleben möchte, sollte bis inklusive 2. April einen Ausflug nach Liechtenstein planen, um sich das Musical „Kiss me Kate“ anzusehen. Diese Produktion der Operettenbühne Vaduz ist rundum gelungen, überzeugt musikalisch ebenso wie szenisch und bietet Old-School-Entertainment auf höchstem Niveau. Das Premierenpublikum belohnte diese Leistung mit Standing Ovations.

Seit 1940 (!) wird in Vaduz Operette gespielt. Unter den zahlreichen Fledermäusen, Csardásfürstinnen und fidelen Bauern fällt 2017 ein Titel aus dem Rahmen: „My Fair Lady“ war das erste Musical nach über sieben Jahrzehnten Operettentradition. Impulsgeber dafür ist der aus Kalifornien stammende Dirigent William Maxfield, seit 2008 für die musikalische Leitung der Operettenbühne verantwortlich. Der Erfolg gab ihm recht. Nun steht mit „Kiss me Kate“ der zweite Musicalklassiker in Vaduz auf dem Programm. Davon war am Samstagabend überhaupt nichts zu merken, das riesige Team um Clemens Laternser, dem Präsidenten der Operettenbühne, spielte, sang und tanzte als würden sie seit Jahren nichts anderes machen.

Ein Musical-Klassiker

„Kiss me Kate“ ist das bekannteste Werk des amerikanischen Musical-Komponisten Cole Porter. Zahlreiche Songs aus seinen fast 40 Musicals wurden zu Evergreens, Frank Sinatra, Louis Armstrong oder Ella Fitzgerald interpretierten seine Musik. Mit „Kiss me Kate“ feierte er nach einem schweren Unfall und einigen Misserfolgen ein spätes Comeback. „Kiss me Kate“ gehört gemeinsam mit „My Fair Lady, „Hello Dolly“, „Der Mann von La Mancha“ oder „Anatevka"zu den Klassikern aus der goldenen Ära des Musicals. Es wurde 1948 am Broadway in New York zum ersten Mal gespielt, gewann fünf „Tony Awards“, dem Äquivalent zu den Oscars in der Filmbranche, und brachte es alleine in New York auf drei Produktionen mit insgesamt über 2.000 Aufführungen. Die Handlung ist genial und wurde in der Folge auch mehrmals kopiert. Das Publikum sieht sowohl ein Theaterstück – in diesem Fall eine musikalische Version von William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ – als auch den privaten Bereich der Theatertruppe auf der Hinterbühne und in den Garderoben, wobei sich die Grenze zwischen Realität und Theatergeschehen immer weiter verschiebt. Zusätzliche Würze erhält „Kiss me Kate“ aus dem Umstand, dass die beiden Hauptrollen mit einem frisch geschiedenen Ehepaar besetzt sind, wobei jeder der ehemaligen Ehepartner inzwischen anderweitig liiert ist. Diese neuen Partner sind aber ebenfalls Teil der Produktion, ein gefälschter Schuldschein und zwei dazugehörige Geldeintreiber machen das Chaos perfekt. Bei den Protagonist:innen handelt es sich um mehr als dominante Persönlichkeiten und die Vermischung von Bühnenhandlung und privaten Konflikten sorgt für szenische und musikalische Höhepunkte. 

Frauenfeindlichkeit?

Die Produktion der Operettenbühne Vaduz ist Entertainment pur. Weit weg von jedem derzeit so beliebten Belehrungstheater spielt „Kiss me Kate“ in der Zeit seiner Entstehung, wird nicht künstlich aktualisiert oder dem Zeitgeist angepasst. Warum auch? Jede Epoche hat ihre eigenen Gesetze und Normen und wenn diese auch heute nicht mehr gelten, macht das ja einen gewissen Reiz aus. Hier wird nicht gegendert und eine durchaus spürbare – ist es wirklich "Frauenfeindlichkeit"? – war vor 85 Jahren schlicht und einfach Realität. Aber so simpel ist es nicht. Das Bild, als Katharina ihr Bein um den knienden Petruchio schlingt, prägt sich ein und gibt Antworten auf viele Fragen zum Verhältnis von Mann und Frau innerhalb dieses Theaterabends.
Für alle Bereiche dieser Produktion sind Superlative angebracht. Man spürt jeden Augenblick, dass hier ein kompetentes Team an einem Strang zieht und für diese eine Sache viel Herzblut gegeben hat. Das Sinfonieorchester Liechtenstein unter der Musikalischen Leitung von William Maxfield spielt so, als hätte es sein Handwerk am Broadway oder im Londoner West End gelernt. Großartige solistische Leistungen der Solovioline, der ersten Trompete oder dem Englischhorn wechseln ab mit Bigband-Rhythmen, auch die schwierigsten Passagen klingen locker und wie aus dem Ärmel geschüttelt. Unerwartet auch die Leistung des rein weiblich besetzten Tanzensembles, das in seinen Auftritten den Eindruck einer akrobatischen Profitruppe hinterlässt. Da hat die Choreografin Robina Steyer ganze Arbeit geleistet.

