Nigel Kennedy verzaubert Vaduz Anita Grüneis · Aug 2024 · Musik
Beim diesjährigen Classic Open Air Vaduz ist alles anders – es findet an einem neuen Ort statt, mit einem neuen Konzept und unter neuer Leitung. Soviel schon vorab: der erste Abend des siebten dreitägigen Festivals ist mehr als geglückt – der Stargast Nigel Kennedy erwies sich als Volltreffer für die Location und das neue After-Work Concert und zugleich Vorprogramm mit der stimmgewaltigen Nadia Maria war ein Zugpferd, auch für die Gastronomie in Vaduz. Zudem bescherte das Wetter den Verantwortlichen und vor allem den vielen Besucher:innen einen perfekten Sommerabend.
Das Festival findet neu auf dem Rathausplatz in Vaduz statt und nicht mehr, wie bisher, auf dem Dach des Parkhauses Marktplatz. Das weitläufige, urbane und großzügige Ambiente wich einem lauschigen Platz mit rund 1300 Sitzplätzen, dafür liegt es – wie vom neuen Intendanten Carsten Huber betont – „im Herzen von Vaduz“. Alles steht also im Zeichen der Innovation: gefeierte Klassik-Stars und aufstrebende Talente, Familienkonzerte sowie neue Formate zwischen Crossover, Electro und Classic sollen das Festival beleben und vor allem ein zunehmend junges Publikum mit sich bringen, um die Zukunft des Festivals zu sichern. Publikumsnah, generationenübergreifend und familienfreundlich will die neue Vaduz Classic-Bühne werden und „Vaduz als charmante und sympathische Festival-City“ zeigen.
Ein brillanter Solist mit zierlichen Tönen
Mit Nigel Kennedy, dem Stargast des Eröffnungskonzertes, war dieses Vorhaben mehr als erfüllt. Er erwies sich als absoluter Glückstreffer. Ein brillanter Musiker, der die Musik in und aus sich heraus lebt und durch sie mit anderen tiefsinnig kommuniziert. Ein perfekter Match – auch für das Sinfonieorchester Liechtenstein SOL, das mit ihm musizierte, als wäre es von einem Prinzen wach geküsst worden. Nigel Kennedy ist immer Primus inter Pares – er drängt sich nicht auf, gibt nicht vor alles besser zu können, sondern möchte musikalisch mit allen auf gleicher Augenhöhe kommunizieren. Und das tat er auch. Ludwig van Beethovens Violinkonzert in D-Dur, op. 61 hörte sich an wie eben neu komponiert. Dabei wurde dieses Violinkonzert am 23. Dezember 1806 in Wien mit Franz Clement als Solisten uraufgeführt. Der Geiger Clement wurde von seinen Zeitgenossen insbesondere wegen der „unbeschreiblichen Zierlichkeit“ seines Spiels und der „äußerst lieblichen Zartheit“ seines Tons gerühmt. Und genau daran dockte Nigel Kennedy an. Er beherrscht diese speziellen Töne wie kein anderer, sie klingen immer ein bisschen bittersüß, wirken unendlich weit und äußerst fragil. Nigel Kennedy zelebrierte das Werk von Beethoven und nahm dabei das ganze Orchester mit – einen Dirigenten brauchte er nicht, er selbst war der Motor für das Klangwerk. Die Musikerinnen und Musiker des SOL folgten ihm auf seinen Wegen und das mit einer selten gehörten Sensibilität. Manchmal tönte das alles, als würde die Musik nach und nach ins Innere ihrer selbst verschwinden, so subtil und zart wie sie erschaffen worden ist. Süßer die Töne nie klingen, als zur Vaduz Kennedy Zeit... Dieser erste Teil des Eröffnungskonzertes war ein Geschenk an alle – an die Musizierenden und an das Publikum.
Eine Reise ins musikalische Zauberland
Nach einer Pause stand dann das von Nigel Kennedy selbst komponierte „Violinkonzert Nr. 1, Für Ludwig Van“ auf dem Programm. Und wieder wirkte der Musiker wie ein Motor, der alle antreibt, der eine endlose Energie versprüht und der hin und wieder mit seiner Geige Sequenzen spielte, als sei er ein Luciano Pavarotti, der immer noch ein paar Koloraturen mehr in seiner Kehle hat als die anderen großen Tenöre. Doch nicht nur mit seiner Geige und einer E-Geige wusste Nigel Kennedy zu verblüffen, auch am Klavier setzte er Maßstäbe. So legte er gemeinsam mit dem Kontrabassisten des SOL Jura Herceg ein Duo hin, das nicht nur jazzig klang, sondern zu einer perfekten Jam Session wurde. Und dann holte er auch noch Erich Berthold mit seiner Klarinette dazu und ihre Musik groovte durch die Vaduzer Nacht.
Hexenmeister mit Punk-Frisur
Nach diesen Soli durfte auch das Orchester wieder mitspielen und die Komposition erinnerte bisweilen an die Minimal Music von Philipp Glass. Manchmal war es, als würde die Musik einen kunstvollen Teppich ausbreiten, auf den man sich legen möchte um damit in Zauberlande zu fliegen. Doch bevor es zu sentimental wurde, rockte der 67-jährige Nigel Kennedy mit seiner Punk-Frisur und in seiner Jacke mit dem Jimi Hendrix Portraits noch einmal die Bühne – und wurde zum Hexenmeister. Kein Zweifel – dieser Brite got a lot of rhythm. Er ließ den Abend nach fast drei Stunden dramatisch ausklingen und es schien, als wollte er immer noch weiterspielen, einfach weil es ihm eine Freude ist. Ein echter homo ludens, der Schillers berühmten Satz „der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ aus dem Jahr 1795 neu belebte. Und das nicht nur für sich alleine, sondern vor allem im Verbund mit anderen. Das SOL mit seinem Dirigenten Yaron Traub hörte sich selten fröhlicher und beschwingter an. Ganz so, als habe es einen Kennedy-Energie-Schub erhalten. Und natürlich erhielt das stehend applaudierende Publikum eine Zugabe „Merry Christmas Mr Lawrence“ mit Nigel Kennedy am Klavier, bei dem die Geiger und Bratschisten des SOL dann stehend mitspielten als seien sie bereits Klone des Starsolisten.
Noch mehr bei Vaduz Classic
Der zweite Stargast dieses Festivals, Helène Grimaud, musste krankheitsbedingt absagen. Für sie spielt am Freitagabend der Schweizer Pianist Francesco Piemontesi mit dem Kammerorchester Basel das 4. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven im Vaduzersaal. Um 22.30 Uhr heißt es „Classic meets Electro“ im Café des Kunstmuseums. Das Festival endet am Samstag, den 24. August um 11 Uhr mit einem Familienkonzert, bei dem die Stipendiaten der Musikakademie Camille Saint-Saens „Der Karneval der Tiere“ spielen. Um 15 Uhr trifft die Klassik dann im Kunstmuseum auf Jazz mit Daniel Schnyder und dem Archos Quartet und um 20 Uhr wird noch einmal die Bühne auf dem Rathausplatz vom Sinfonieorchester Liechtenstein unter der Leitung von Kevin Griffiths bespielt, wobei auch dieses Abendprogramm zum cross over wird mit den Sängerinnen Isabel Pfefferkorn und Suzie Candell sowie der Band Keaden und dem Gitarristen Roger Szedalik.
Mehr Infos unter: www.vaduzclassic.li