Neu in den Kinos: „The Long Walk – Todesmarsch“ Michael Pekler · Sep 2025 · Film

Wer zu langsam ist, bleibt auf der Strecke: Die Verfilmung von Stephen Kings dystopischer Erzählung über eine Gruppe junger Männer, die so lange durch Amerika marschieren muss, bis ein einziger Teilnehmer übrig bleibt. „Hunger Games“-Regisseur Francis Lawrence hat sich Kings allegorischer Botschaft angenommen und erklärt sie uns mit den Mitteln des Unterhaltungskinos.

„Es sind nur ein paar Tage.“ Der junge Mann am Beifahrersitz versucht seine Mutter zu beruhigen, doch die Chancen stehen so schlecht wie jene auf den Sieg bei dem tödlichen Wettkampf, zu dem die beiden unterwegs sind. Ray Garraty (Cooper Hoffman) nimmt am sogenannten „Long Walk“ teil, für den er sich freiwillig gemeldet hat. Noch könnte er sich anders entscheiden, die Mutter drängt zur Umkehr. Doch Ray ist fest entschlossen, schließlich ist die Teilnahme angeblich eine Ehre und dem Sieger wird dessen größter Wunsch erfüllt. Außerdem hat er noch einen anderen triftigen Grund.
Am Startplatz bei einer Straßensperre, irgendwo im amerikanischen Niemandsland, warten bereits seine Konkurrenten. Man beäugt sich misstrauisch, wechselt schließlich ein paar Worte. Alle haben einen Rucksack dabei und ein wenig Proviant. Die Teilnehmer stammen aus allen Bundesstaaten, Ray ist Lokalmatador und wird später sogar durch seine Heimatstadt marschieren. Und seine Mutter am Straßenrand noch einmal sehen. 

Ausgeträumt

Stephen Kings „The Long Walk“, geschrieben in den Siebzigerjahren unter dem Eindruck des Vietnamkriegs und sozialer Unruhen, ist wahrscheinlich eine der bekanntesten Dystopien der modernen US-Literatur. Die Vereinigten Staaten sind am Ende, die Bevölkerung ist verarmt, der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Hunger und Elend regieren das Land, eine Militärdiktatur unterdrückt mit brutaler Härte jeden Widerstand und jede Kritik am System. Und so treten auch die Jugendlichen wie willenlose Soldaten ihren Marsch ohne Ziel an. Doch am Ende darf nur einer stehenbleiben: Wer die Schrittgeschwindigkeit von drei Meilen pro Stunde unterschreitet, bekommt aus dem Lautsprecher eines der Militärfahrzeuge eine Verwarnung. Bei der dritten ein „Ticket“. Also eine Kugel in den Kopf.

Blaupause

Ein knappes halbes Jahrhundert nach seiner Veröffentlichung wirkt „The Long Walk“ mit seiner recht simplen Botschaft nahezu anachronistisch. Das liegt weniger an der guten Absicht, mit der King – unter dem Pseudonym Richard Bachman – seinen allegorischen Roman schrieb, als an der Tatsache, dass die nihilistische Geschichte über das nackte Überleben im Polizeistaat nahezu zu einer Blaupause für spätere Dystopien mit jugendlichen Charakteren wurde. So ist es natürlich kein Zufall, dass Francis Lawrence, Regisseur der letzten drei Filme der populären „Hunger Games“, nun junge Erwachsene den Todesmarsch antreten lässt. Im Vergleich zu den Hungerspielen, bei denen Jugendliche aus diversen Distrikten ums Leben kämpfen müssen, sind Gruppendynamik und die holzschnittartigen Charaktere diesmal allerdings meilenweit vorhersehbar. 

Stillstand

Die coolen Sprüche sind mit den ersten Krämpfen zu Ende, ein Stein im Schuh kann das Leben kosten. Wer austreten muss, hat ein Problem, das schnell gelöst werden muss. Wie bei King bildet sich eine Viererbande, die sich Musketiere nennt. „Eine kurze Freundschaft ist besser als keine“, lautet der schwache Trost, der aber besser ist als keiner. Im Gegensatz zur Romanvorlage ist die Gruppe nunmehr vorbildlich divers, gestorben wird dennoch der Reihe nach. Vor allem wenn die Strecke bergauf führt. Nur für das Finale hat man sich eine wenig überraschende Änderung aufgehoben. Während das Szenario bei King „in naher Zukunft“ angesiedelt ist, sieht auf der Leinwand nun alles aus wie in den Fünfzigerjahren: ein Land im Stillstand.

Schaulaufen

„The Long Walk“ zeichne das Bild eines Amerikas, „in dem den Menschen keine andere Wahl bleibt, als ihr Leben zu riskieren, um sich eine bessere Zukunft zu sichern“, heißt es im Regiestatement im Presseheft, „um ein Dach über dem Kopf zu bezahlen oder Essen auf den Tisch zu bringen.“ Und dass Kings Roman auch im Jahr 2025 noch genauso aktuell und relevant sei. Das stimmt nur bedingt.
Denn obwohl „The Long Walk“ mit seiner holzhammerartigen Warnung vor dem diktatorischen Überwachungsstaat etwas Zeitgeistiges anhaftet, wirkt die Erzählung selbst wie aus der Zeit gefallen. Auch wenn dieser Tage die Nationalgarde auf Befehl eines US-Präsidenten wieder aufmarschiert und angeblich für Ordnung sorgen soll, während Rechtspopulisten weltweit alles wieder groß, vor allem aber sich selbst noch größer machen wollen, ist „The Long Walk“ am Ende ein spektakuläres Schaulaufen. Zu Beginn des Films sieht man eine Fernsehkamera in einem der Militärfahrzeuge, die den Wettkampf begleiten. Nicht zu sehen bekommt man jedoch ein einziges Bild vom angeblich landesweit übertragenen Marsch. Keine Bilder, die über Fernsehschirme flimmern. So bekommt man, ohne selbst als Voyeur ertappt zu werden, das Spektakel im Kinosaal zu sehen. Als jugendliche Zielgruppe dieses Films am besten mit Popcorn und einem Erfrischungsgetränk.

ab 11.9. im Kino Bludenz, Cineplexx Hohenems; ab 12.9. im Skino Schaan (OmU)

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