Neu in den Kinos: „Köln 75“ Michael Pekler · Apr 2025 · Film
Die wahre Geschichte hinter der Entstehung des legendären „Köln Concert" von Keith Jarrett im Jänner 1975: Ido Fluk erzählt mit viel Witz, warum sich der Auftritt des Jazzgenies in der Kölner Oper der Leidenschaft einer 18-jährigen Veranstalterin verdankt. Ein Nicht-Konzertfilm über ein Konzert und eine der meistverkauften Solo-Jazzplatten.
Ein Film über einen der weltbesten Jazzmusiker muss noch lange kein Musikdokumentarfilm sein. Er kann sich etwa nur einem einzigen Konzert widmen. Doch derartige Dokus sind hinlänglich bekannt, und vor allem die Rock- und Popmusikgeschichte ist voll mit sogenannten Sternstunden, die dokumentiert wurden – und auch deshalb zu solchen werden konnten. Und Biopics über Musikerinnen und vor allem Musiker gibt es nicht nur gefühlt genug. Umso origineller ist der Ansatz des israelischen Regisseurs Ido Fluk: In „Köln 75“ über das legendäre Konzert von Keith Jarrett am 24. Jänner 1975 in der Kölner Oper ist kein einziger Ton der berühmt gewordenen Aufnahme zu hören. Und obwohl sich in diesem Spielfilm fast alles um Jarrett dreht, spielt der berühmte Jazzpianist nur eine Nebenrolle.
Gleich zu Beginn erlaubt sich die Erzählerstimme des amerikanischen Musikjournalisten Michael Watts – der später im Film als Zeitzeuge auch zu sehen sein wird – einen mutigen Vergleich: „Köln 75“ sei als Gerüst zu verstehen, wie auch Michelangelo ein solches für seine Arbeit in der Sixtinischen Kapelle benötigte. Also als eine Steighilfe, die jedes Genie braucht, um genial sein zu können. Für die lebende Jazzlegende Keith Jarrett (John Magaro) macht die junge Konzertveranstalterin Vera Brandes (Mala Emde) die Steigbügelhalterin, indem es ihr gelingt, den von ihr bewunderten Pianisten während seiner Europatournee nach Köln zu holen. Doch bis Jarrett an diesem einen Abend auf der Opernbühne endlich in die Tasten greift, muss Brandes schier unüberwindliche Hindernisse aus dem Weg räumen – und zunächst mal als 16-jährige Gymnasiastin klein anfangen.
Cooler Jazz mit Eis
Im konservativ-katholischen Köln der frühen Siebzigerjahre weht gerade der frische Wind der 68er-Jugend. Noch muss sich Vera dem Druck ihres Vaters (Ulrich Tukur) beugen, doch der Widerstand gegen das Patriarchat wächst im selben Ausmaß wie ihre Liebe zur Musik – zum Jazz. Während andere junge Frauen in ihrem Alter lautstark Rockmusik hören, verbringt Vera ihre Abende gegen den Willen ihrer bürgerlichen Eltern in Campis Eisdiele, einem der wenigen Orte, an denen Jazz live gespielt wird. Es ist ein Treppenwitz der Musikgeschichte, dass ausgerechnet Jarretts „Köln Concert“ später vor allem bürgerliche Plattensammlungen schmücken wird.
Ihr Draufgängertum beschert Vera vor Ort den ersten Job: Mit dem Telefonbuch in der Hand und mäßigen Englischkenntnissen organisiert sie eine Deutschland-Tournee für das Ronnie Scott-Trio. Drehbuch und Regie lassen keinen Zweifel daran, dass dieser Heldin ihr ganz großer Coup noch bevorsteht: Wie ein Energiebündel reißt Vera ihre Umgebung mit, fährt 1973 zu den „Berliner Jazztagen“ und sieht und hört dort Jarrett spielen. Zwei Jahre später erreicht die damals 18-Jährige ihr Ziel – Jarrett sagt zu, in Köln aufzutreten, nachdem sie auf eigenes Risiko 10.000 Mark ausgelegt hat. „An das erste Mal erinnert man sich immer“, wird Vera später sagen.
Ein Stutzflügel macht stutzig
Das ambivalente Auftreten Jarretts vor allem als Solomusiker nach seinem Ausstieg aus der berühmten Jazzrock-Formation von Miles Davies kennt jeder Jazzfan. Wohl auch deshalb zieht Fluk einen zweiten Erzählstrang ein, in dem sich der von Rückenschmerzen geplagte Jarrett und sein Freund und Musikproduzent Manfred Eicher (Alexander Scheer), legendärer ECM-Gründer, in einem schnuckeligen R4 von Lausanne nach Köln auf die Reise machen und Watts (Michael Chernus) auf der Rückbank mitnehmen. Dieses Roadmovie funktioniert nicht nur als Parallelhandlung, sondern auch als Einstimmung auf den Moment, in dem sich Jarrett in Köln weigert zu spielen: Auf der Bühne steht nicht der gewünschte Bösendorfer 290 Imperial, sondern ein Stutzflügel mit lädiertem Pedal. Weshalb die letzten zwanzig Minuten dieses Films einem Krimi gleichen.
Dass in „Köln 75“ nicht der leiseste Ton des Konzerts zu hören ist, liegt an Jarrett selbst. Die Jazzlegende verweigerte Zusammenarbeit und Zugriff auf die Aufnahme, den Soundtrack zum Film bestreiten auch deshalb unter anderem Claude Debussy, Floh de Cologne („Sei ruhig, Fleißbandbaby“), Can und Nina Simone. Was überhaupt nichts ausmacht, denn gerade diese Leerstelle füllt perfekt diesen mit viel Witz erzählten und inszenierten Nicht-Konzertfilm.
ab 5.4., TaSKino im GUK Feldkirch (dt.-engl. OmU)