Peter Herbert: „naked bass II“
„Die Suche nach dem eigenen Klang ist persönlicher und essentieller geworden“
Peter Füssl · Mai 2024 · CD-Tipp

Der 1960 in Bludenz geborene und in Bregenz aufgewachsene Kontrabassist und Komponist Peter Herbert lebte – nach dem Studium in Graz und am Berklee College of Music in Boston – von 1989 bis 2003 in New York und anschließend in Paris und Wien. Längst hat er sich international einen exzellenten Ruf als Instrumentalist, Komponist und experimentierfreudiger Performer erspielt. In unterschiedlichsten Bandprojekten – vom Duo bis zum Jazzorchester – und als gefragter Sideman auf mehr als 180 Alben. Art Blakey, Marc Copland, John Abercrombie, Bobby Previte, Robin Eubanks, David Tronzo, Carol Robinson, Art Farmer, Joachim Kühn, Marcel Khalife, Aydin Esen, Christian und Wolfgang Muthspiel, Wolfgang Mitterer, Karl Ratzer – das ist nur ein Dutzend Namen aus einer Liste mit unzähligen prominenten Jazzmusiker:innen, mit denen Peter Herbert in den letzten 40 Jahren zusammenarbeitete. Ebenso breitgefächert ist auch die stilistische Ausrichtung der einzelnen Projekte – Jazz, zeitgenössische Kammermusik, Klassik, freie Improvisation, Bach, Purcell, Mingus, Joni Mitchell, Theatermusik, Maghrebinisches. Auch diese Liste ließe sich noch erweitern.

Dieser reichhaltige Erfahrungsschatz – gepaart mit einer großen experimentellen Lust am Erfinden neuer Spieltechniken und zur Verbreiterung der Ausdrucksmöglichkeiten – wirkte sich natürlich auch auf mehreren spannenden Alben aus, in denen Peter Herbert den Kontrabass auf vielfältige Weise in den Mittelpunkt stellte. So schloss er sich etwa mit fünf weiteren Bassist:innen zum Sextett BassInstinct zusammen und veröffentlichte mit ihnen die Alben „butterfly“, „Illusionista“‚ „Homebass“ und „BassInstinct“. Aber auch interessante Kontrabass-Solo-Alben sind in seinem umfangreichen Oeuvre zu finden: 2001 schuf er für „bassooka“ mittels Overdubs Musik für „1 - 16 Bässe“ und erforschte damit Neuland. Und 2005 brachte er das Solo-Album „Naked Bass“ mit den dazugehörenden Noten heraus, ein eindrucksvolles musikalisches Panoptikum seiner Ausdrucksmöglichkeiten, Spieltechniken, seines kompositorischen Einfallsreichtums und seiner improvisatorischen Fähigkeiten. Dem lässt er nun „naked bass II“ folgen, das beim Schweizer Label Unit Records erscheint und im Mai in Bregenz und Wien live präsentiert wird.

 Eine Art Destillationsprozess ...

 Peter Füßl: In einem Interview in der KULTUR-Zeitschrift hast du 2006 über „Naked Bass“ und das dazugehörende Notenkonvolut gesagt: „Das hat damit zu tun, dass ich jetzt etwa 25 Jahre lang Kontrabass spiele, und ich habe vor, auch die nächsten 25 Jahre dasselbe zu tun. Und ich wollte aus diesem Grund meine in dieser Zeit entwickelte Klangsprache an die Öffentlichkeit abgeben, um mich auf eine neue Suche für die nächsten 25 Jahre zu begeben.“ Seither sind zwar „nur“ knapp 20 Jahre vergangen, dafür aber ziemlich ereignisreiche und zum Teil umwälzende. Darf man „naked bass II“ wieder als eine Art Zwischenbilanz in Sachen künstlerischer Schaffensstand verstehen?

Peter Herbert: Alle 20 Jahre eine musikalische Zwischenbilanz ist ein schönes Intervall und entspricht wohl auch den Reifezeiten für guten Whiskey, und es dreht sich tatsächlich um einen gewissen Destillationsprozess, bei ‚naked bass II‘ kommen zu den Noten nun auch Videos zu jedem Stück dazu, gedreht von Gerhard Klocker.

