Neu in den Kinos: „Killers of the Flower Moon“ Michael Pekler · Okt 2023 · Film

In seinem starbesetzten True-Crime-Thriller beleuchtet Martin Scorsese ein dunkles Kapitel der amerikanischen Geschichte: Nachdem im Reservat der Osage schier unerschöpfliche Erdölfunde für Reichtum sorgen, versetzt in den 1920er Jahren eine Mordserie die indigene Bevölkerung in Angst und Schrecken.

Der amerikanische Westen ist ein Traum. Er ist wirklich, und er ist es nicht. Den amerikanischen Westen gibt es, und man hat ihn erfunden. Im Kino ist er seit mehr als hundert Jahren ein Mythos. Und manchmal ein Albtraum.
Zu Beginn dieses knapp dreieinhalbstündigen Films kommt ein junger Mann nach einer langen Bahnfahrt in einer Stadt im amerikanischen Westen an. Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) ist aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause zurückgekehrt – oder zumindest nach Osage County. Sein verkniffener Blick ist der eines Fremden. Er nimmt einen letzten Schluck, ehe er von der Menge über den Bahnhof gespült wird. Die Stadt ist eine Boomtown. Während der Autofahrt zu seinem Onkel William Hale (Robert De Niro), einem reichen Geschäftsmann und Viehzüchter, bei dem Burkhart – wie bereits sein älterer Bruder – vorerst wohnen wird, passiert man Hunderte von Bohrtürmen. Denn Osage County ist ein einziges Ölfeld.
Und doch ist hier alles anders, denn das Land gehört ausnahmsweise nicht den Weißen, sondern den Indigenen. Natürlich ahnte niemand, als man sie ins Reservat steckte, dass sie damit auch die dazugehörigen Bohrrechte besitzen würden. Bis die Ölfontänen aus dem Boden schossen, die Osage plötzlich zu unglaublichem Reichtum und die Weißen wie die Fliegen kamen, um ein Stück vom Geldkuchen abzubekommen.

Mörderische Geschichte

„Killers of the Flower Moon“ ist eine Erzählung des Journalisten David Grann mit dem Untertitel „Oil, Money, Murder and the Birth of the FBI“. Granns zu Recht hochgelobter True-Crime-Roman wurde bei seinem Erscheinen vor einigen Jahren zum Bestseller, noch populärer wird die mörderische Geschichte rund um Ernest Burkhart und die Gier der Weißen nach dem Schwarzen Gold aber nun mit ihrer Verfilmung durch den 80-jährigen Starregisseur Martin Scorsese. 
Es sind vor allem die jungen indigenen Frauen, auf die es die weißen Eindringlinge abgesehen haben. Denn die Osage unterliegen nach wie vor der rassistischen Bedingung einer „Vormundschaft“ mittels weißer Mitunterschrift, ohne die sie das Einkommen nicht beanspruchen können. Weshalb durch eine Heirat mit einer Osage-Frau ein Vermögen winkt. Dann bräuchte man das Auto nicht mehr zu tanken, sondern könnte sich einfach ein neues kaufen, Wettrennen durch die Straßen veranstalten, sich angemessen teures Mobiliar aus Europa liefern lassen. Und sollte die Ehefrau auf unerklärliche Weise tot aufgefunden werden, würde man endlich das besitzen, was einem gottgegeben ohnehin gehört. 
Dass die Mordserie unter den Osage, an deren Aufklärung die lokale Behörde in der Person eines korrupten Sheriffs wenig interessiert ist, auch bei Hale scheinbar für Entsetzen sorgt, liegt daran, dass der Neffe nach tatkräftigem Zuspruch eben die junge, aber unter zunehmend schwerer Diabetes leidende Osage-Frau Mollie Brown (Lily Gladstone) geheiratet hat. Und dass Mollies selbstbewusste Schwester Anna (Cara Jade Nyers), die sich eben von Burharts Bruder hat scheiden lassen, brutal ermordet aufgefunden wird.

Geld und Gier

Was ein klassischer Whodunit im historischen Setting hätte werden können, erweist sich jedoch bald als zwar verwinkelt erzähltes, aber leicht durchschaubares Psychodrama. Denn Scorsese macht aus der Frage nach dem Täter kein großes Rätsel, sondern interessiert sich – einmal mehr – für das unheilvolle Zusammenwirken von Macht, Geld und der damit unabdingbar einhergehenden Gier. Also für die Voraussetzungen für die Erfolgsgeschichte des amerikanischen Jahrhunderts.
Die Ermordung Hunderter Osage-Angehöriger zu Beginn der 1920er Jahre; der mehr oder weniger unverhohlene Rassismus – das Massaker von Tulsa 1921 wird als Randnotiz in Form einer Wochenschau vorgeführt – und das schließlich nach Oklahoma entsandte, eben gegründete FBI (wie in jeder seiner Nebenrollen großartig: Jesse Plemons als ermittelnder Detective) bilden als historische Tatsachen nur den Rahmen für das Psychogramm eines gierigen Schwächlings: Obwohl er seine Frau tatsächlich liebt, kann Burkhart dem immer weniger subtil ausgeübten Terror des Onkel nicht entkommen. Dass dem Kampf des wahren Opfers, Mollie Brown, hingegen kaum Beachtung geschenkt wird, ist angesichts der Tatsache, dass Scorsese in seinen Filmen mit Frauenfiguren noch nie viel anzufangen wusste, leider nicht überraschend.
„Killers of the Flower Moon“ ist nicht nur ein verhältnismäßig langer, sondern mit einem Produktionsbudget von 200 Millionen Dollar auch teurer Film, den sich – nachdem Scorseses Gangstersaga „The Irishman“ von Netflix finanziert wurde – diesmal hauptsächlich der Streamingdienst Apple TV+ leistete (wo der Film nach dem Kinoeinsatz demnächst zu sehen sein wird). Das passt auch deshalb gut, weil die Aufarbeitung historischer Verbrechen an Minoritäten neben dem Eintreten gegen gegenwärtigen Rassismus zur Priorität in der Film- und Serienproduktion des Konzerngiganten gehört. Und der sich wohl auch deshalb mit diesem Film in wenigen Monaten höchstwahrscheinlich über mehr als nur einen Oscar wird freuen dürfen.

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