Philosophicum Lech – quo vadis?
Eine Diskussionsanalyse
Kurt Bereuter · Sep 2023 · Kritiken,Aktuell

Am 19. September begann in Lech das 26. Philosophicum: „Alles wird gut: Zur Dialektik der Hoffnung“ mit einem Diskussionsnachmittag, der es in sich hatte, auf der Diskussionsebene, aber vor allem im Dikussionsstil.

 Als Erstbesucher dieser schon aus finanziellen Gründen sozial „elitären“ Veranstaltung fragt man sich, wen die Veranstalter mit dem omnipräsenten Philosophen Konrad Paul Liessmann wohl ansprechen wollen? Klar ist es, bis auf eine Schüler:innengruppe, ein eher älteres und vermuteter Weise auch konservativeres Publikum, wozu schon, neben den Eintrittspreisen, die Lecher Etikette beiträgt. Der „Sportpark“ als Veranstaltungsort, mit der Muckibude im Hinterraum, hat auf alle Fälle ein eigenes Flair, um es neutral auszudrücken. Alt- und Neobürgermeister sind da präsent und es beschleicht einen der Verdacht, dass mit dieser Veranstaltung, mit hohem finanziellem Aufwand und prominentem Leiter, dem Nobelort Lech, neben der Nächtigungen, ein intellektuelles Flair verpasst werden soll. Das kann grundsätzlich nicht zum Vorwurf gereichen.
Dass Konrad Paul Liessmann die zweite Diskussion mit Journalisten unter dem Motto „Was ist zu tun?“ ankündigte, wurde dann auch von journalistischer Seite zurückgewiesen, da Journalisten nichts in der Rolle der Politikberater verloren hätten, so Ulf Poschardt von der „Welt“.

Die erste Diskussion

Leider wurde die erste Diskussion zu wenig moderiert, Ziel war vielmehr, laut Aussage des ORF-Moderators Martin Haidinger, dass die Diskussion exakt eine Stunde dauert, da sie nicht geschnitten werden sollte. Im Fokus stand bei den „zwei Typen deutscher Intellektueller“ Eva von Redecker und Reinhard Merkel die Analyse der „Lage“ und da gab es durchaus Übereinstimmung darin, dass wir ein Erstarken rechter politischer Kräfte konstatieren würden und der Klimawandel eine Bedrohung darstelle. Dass ersteres schon eine Krise der Demokratie im Sinne von Tod oder Leben bedeute, konnte Merkel nicht nachvollziehen. Vielmehr sei das ein Sekundärproblem und der Rechtsruck eine rückwärtsgewandte Lösungsstrategie. Gerade während der Covid-Pandemie habe die Politik unter hohem Zeitdruck arbeiten müssen und das gefährde demokratische Legitimation, wenn die Exekutive über den Notstand und der Kriterien dafür entscheiden würden. Eva von Redecker nahm dann das Wort der „Verantwortlichen“ für die Klimakrise auf und verwies auf das wirtschaftliche und politische Handeln, das zur Klimakrise geführt habe und wo nationalstaatliche Politik ungenügend wirksam sei. Merkel verwies zurück auf die Covid-Pandemie, für die es keine Verantwortlichen gebe, um dann auf die Flüchtlingsthematik und den Ukrainekrieg zu replizieren. Er schloss mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, der Demokratie die Zeit zu geben, die sie brauche, um Notstände zu lösen, denn Diktaturen seien immer schlechter und die Lösungen dieser auch.

Die zweite Diskussion

Die Frage „Was ist zu tun“ zwischen den Journalisten Ulf Poschardt und Christian Rainer wurde von Judith Belfkih bemüht moderiert und sie verhehlte auch gleich zu Beginn nicht, dass sich beide Journalisten auch gerne an ihren eigenen geistigen Ergüssen erfreuen würden. Ohne auf die doch inhaltsreiche Diskussion einzugehen, möchte ich die Diskussion als solche fokussieren. Es fiel von Beginn an die distanzierte und überheblich wirkende Körperhaltung und Mimik von Ulf Poschardt auf, während aus Christian Rainer die Worte teilweise unkoordiniert sprudelten und er flapsig vom Alkohol sprach, den sie nach der Diskussion trinken werden. Poschardt quittierte manche Aussage mit „Bullshit“ und verwies sachlich nachvollziehbar auf die Repräsentationslücken bei Politik und Medien, wegen derer sich Bürger:innen nicht mehr vertreten und verstanden fühlen. Angesichts des kurzärmelig bekleideten Rainer und seines zur Schau gestellten tätowierten Armes sprach Poschardt vom „tätowierten Gerüstbauer“, mit dem er im Osten Deutschlands gesprochen hatte, und der sich weder von der Politik noch von den Medien repräsentiert fühle, wenn ihm diese aus ihrem Wohlstand heraus erklären, mit welcher Heizung er sein Haus wärmen müsse, wann er grillen, und dass er mit seinem Auto nicht mehr fahren dürfe. Dass er sich für den Applaus vom Podium herunter bedankte und angesichts der drohenden Klimakatastrophe von seinem Flug von Berlin nach Zürich erzählte, unterstrich einmal mehr die Eitelkeit eines sicher sehr intelligenten Journalisten. Allerdings muss man sich fragen, ob das der Weg ist, den „tätowierten Gerüstbauer“ zu erreichen und mögliche Repräsentationslücken zu schließen. Auch der Ton macht die Musik und der Ton darf sich ruhig in allen Dynamiken und Modalitäten austarieren, aber für einen platonischen Dialog war er einem Philosophicum nicht angemessen, auch wenn es für das Publikum sehens- und hörenswert war und sich der eine oder die andere ein Beispiel nimmt, wie er sich beim nächsten Mal in einer Diskussion (nicht) verhalten soll. Aber klar, der „tätowierte Gerüstbauer“ war ja auch nicht da, beim Philosophicum in Lech. Als Wähler sollte er aber wie alle anderen auch im Focus bleiben, denn an der Urne der Demokratie hat jede Stimme den gleichen Wert.  

Diogenes der Kyniker aus dem nahegelegenen Wald

https://www.philosophicum.com/

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