Niederschwelliger Musikgenuss Michael Löbl · Nov 2024 · Musik

Insbesondere Kulturpolitiker sprechen gerne von „niederschwelligen Kulturangeboten“ und meinen damit Veranstaltungen, die man besuchen kann, ohne sich groß in Schale werfen zu müssen, das Ganze zu erschwinglichen Kartenpreisen und für jedermann und -frau zugänglich.

Ein perfektes Beispiel dafür ist die Reihe „Konzert am Mittag“, niederschwelliger geht es eigentlich nicht mehr. Der Eingang ist ebenerdig, man braucht weder Treppen zu steigen noch einen Aufzug betreten, der Eintritt ist frei, man kann ganz spontan von der Straße kommend ein Konzert besuchen und sogar – wenn man sich rechtzeitig vor Ort einfindet – noch einen guten Platz ergattern. Die Veranstaltungen sind eine Kooperation mit der Stella Musikhochschule und finden immer um 12.15 Uhr abwechselnd im Montforthaus Feldkirch oder im vorarlberg museum Bregenz statt. Analog zur Beginnzeit ist das Publikum zum Großteil in der zweiten Lebenshälfte angesiedelt, als arbeitender Mensch müsste man ja seine Mittagspause opfern und Kalorien gegen Töne eintauschen. 

Musikalische Mittagspause

Im November konnte man insgesamt zehn junge Musiker aus zwei der vier Violinklassen an der Stella Hochschule kennenlernen. Am Dienstag, den 19. November aus der Klasse Rudens Turku in Feldkirch, am Donnerstag, 28. November war die Klasse von Sophie Heinrich in Bregenz dran. Beide Häuser stellen ihren Eingangsbereich, das Foyer, zur Verfügung und in beiden gibt es gastronomische Bewirtung während des Konzertes. Im vorarlberg museum lassen sich die beiden Genüsse gut kombinieren, was von den Besuchern auch gerne angenommen wird. Das Restaurant im Montforthaus ist allerdings zwei Stockwerke höher als das Foyer und daher vom musikalischen Geschehen ziemlich abgekoppelt. Manchmal ist das störend laut und das Geklapper von Geschirr oder Besteck nervt ein wenig.  

Eine Elitetruppe

Rudens Turku unterrichtet seit elf Jahren an der Stella Musikhochschule. Er stammt aus Albanien und kam im Alter von 16 Jahren in die Klasse von Ana Chumachenko an der Münchner Musikhochschule wo er – als Studienkollege von Julia Fischer, Lisa Batiashvili oder Arabella Steinbacher – mit 24 Jahren die Meisterklasse abschloss. Neben seiner Tätigkeit in Feldkirch unterrichtet er auch in Italien und Spanien und leitet seit vielen Jahren Musikfestivals in Bayern und in Tirol. Seine Klasse ist international besetzt und das Niveau – soweit man das in diesem speziellen Konzert beurteilen konnte – verblüffend hoch. Maja Willi (Schweiz), Raul Campos, Inés Mariné und Elena Marabini Zamorano (Spanien), Gemma Lee (Australien) und Leufat Bucuku (Kosovo) bildeten ein sechsköpfiges Violin-Ensemble, das – wenn man sich als Zuhörer erst einmal an die fehlende Bassstimme gewöhnt hatte – den Besuchern einen fulminanten Streifzug durch die Musikgeschichte servierte. Johannes Brahms war ebenso zu hören wie George Gershwin, dazu Musik aus Pippi Langstrumpf oder „Veronika der Lenz ist da“ der Comedian Harmonists in Bearbeitungen von Alexander Krampe. Eine derartige Ansammlung von jungen Ausnahmegeigern war in der Geschichte dieses Institutes nicht immer „Part of the Game“. Als Zugabe ein Stück ohne Instrumente, „Clapping Music“ von Steve Reich. Hier wird in zwei Gruppen nur geklatscht, durch die rhythmische Verschiebung eines einzigen Taktes ergeben sich immer neue akustische Patterns.  

Auf dem Weg

Sophie Heinrich, ehemalige Konzertmeisterin der Wiener Symphoniker, unterrichtet erst seit drei Jahren an der Stella. Das merkt man, die von ihr ausgewählten Studenten sind noch auf dem Weg, der ja bekanntlich das Ziel ist. Mit Werken von Antonio Vivaldi, W.A. Mozart, Ludwig van Beethoven und Peter I. Tschaikowsky wurde versucht, einen Bezug zu Weihnachten herzustellen, was zwar bei Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gelang, bei den anderen drei Komponisten nicht so ganz. Auch die Aussicht auf den verregneten Kornmarktplatz konnte nur wenig Weihnachtliches beisteuern. Alle vier jungen Solisten aber hatten musikalisch durchwegs etwas zu sagen und präsentierten dem Publikum die sehr unterschiedlichen Klangwelten der Komponisten. Vivaldis „Winter“, gespielt von Clara Stefanon im Stil der Historischen Aufführungspraxis, russische Melancholie im langsamen Satz von Tschaikowskys Violinkonzert mit Parsa Kalantari, Beethoven'sche Dramatik in dessen c-moll-Violinsonate mit Pierluigi Parisse und die ungewöhnliche musikalische Reife der erst vierzehnjährigen Ladina Brüllhart aus Chur in Mozarts G-Dur-Violinkonzert. Zum großen Finale mit Vivaldis Konzert für vier Violinen übernahm Sophie Heinrich die Führung und beflügelte das Ensemble durch eine willkommene Dosis Extra-Energie. Sehr sympathisch und kompetent ihre Moderation - und zu 100% ungegendert. Es ist ein akustischer Genuss, wenn eine junge Frau ganz ohne schlechtes Gewissen von ihren Studenten spricht, von Komponisten und Kollegen und damit selbstverständlich beide Geschlechter meint. Wie früher, wo doch angeblich alles besser war. 
Das nächste Konzert am Mittag findet am Dienstag, 3. Dezember im Montforthaus Feldkirch statt. Die Klavierklasse Yunus Kaya spielt „Hidden Treasures of the Piano Music”.

www.stella-musikhochschule.ac.at 

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