 Suche nach der persönlichen Handschrift

 Füßl: Auf den ersten Blick – noch ohne etwas gehört zu haben – fällt auf, dass du für „Naked Bass“ auch Fremdkompositionen von Joëlle Léandre, Mark Helias, Mark Dresser, Marcel Khalife und Alexandre Tannous aufgenommen hast, während auf „naked bass II“ – von Wayne Shorters „Footprints“ abgesehen – ausschließlich Eigenkompositionen zu finden sind. In deinem Fall, denke ich, besteht der Grund dafür ganz sicher nicht darin, dass du dich Einflüssen von außen, von anderen Musiker:innen her verschließt. Aber ist der Kopf so voller eigener Ideen, dass eine Albumlänge zu kurz ist für andere(s)?

Herbert: Ganz im Gegenteil, ich liebe es nach wie vor, Stücke von geschätzten Kolleg:innen zu interpretieren, bei ‚Naked Bass‘ gehörte es zur Zwischenbilanz, von diesen vielen Musiker:innen, die mich bis zu diesem Punkt so wunderbar begleitet und auch geformt und inspiriert haben, Stücke anzufragen, auf ‚naked bass II‘ ist die Suche nach dem eigenen Klang einfach persönlicher und essentieller geworden. Diese Suche nach der persönlichen Handschrift im Klang, in der Spielart oder auch kompositorisch ist eine Lebensaufgabe, der man sich im Laufe eines Lebens annähert, und die im Idealfall in einer unmittelbaren Erkennbarkeit gipfelt, wie es z.B. nach 4 Takten einer Aufnahme klar wird: dieser Bassist kann nur Dave Holland, Gary Peacock oder Eddie Gomez sein.

 Ein menschliches und ungeschminktes Bild

 Füßl: Den Titel „naked bass“ würde ich in zwei Richtungen interpretieren: Einmal, dass du dich als Musiker selber auf das Wesentlichste, dich in Kombination mit deinem Instrument, konzentrierst, und zum Zweiten, dass auch der Kontrabass „nackt“, also akustisch, ohne elektronische Hilfsmittel gespielt wird. „No edits – no schnick-schnack – 1:1 – live to reel – naked!“ heißt es auf dem Album-Cover. Was reizt dich an dieser so puren Herangehensweise besonders, zumal in Zeiten, in denen von der Technik her alles machbar wäre? Und mit „bassooka“ hattest du ja auch schon mal einen anderen Weg eingeschlagen ...

Herbert: In Zeiten von KI und Tiktok und dem völlig überfordernden Skizzieren von perfekt inszenierten Lebensmodellen in der virtuellen Welt ist es wichtig, ein menschliches und ungeschminktes Bild zu zeichnen von der eigenen Arbeit. Das „naked“ bezieht sich übrigens auch auf den völligen Verzicht irgendwelcher elektronischen Effekte oder Loops/Playbacks bei Live-Auftritten.

Füßl: Wie sind die Stücke auf „naked bass II“ entstanden? Aus Improvisationen heraus, oder sind es Ausarbeitungen kompositorischer Ideen, die du im Kopf hast?

Herbert: Sie sind eine Kombination aus spontanen Improvisationen vor Ort und musikalischen Tagebuchskizzen über all die Jahre hinweg. Die Aufnahmen erstrecken sich ja über einen mehrjährigen Zeitraum, da ergeben sich ganz von selbst viele Reflexions-, Sammel- und Übepausen, in New York würde man „pet project“ dazu sagen, ein Projekt ohne Zeitdruck, oder „work in progress“ ohne Deadline.

 Reduziertwerden auf sich selber

 Füßl: Lässt du dich auch von außermusikalischen Ereignissen inspirieren – man denke etwa an die Pandemie, die doch gerade auch viele Musiker:innen in ihren Möglichkeiten sehr eingeschränkt hat?

Herbert: Die Lockdowns waren tatsächlich ein Einschnitt in unser aller Leben, das Reduziertwerden auf sich selber war wohl eine wichtige Erkenntnis nicht nur für mich. Der globale Internet-Blackout wird uns dieses „naked“-Gefühl als nächste Potenzierung wohl auch veranschaulichen, ein Szenario, das ja hoffentlich nicht stattfinden wird, aber als letzte Konsequenz einen Gedanken wert ist, was von uns ohne die Hilfe des Internets übrig bleibt an persönlichem Wissen, Fähigkeiten und sonstigen Qualitäten. 