Überzeugende Sängerbesetzung

Ein Glücksfall ist die Sängerbesetzung. Bis in die kleinsten Rollen wird hervorragend gesungen und überzeugend gespielt. Beide Hauptdarsteller:innen aus „My Fair Lady“ sind wieder Teil des Teams. Die Vorarlberger Sopranistin Sabine Winter hat bereits 2017 als Eliza Doolittle überzeugt, in der Doppelrolle Lilli Vanessi / Katharina kann sie ihre sängerischen und schauspielerischen Fähigkeiten noch weiter ausschöpfen. Man hat manchmal den Eindruck, diese Rolle wäre speziell für sie geschrieben worden. Verblüffend ist nicht nur ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit sondern auch die Umsetzung der verschiedenen vokalen Farben, die in diesem Stück gefordert sind. Huub Claessens war 2017 der Mr. Higgins und brilliert heuer in einer Dreifachrolle. Wer hat gewusst, dass er wirklich hervorragend Saxophon spielt? Daniel Raschinsky ist der perfekte Bühnenpartner für Sabine Winter und verkörpert die Rollen Fred Graham und Petruchio absolut überzeugend. Das Publikum wird Zeuge, wie sich die Emotionen der beiden immer weiter hochschrauben und in eine emotionale Achterbahnfahrt münden. Eine wirkliche Entdeckung ist die junge Schweizerin Mirjam Fässler, politisch herrlich unkorrekt als blondes Dummchen Lois Lane, genauso überzeugend aber in ihrer Doppelrolle als Bianca. Sie singt, spielt und tanzt mit großer Leidenschaft und enorm starker Bühnenpräsenz.   

Unterhaltung mit Anspruch

Astrid Kellers Inszenierung entführt die Zuschauer für zweieinhalb Stunden in eine Fantasiewelt. Ist es nicht genau das, was Theater bewirken soll? Unterhaltung mit Anspruch ist Astrid Kellers Devise, und dieses Konzept wurde zu 100% umgesetzt. Die Regisseurin hat in Vaduz bereits 2019 Carl Millöckers „Bettelstudent" inszeniert, als Mrs. Higgins war auch sie Teil des „My Fair Lady"-Teams. Astrid Keller vertraut auf das Buch von Samuel und Bella Spewack und auf Cole Porters geniale Musik, nichts wird mit Gewalt in eine andere Zeit verschoben, die Regie konzentriert sich auf die Personenführung, insbesondere auf die explosive Stimmung zwischen den vier Hauptrollen sowie die Organisation der teilweise wirklich vielen Personen auf der Bühne. Das praktische Bühnenbild von Leopold Huber ist dem Londoner Globe Theatre aus Shakespeares Zeiten nachempfunden. Die Drehbühne ermöglicht schnelle Verwandlungen, alles ist gut „in time" und wirkt in den Abläufen sehr harmonisch. Auch rund um die eigentliche Vorstellung wird das Publikum verwöhnt: Der Parkplatz in der Tiefgarage ist ebenso im Kartenpreis inkludiert wie die Garderobe und das wirklich üppige, sehr informative Programmheft. If you like entertainment – please go to Vaduz!

Operettenbühne Vaduz: „Kiss me Kate” von Cole Porter
weitere Vorstellungen:
18./25./31.3 und 1.4. jeweils 19.30 Uhr
19.3. und 2.4. jeweils 17 Uhr
26.3., 14.30 Uhr
https://www.operette.li/spielplan/

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