Neu in den Kinos: „Miller’s Girl“ Michael Pekler · Mär 2024 · Film

Martin Freeman verliebt sich als älterer Literaturprofessor in Jenna Ortega als so ehrgeizige wie hübsche Studentin. Das kann nicht gut gehen und tut es im Debütfilm von Jade Halley Bartlett auch nicht.

Wenn Jonathan Miller ein wenig schlauer wäre, hätte er gewusst, was da mit schwarzem Haar, langen Beinen und Kirschenmund auf ihn zukommt. Allein der Namen hätte genügen und alle Alarmglocken beim Literaturprofessor läuten lassen müssen: Cairo Sweet. So kann doch keine Studentin heißen, die nicht nur an Belletristik, sondern sogar an Lyrik interessiert ist. Die lange vor Unterrichtsbeginn im Klassenraum, der aussieht wie ein viktorianisches Musikzimmer, auf anregenden Austausch wartet und schöngeistige Worte aus dem verführerischen Ärmel schüttelt. Die allein in einem Herrenhaus wohnt, weil die reichen Eltern keine Zeit für sie haben, und die jeden Morgen wie Rotkäppchen durch ein Wäldchen zur Schule spaziert. Wenn Jonathan Miller also nur ein wenig schlauer wäre als die meisten Männer seiner Altersgruppe, dann hätte er seiner Faszination für Cairo Sweet nicht dermaßen unverhohlen zum Ausdruck gebracht. Doch jetzt ist es zu spät, und Miller muss die Rechnung bezahlen, obwohl er doch rechtzeitig die Reißleine ziehen wollte. Jetzt ist Cairo Sweet „Miller’s Girl“. 
Dass dieser Film von Jade Halley Bartlett, mithin von einer Frau, geschrieben und inszeniert wurde, macht die Geschichte wohl weniger angreifbar, aber nicht unbedingt verdaulicher. Denn Bartlett lässt tunlichst kein Klischee vom einsamen Intellektuellen, der plötzlich wieder von der Sinnesfreude des Lebens übermannt wird, aus: Vor vielen Jahren hat Miller selbst einen Roman geschrieben und zwei Rezensionen erhalten. Und Cairo hat „Apostrophes and Ambersands“ sogar gelesen! Seine meist angetrunkene Frau ist eine gestresste, aber erfolgreiche Autorin, die ihn in Wahrheit verachtet, weil er kein Bestsellerautor, sondern Lehrer geworden ist. Und sein einziger Kumpel, der Sportlehrer, plaudert zwar gern, hat aber für Millers erotische Irrungen und Verwirrungen kein Sensorium. Miller macht also praktisch alles falsch: Weder die gemeinsame Zigarette nach Unterrichtsschluss noch der gemeinsame Besuch eines Literaturclubs erweisen sich – im Nachhinein – als gute Idee. Miller will fördern, ist aber sichtlich überfordert. Und als ihm die Verführerin einen Aufsatz vorlegt, der zwar seine Fantasien beflügelt und an Henry Miller erinnern soll, aber eigentlich schlechter Porno ist, hat der gute Mann dann plötzlich zu Recht Angst um seinen Job.

Maus und Katz

Man muss nicht zuletzt Catherine Breillats bemerkenswerten Erotikthriller „Im letzten Sommer“ über die Liaison zwischen einer älteren Frau und ihrem jungen Stiefsohn gesehen haben, damit „Miller’s Girl“ einen schalen Beigeschmack hinterlässt. Denn dieser stellt sich nicht bloß ein, weil ein älterer weißer Herr (Martin Freeman bemüht sich in der Rolle des unverstandenen Naivlings) sich in eine hübsche Studentin („Wednesday“-Star Jenna Ortega bleibt eine Charakterentwicklung verwehrt) verliebt. Auch darüber können, dürfen und sollen selbstverständlich Filme geschrieben werden, wenn sie dem „Lolita“-Kino eine neue relevante Perspektive hinzufügen. Auch ein Vierteljahrhundert später hat „American Beauty“ nichts von seinem zynischen Witz verloren. Bartlett hingegen verlässt sich darauf, dass die brisanten Themen eine scheinbar zeitgemäße Story tragen, bloß weil sie angedeutet werden: der Umgang mit tabuisiertem Verlangen nach MeToo, die Furcht vor möglicher Grenzüberschreitung und potenziellem Machtmissbrauch. Einen wesentlichen Kommentar dazu hat „Miller’s Girl“ jedoch nicht zu bieten. 
Stattdessen liefern Lehrer und Schülerin einander ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Rolle der Katze schnell vergeben ist. Die graue Maus hat ihre Schuldigkeit getan, auch wenn sie möglicherweise unschuldig ist. 

ab 14.3., Cineplexx Hohenems

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