 Füßl: Wolfgang Mörth erzählt in den Liner Notes zu „naked bass II“ die abenteuerliche Geschichte, wie du zu deinem Kontrabass gekommen bist, den du in einem bedauernswerten Zustand aus einem tristen Dasein in der Ecke einer Parkgarage erlöst hast. Das war vor mehr als 40 Jahren. Wie sehr wächst man denn als Musiker mit seinem Instrument zusammen?

Herbert: Unter den Musiker:nnen gibt es Sammler, die sehr viele verschiedene Instrumente anhäufen, und dann die anderen, die nur ein Instrument haben. Ich habe zwei fast identische, aber dieser eine begleitet mich tatsächlich seit 40 Jahren, er hat seine Schwächen und Stärken, aber wir kennen uns sehr gut, haben Millionen an Kilometern gemeinsam hinter uns gebracht und unzählige Abenteuer erlebt. Mit Abstand die längste Beziehung in meinem Leben!

 Klangforschung, Mingus und täglich neue Überraschungen

 Füßl: „rubba-ruaba-därf ma des“, „arco detuned“, „gamelan“ und „long stick“, mit fünfeinhalb Minuten das längste Stück des Albums, tanzen klanglich ziemlich aus der Reihe. Ich nehme an, das ist auf die „extended techniques“ zurückzuführen, die du zu deinen Klangforschungen einsetzt?

Herbert: Unkonventionelle Klänge brauchen Raum und Zeit, um eine Resonanz beim Musiker und auch Zuhörer zu ermöglichen, und ich bin ja nur einer von vielen, der Klangforschung betreibt, und jeden Tag gibt’s neue Überraschungen damit. Der Verzicht auf elektronische Hilfsmittel zur Klangerweiterung bringt natürlich eine analoge Komponente der Klangveränderung durch mechanisches Präparieren des Instruments mit sich. Dazu dienen spezielle Klammern aus Holz oder Metall, Essstäbchen in allen Größen und Formen, Metallstäbe, Schaumgummis und Korken, alles, was die Obertonstruktur des Kontrabasses kreativ verändert.

Füßl: Das Album endet mit „tribute to mingus“. Inwiefern ist Charles Mingus immer noch wichtig für dich, und gibt es auch zeitgenössische Bassisten, deren Arbeit du mit Interesse verfolgst?

Herbert: Die Enormität von Mingus Schaffen als Bassist und Künstler und Persönlichkeit zu erkennen, dafür habe ich lange gebraucht, je älter ich werde, desto deutlicher wird es aber. Und in diesem Stück verwende ich eine ‚scordatura‘-Stimmung (E, A, dis, gis), die den Kontrabass in „Dur“ erklingen lässt, damit Mingus noch besser strahlen kann. Und natürlich studiere und verfolge ich andere Bassisten, Stefano Scodanibbio, Fernando Grillo, Joëlle Léandre, Mark Dresser, Ivar Krisic, Hakon Thelin oder Esperanza Spalding u.v.a.m. seien hier erwähnt.

Füßl: Du unterrichtest seit 2007 an der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz und bist häufig mit Karl Ratzer unterwegs. Gibt es sonst noch besondere Pläne?

Herbert: Die Bruckner-Uni schickt mich punktgenau und legal mitten im Studienjahr mit meinem 65. Geburtstag in Pension, die Arbeit ist sehr erfüllend, wenn auch bald zu Ende. Karl Ratzer wird nächstes Jahr 75, und wir spielen hoffentlich noch viele Jahre zusammen. Und ich werde mich um die nächste „naked“-Zwischenbilanz in 20 Jahren kümmern.  

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Mai 2024 erschienen. 

Albumpräsentation: Peter Herbert – naked bass II
Do, 16.5.2024, 19 Uhr: „Strenge Kammer“, Porgy & Bess, Wien
Fr, 31.5.2024, 20 Uhr:   Theater Kosmos, Bregenz
www.peterherbert.at

Hier ist Peter Herbert zu Gast im "Kulturstimmen"-Podcast bei Ingrid Bertel. 

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