Neu in den Kinos: „The Ugly Stepsister“ Michael Pekler · Jun 2025 · Film

Das alte Märchen vom Aschenputtel neu erzählt: Um dem begehrten Prinzen zu gefallen, unterzieht sich die vermeintlich hässliche Stiefschwester einer so eigenwilligen wie selbstzerstörerischen Schönheitsprozedur. Mit ihrem vielbeachteten Langfilmdebüt legt die norwegische Regisseurin Emilie Blichfeldt einen fulminanten Body-Horror-Film vor.

Es war einmal eine Mutter zweier Töchter, die heiratete einen reichen Witwer. Auch dieser hatte eine Tochter, und die war gut und schön. Doch weil ein Unglück selten allein kommt, starb nicht nur der Mann kurz nach der Hochzeit, sondern es stellte sich heraus, dass er in Wahrheit arm wie eine Kirchenmaus war. Nicht einmal ein Begräbnis konnte sich die Frau für den Toten leisten, und so verrottete sein bald mit Gewürm übersäter Leichnam im Keller. Doch wie in einem Märchen war die Rettung nah: Der Prinz ließ verkünden, dass er heiraten wolle und auf der Suche nach der für ihn perfekten Gemahlin sei. Zuvor müssten sich die allesamt heiratswilligen Jungfrauen des Landes allerdings bei einem Ball in Augenschein nehmen lassen. 
In den Märchen der Brüder Grimm wird so manches Problem bekanntlich nicht eben harmlos aus der Welt geschaffen. Mord, Folter und Verstümmelung gehören sozusagen zum leidvollen Alltag jener, die in die Welt hinausziehen oder zuhause ums nackte Überleben kämpfen. Die Armut ist dabei gar nicht das geringste Übel, sondern oft dessen Wurzel. Denn arm und hässlich waren die Menschen schon immer. In der norwegischen Neuerzählung des klassischen „Aschenputtel“ mit dem Titel „The Ugly Stepsister“ ist Elvira (Lea Myren), die ältere der beiden Schwestern, beides. Tatsächlich ist sie im Gegensatz zu ihrer Stiefschwester Agnes (Thea Sofie Loch Næss) nicht blond und gertenschlank, hat noch dazu eine leicht schiefe Nase im rundlichen Gesicht und ist damit nicht schön genug für ihren Prinzen, in dessen Arme sie sich träumt. Aber sie hat eine ebenso gierige wie ehrgeizige Mutter (Ane Dahl Torp), die ihre Seele verkaufen würde, um die Tochter und damit sich selbst zu Reichtum zu verhelfen. Den Körper sowieso.

Schönheit ist Kapital

„The Ugly Stepsister“ wird seit seiner Premiere beim Sundance Festival und seiner Präsentation bei der Berlinale als Body-Horror-Komödie beschrieben. Das ist zwar nicht ganz falsch, als Bezeichnung dennoch unzureichend. Denn Komik blitzt im Langfilmdebüt von Emilie Blichfeldt nur selten auf, vielmehr wirken die schmerzhaften Operationen und Optimierungen, denen sich Elvira unterzieht, so bizarr und grausam wie sie sind. Zumindest benötigt der skurrile französische Schönheitschirurg, der bei Elvira Hand anlegt, zu Beginn bei der Entfernung der Zahnregulierung kein Kokain für die Patientin und sich selbst. Bei den Augenlidern später schon.
Wie zuletzt der mit Demi Moore starbesetzte „The Substance“, der dem Body-Horror-Kino neue Aufmerksamkeit bescherte, thematisiert auch „The Ugly Stepsister“ das selbstzerstörerische Verlangen nach scheinbarer Perfektion – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Durch den Rückgriff auf das Grimmsche Märchen und die Fokussierung auf die „hässliche“ Stiefschwester rückt Blichfeldt einen anderen Schönheitswahn ins Zentrum: nicht den von Industrie und Werbung befeuerten, sondern den durch Hoffnung auf gesellschaftlichen Aufstieg und Angst vor Armut genährten. Dort wie da gilt jedenfalls: Schönheit ist Kapital. 

Verhängnisvolle Schatulle

Der zynische Blick von „The Substance“ auf seine sich dem Jugendwahn unterwerfende Protagonistin und ihre monströse Verwandlung ist in „The Ugly Stepsister“ nicht zu finden. Im Gegenteil wird eine Empathie für die junge Frau spürbar, die sich – zunächst nur von schwärmerischen Träumereien geleitet – in eine Abhängigkeit begibt, aus der es kein Entkommen mehr gibt. Natürlich ist es eine männlich dominierte und verdorbene aristokratische Gesellschaft, die alle Normen und Regeln bestimmt, zugleich sind es ausgerechnet die eigene Mutter und eine Mentorin mit verhängnisvoller Schatulle, die Elvira zum Äußersten treiben. Die einzige Stimme der Vernunft gehört ausgerechnet der jüngeren Schwester Alma (Flo Fagerli), die das grausame Spiel als Einzige durchschaut. Anders als in „Aschenputtel“ wird immerhin nicht auch sie „für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft“.
Nicht nur weil „The Ugly Stepsister“ als norwegische Produktion tatsächlich in Polen gedreht wurde, erinnert die Ästhetik des Films wiederholt an osteuropäische Märchenfilme der Nachkriegsjahre. Der märchenhafte Realismus einer fabelhaften Vergangenheit wird jedoch – nicht zuletzt durch den nervösen Einsatz von Synthesizern auf der Tonspur – im Hier und Jetzt entzaubert. „Indem wir mit Aschenputtel mitfühlen, uns aber über die Stiefschwester lustig machen, werden wir getäuscht und verraten uns selbst“, so Emilie Blichfeldt. „Es gibt nur ein Aschenputtel. Der Rest von uns, die darum kämpfen, in den Schuh zu passen, sind Stiefschwestern.“

ab 8.6., Cinema Dornbirn, Cineplexx Hohenems

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