Neu in den Kinos: „In die Sonne schauen“ (Foto: Studio Zentral)
Raffaela Rudigier-Gerer, Manuela Schwärzler · 25. Sep 2025 ·

Out now: Oktober-Ausgabe der „Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft“

Infos und ein umfassender Terminkalender – jetzt im Handel und als E-Paper erhältlich!

Es geht uns gut – und doch schrillen die Alarmglocken. Österreich verzeichnet Jahr für Jahr neue Höchststände beim Bruttoinlandsprodukt, Vorarlbergs Wirtschaft läuft auf hohem Niveau, die soziale Absicherung funktioniert – im Vergleich mit anderen Ländern – noch halbwegs gut. Und doch wächst quer durch die Gesellschaft ein spürbares Unbehagen. Nicht nur der Weltglücksbericht verzeichnet ein jähes Absinken unseres subjektiven Glücksgefühls. Auch im kollektiven Bauch macht sich Skepsis breit: Zufriedenheit und Sinn folgen offenbar nicht automatisch auf statistischen Wohlstand. Was also fehlt? Diese Frage treiben die Land_Gespräche in Hittisau um, wenn sie Zukunftsräume für Wohlstand ausloten. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch das kulturelle Leben und unsere herbstliche Programmschau. Überall dort, wo Wachstum an soziale und ökologische Grenzen stößt, gewinnen andere Werte Gewicht: Gerechtigkeit, Teilhabe, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit – und die Suche nach Wegen, in einer Gesellschaft das Eigentliche nicht zu verlieren.

Impulse setzt die Kunst. Sie spiegelt Verheißungen wie Schattenseiten des Wohlstands, reagiert auf seine blinden Flecken und fordert zur Reflexion heraus. Die Installation „Der nicht geworfene Stein“ des Schweizer Künstlers Gert Gschwendtner erinnert daran, dass Friedfertigkeit mehr ist als Sonntagsrede – ein Beitrag zur Aufklärung, eine Einladung, Überkommenes neu zu befragen, ohne zu moralisieren. Solche Angebote fürs eigene Denken sind kostbar in einer Zeit, in der Antworten allzu schnell bereitliegen.
Gängige Moralvorstellungen hinterfragt auch die 89-jährige Medien- und Digitalkunst-Pionierin Margot Pilz in ihrer Ausstellung „Lovers“ im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis. Sie widmet sich den existenziellen Themen Alter und Begehren – mit neuen Arbeiten, die Vitalität und Widerständigkeit eindrucksvoll belegen. Dabei werden gängige Zuschreibungen hinterfragt und aufgezeigt, dass Leidenschaft, Selbstbestimmung und Sehnsucht auch im hohen Alter ungebrochen wirksam sind. 

In der Bildung zeigt sich die Kluft zwischen Wohlstand und Chancen besonders deutlich – etwa im aktuellen AK-Nachhilfe-Monitoring. Dass Nachhilfe zum Geschäftsmodell wird und Bildungsprivilegien vererbt, während internationale Reformideen unbeachtet bleiben, offenbart: Echte Chancengleichheit hat unsere Gesellschaft noch nicht gelernt. 

Davon zeugen im weiteren Sinne auch die Themen der Theaterstücke im Oktober. Das Stück „Transit“ von Anna Seghers bringt Flucht, Heimatverlust und bürokratische Ohnmacht auf die Bühne des Vorarlberger Landestheaters und konfrontiert das Publikum mitten in der Komfortzone mit existenziellen Zumutungen. „Wir sind nicht verantwortlich für das, was geschehen ist. Aber wir sind verantwortlich dafür, dass es nie wieder geschieht“, sagt Landestheater-Intendantin Stephanie Gräve, die hierbei erstmals am Landestheater selbst Regie führt.
Außerdem setzt das Vorarlberger Landestheater mit „Die Bühnentode meiner Mutter“ einen musikalischen Akzent zu Spielzeitbeginn – ein augenzwinkerndes Stück für Kinder und Erwachsene, das Fragen nach Rollenbildern und Neubeginn stellt. Hinter dem humorvollen Theatererlebnis steht jedoch auch eine ernste Frage: warum Opern seit jeher „Serien von Femiziden“ darstellen und so oft das Leben von Frauen zum Preis des Dramas fordern.
Um Solidarität inmitten von Ausgrenzung geht es im aktuellen Stück der freien Theaterkompanie Café Fuerte. „Die rote Zora“ erzählt die Geschichte kroatischer Waisenkinder, die sich in Solidarität zusammenschließen, weil ihnen die Erwachsenen Schutz und Zugehörigkeit verweigern. Durch die Perspektive der Kinder eröffnet sich eine eindringliche Reflexion über Gemeinschaft, Verantwortung und Zukunft.
Und beim tanz ist Festival öffnet Tänzerin Hannah Shakti Bühler mit ihrer Performance „Choreomaniacs“ Räume des Möglichen. Kollektive Tanzphänomene wurden dafür erforscht und in ein mitreißendes Befreiungsritual von Selbstbestimmung, Widerstand und Ekstase verwandelt. 

Quer durch alle Sparten, wie ein roter Faden, zeigt sich an den verhandelten Themen nicht zuletzt die Wichtigkeit von Kunst und Kultur. Kultur ist Labor und Resonanzraum: Hier können die drängenden Fragen unserer Zeit verhandelt und utopische Perspektiven ausprobiert werden. So deutet sich an: Wohlstand der Zukunft liegt weniger in Konjunkturkurven als dort, wo wir das Glück neu zu denken beginnen. 

Zum Schluss noch eine Information in eigener Sache: Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich Raffaela Rudigier-Gerer, eine unserer beiden Co-Chefredakteurinnen und Co-Geschäftsführerinnen aus der Leitung der Zeitschrift. Sie bleibt dem Magazin journalistisch eng verbunden, richtet ihr Hauptaugenmerk jedoch künftig auf die Zirkushalle Dornbirn, die sie gemeinsam mit ihrem Mann aufgebaut hat und die ihr persönlicher Glücksort ist.

Dieses Editorial ist zeitgleich in der Oktober-Ausgabe erschienen. Hier geht's zum E-Paper.