Nicht aus der Haut gefahren, aber aus sich heraus gegangen
Musikalische Spiele über Temperamente und Sex lösten große Begeisterung aus
Silvia Thurner ·
Aug 2024 · Musik
Bis auf den letzten Platz gefüllt war der Vortragssaal im vorarlberg museum beim zweiten „Zeitklang im Museum“. Unter der Leitung von Martin Kerschbaum präsentierte der Wiener Concert-Verein zwei Kammerorchesterkompositionen von Wolfram Wagner und Flip Philipp. Unter dem Leitgedanken Menschenbilder wurden über die Musik vielgestaltige Charaktere erlebbar, unter anderem auch Michael Amanns Trio „Januskopf“. In ausgelassener Stimmung feierte das Publikum den Marimbaphonisten Thomas Schindl bei der Uraufführung von Wagners Konzert und die Bratschistin Isabella Stepanek. Als Solistin fasste sie Lust und Leidenschaft beim Sex amüsant in Worte und bereite damit großes Vergnügen.
Die Atmosphäre im Atrium des vorarlberg museum bot gute Voraussetzungen für die Uraufführung des neuesten Werkes von Michael Amann. Der Titel „Januskopf“ bezeichnete eine musikalische Polarität, die seit Jahrhunderten die Musikgeschichte bestimmt. Zuerst zelebrierten die Violinistinnen Hyewon Lim und Anastasija Maximov sowie die Harfenistin Leonor Maia einen fein schwebenden Duktus, mit kleinen, in den Raum gesendeten Gesten. Diese wurden mit abrupten Einwürfen konfrontiert, die die bestehende innere Ordnung aufbrachen. Etwas unvermittelt endete das feinsinnige Werk, eine weitere Verarbeitung der vorgestellten Gedankenwelten wäre willkommen gewesen.
Vier Temperamente porträtierte Wolfram Wagner in seinem Konzert für Marimbaphon und Streichorchester. Energiegeladen musizierte der Wiener Concert-Verein unter der Leitung von Martin Kerschbaum und stellte die in Musik gesetzten Eigenheiten eines Phlegmatikers, Cholerikers, Melancholikers und Sanguinikers mit treffenden Themen dar. So blieben im ersten Satz die fragenden Motive und der sich immer wieder verlangsamende musikalische Fluss in Erinnerung. Klar, dass der Choleriker mit unruhigen Trillern und harten Klängen einen impulsiven Kraftakt setzte und mit Wiederholungen einzelner Passagen auf höheren Tonstufen einigen musikalischen Phrasen gehörig Nachdruck verliehen wurde. Im melancholischen Abschnitt wurde die Stille hervorragend mit in das musikalische Geschehen einbezogen, allerdings geriet dieser Teil mit den 'pastosen' melodischen Linien zu lang. 'Attacca' fügten die Musiker:innen das dem Sanguiniker gewidmete Finale an. Die geistreiche Musik erinnerte in ihrem musikalischen Ausdruck an das amerikanische Flair eines George Gershwin.
Wolfram Wagner komponierte das Konzert in enger Zusammenarbeit mit dem Marimbaphonisten Thomas Schindl. Als Solist lebte er die Musik und brachte die enorme Vitalität und Virtuosität, aber auch die nuancierten Tongebungen im Zusammenwirken mit dem Streichorchester voll zur Geltung.
„Eine kleine Streichmusik“ und „Das Abenteuer der Frau Mayer“
Von Axel Seidelmann stand ein wenig repräsentatives Werk für Streichorchester auf dem Programm. Anlässlich der 50-Jahr Feier der Musikschule Linz ist „Eine kleine Streichmusik“ vor gut 20 Jahren entstanden und dementsprechend in einem pädagogischen Kontext zu sehen. So war die Aufführung im Rahmen des Zeitklangs eine vertane Chance, denn Axel Seidelmann hat zahlreiche spannende Kompositionen mit großer Aussagekraft in seiner Werkliste.
Als Höhepunkt war das Tonpoem „Das Abenteuer der Frau Mayer“ angekündigt. Die Bratschistin Isabella Stepanek hat einen wunderbar direkten und humorvollen Text über Lust, Leidenschaft und Sex geschrieben. Als Performerin und Solistin zog Isabella Stepanek das Publikum sofort in ihren Bann. Denn ihre authentische Ausstrahlung und die markigen Ausführungen wirkten ehrlich und waren amüsant. Die Dating-App Tinder habe sie zu direkten und klaren Aussagen erzogen, sagte die Künstlerin. Fridolin Meinl als Sprecher erzählte Geschichten von Frau Meyer und Ernst, von vergnüglichen Sexspielen sowie dem nach ökologischen Kriterien gebauten Club „Goldfinger“. Die Atmosphäre der Texte goss der Komponist Flip Philipp als fantasievolle Reflexionsflächen in abwechslungsreiche symphonische Jazznummern (am Vibrafon: Mathias Schmidt). Isabella Stepanek füllte ihre solistischen Freiräume wunderbar aus, wurde aber teilweise vom eher dominant agierenden Orchester überdeckt. Das animierende Tonpoem begeisterte die Zuhörenden.