Neu in den Kinos: „One Life“ Michael Pekler · Mär 2024 · Film

Anthony Hopkins in der Rolle des britischen Humanisten Nicholas Winton, der kurz vor Kriegsausbruch Hunderte jüdische Kinder aus Prag rettete. Während sich in den zahlreichen Rückblenden die Ereignisse überstürzen, verlässt sich das Biopic auf seinen alten Star in der Gegenwart, dem es nicht gelingt, mit der Vergangenheit abzuschließen.

„Fangen Sie nichts an, was Sie nicht zu Ende bringen können.“ Rabbi Hertz (Samuel Finzi) taucht in diesem Film zwar nur in einer einzigen Szene auf, hat für den jungen Mann ihm gegenüber aber einen wichtigen Ratschlag. Und zugleich einen, den Nicholas Winton (Johnny Flynn) nicht befolgen wird können. Denn tatsächlich wird er etwas beginnen, das er nicht zu Ende bringen kann: die Rettung aller jüdischen Kinder in Prag vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten.
Winton ist ein Londoner Börsenmakler mit Verbindungen zur Tschechoslowakei, als die deutsche Wehrmacht bald nach dem „Anschluss“ Österreichs im Oktober 1938 das Sudetenland besetzt. Als Winton sich in Prag aufhält, wird er mit dem Elend der geflüchteten Familien konfrontiert, die in aufgelassenen Lagerhallen und Innenhöfen unter unmenschlichen Bedingungen ausharren. Vom drohenden Einmarsch der Nazis alarmiert, beschließt Winton, sich für die Sicherheit zumindest der Kinder einzusetzen.

Die letzten Seiten

„One Life“ ist das nächste in einer gefühlt nicht enden wollenden Reihe an Biopics zum Thema Holocaust. Nach „The Zone of Interest“ über die Familie des Auschwitz-Kommandanten Höß und dem in wenigen Wochen startenden „Führer und Verführer“ über Magda Goebbels blickt „One Life“ allerdings zwischendurch wieder auf die Opfer und deren Retter. Sir Nicholas Winton (1909–2015) machte sich verdient, indem er bis Kriegsausbruch 669 jüdische Kinder aus der Tschechoslowakei vor dem Tod bewahrte, indem er sie per Kindertransport nach England brachte. Doch weil der „britische Schindler“, wie er später genannt werden sollte, jahrzehntelang nicht über seine Taten sprach, geriet sein Verdienst bis in die späten Achtzigerjahre in Vergessenheit.
Man kann es dem britischen Fernsehregisseur James Hawes nicht verübeln, dass er sich weniger auf die dramatischen Geschehnisse in Prag als auf Winton als alten Mann konzentriert, hat er für diese Rolle doch mit Anthony Hopkins einen Star zur Verfügung, der diesen mit zahlreichen Rückblenden angereicherten Film tragen soll. Damit sich allerdings nicht nur in Prag die Ereignisse überstürzen, sondern sich auch in der Gegenwart etwas verändert, lebt Winton noch immer in der Vergangenheit. Er müsse endlich abschließen, ermahnt ihn gleich zu Beginn seine gutmütige Frau, denn ein Blick in Wintons Arbeitszimmer beweist das Gegenteil: ein mit Schachteln und Papieren überfülltes Privatarchiv lässt ihm keine Ruhe. Und im wichtigsten Stück, seinem Erinnerungsalbum mit Fotografien der Kinder, sind die letzten Seiten leer geblieben. Er hat die ihm selbst gestellte Aufgabe nicht zu Ende gebracht.

Innerer Frieden

Was den jungen wie den alten Winton gleichermaßen antreibt, ist also eine Rastlosigkeit, aber auch ein gewisser Hang zum Starrsinn. Hopkins als altem Mann steht dieser entsprechend besser zu Gesicht, während Buch und Regieführung mit dem jungen Lebensretter und Humanisten wenig anzufangen wissen. Die desillusionierten britischen Landsleute in Prag überzeugen, Namenslisten und Züge organisieren, Vertrauen aufbauen und zwischendurch nach London fliegen, um mithilfe der engagierten Mutter (Helena Bonham Carter) Geld und Pflegefamilien aufzustellen: All das wird routiniert erledigt, während derselbe Mann Jahrzehnte später den schwierigeren Kampf mit sich selbst ausficht, um inneren Frieden zu finden.
Ein Film wie dieser kann nur damit enden, dass Winton der späte Sieg gelingt. Dass er das, was er als junger Mann nicht zu Ende bringen konnte, obwohl er Hunderte Kinder rettete, akzeptiert. Und dass er eine Bestätigung für seine heldenhafte Tat erfährt – nicht von den Spitzen des Staates, sondern von jenen Menschen, die ihm wichtig sind.

ab 28.3., Cinema Dornbirn

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