Neu in den Kinos: „Horizon“ Michael Pekler · Aug 2024 · Film
Zwischen Wahrheit und Legende: Im ersten Teil seiner monumentalen Kinoreihe widmet sich Kevin Costner dem Gründungsmythos der amerikanischen Nation. Der dreistündige Auftakt ähnelt dem verlockenden Versprechen, das den weißen Siedlern im Film gemacht wird: Lass dich überraschen, was hinter dem Horizont auf dich wartet.
Auf Werbebroschüren sieht immer alles anders aus als in Wirklichkeit. Zum Beispiel das Land, das noch kaum jemand zu Gesicht bekommen hat und nun zur Besiedelung freigegeben worden ist – ein unwiderstehlicher Lockruf. Gedruckt werden die Plakate mit der Aufschrift „Horizon“ in einer der großen Städte an der Ostküste, die gleichnamige Siedlung in der Prärie von New Mexico ist der Traum, der mit ein paar Papierfetzen verkauft wird. Dass das Gebiet, in dem 1861 von weißen Siedlern die ersten Holzpflöcke an den Ufern eines Flusses eingeschlagen werden, schon jemandem gehört, interessiert die Ankömmlinge wenig: Die indigenen Einwohner sind für der selbsternannten Eroberer bloß Teil jener Wildnis, die es zu besiegen gilt.
Dass der revisionistische Western längst zur Erkenntnis gelangt ist, dass die Besiedelung Amerikas mit dem Genozid an den Ureinwohnern einherging, ist unter anderem Kevin Costner zu verdanken, der vor mehr als dreißig Jahren mit seinem Regieerstling „Dances With Wolves“ einen der bis heute populärsten und beliebtesten Western der Kinogeschichte inszenierte. Als gesellschaftspolitisch liberale Stimme ist Costner dem Western seither nicht nur treu geblieben, sondern verbuchte er zuletzt mit der Serie „Yellowstone“ (fünf Staffeln, auf Paramount+) inklusive zweier Spin-Offs sogar einen großen kommerziellen Erfolg. Der Zeitpunkt für die vierteilige Filmreihe „Horizon“ (der zweite Teil ist für Anfang November angekündigt), die Costner als Regisseur, Co-Autor und in einer der Hauptrollen nun ins Kino bringt, könnte also nicht besser gewählt sein. Der bislang eher holprige Start an den US-Kassen will noch nichts heißen – die kolportierten 50 Millionen Dollar, die Costner aus seiner privaten Tasche in sein Herzensprojekt investierte, werden sich wohl dennoch buchstäblich bezahlt machen.
Die größte Saga aller Zeiten
Die Gründung der amerikanischen Nation ist Epos und Mythos zugleich, Wahrheit und Vision, befeuert von der Literatur und in der Folge vor allem vom Unterhaltungskino. Wenig überraschend sind also auch jene Bilder und Erzählungen, die Costner in seiner ersten Regiearbeit seit zwanzig Jahren („Open Range“, 2003) für die größte amerikanische Saga aller Zeiten findet: Als die neu gegründete Siedlung Horizon, die zunächst nur aus einfachen Zelten besteht, von den Indigenen niedergebrannt wird, tauchen auf beiden Seiten neue Fronten auf. Auf der einen Seite wird Rache geschworen und machen sich grausame Skalpjäger auf den Weg, auf der anderen entzweit ein Vater-Sohn-Konflikt den Stamm. Während der besonnene Anführer der Apachen weiß, dass der Krieg mit den Weißen nur zum schnellen Untergang seines Volkes führt, schlägt der älteste Sohn mit etlichen Kriegern den anderen Weg ein. „Wir machen unsere Geschichte ebenso wenig wie die Apachen ihr Wetter“, meint der alte Sergeant zu seinem Kommandanten, der das viele Meilen von Horizon errichtete Fort befehligt und dessen Soldaten bald in den Bürgerkrieg geschickt werden. Doch es ist natürlich kein gottgewolltes Schicksal, das diese Geschichte über Landraub und Tod schreibt, sondern es sind gleichermaßen Gier und Armut der weißen Ankömmlinge, die den Untergang der Indigenen bestimmen.
Western über den Western
„Horizon“ ist nicht nur ein Western, sondern ein weiterer Western über den Western. Drei Stunden nimmt sich Costner Zeit, um in verschiedenen Handlungssträngen an unterschiedlichen Schauplätzen – in der glühenden Hitze New Mexicos, in den goldgelb strahlenden Wäldern von Wyoming, in den verschneiten Bergen Dakotas – eine möglichst allumfassende Erzählung auszubreiten. Es ist die Zeit der Goldgräber, des Eisenbahnbaus, der sogenannten Indianerkriege, der Kavallerie und der Gesetzlosen, die hier nicht als verklärte Helden auftauchen, sondern als gewalttätiger Familienclan aus dem Hinterwald, mit dem sich Costner, der als wortkarger Außenseiter selbst erst nach knapp einer Stunde Laufzeit in einer kleinen Goldgräberstadt auftaucht, selbstverständlich ungefragt anlegen muss. Da haben die anderen Stars, allen voran Sienna Miller als tapfere Witwe sowie Sam Worthington als ihr Verehrer von der Kavallerie und „Inbegriff des Anstands“ bereits einen Vorsprung für den zweiten Teil heraus gespielt.
Doch weniger als auf seine bildgewaltigen Landschaftspanoramen und rasanten Actionszenen verlässt sich Costner auf die Überraschung der Montage: Während einzelne Handlungsstränge oft nach wenigen Minuten abreißen, halten sich andere ungewöhnlich lange am selben Schauplatz auf. Das sorgt zwar für entsprechende Dynamik, erinnert zuweilen aber auch an gewohntes Serienfernsehen. Die Prioritäten sind zum Auftakt jedenfalls gesetzt: Während etwa die Arbeit der chinesischen Immigranten am Eisenbahnbau nur als Randnotiz vorkommt, gerät die wortreiche Herausforderung des großmäuligen Banditen Sykes (Jamie Campbell Bower) zum Duell mit dem schweigsamen Fremden zu einem der Höhepunkte.
Die Brutalität der amerikanischen Landnahme erlaubt es schon lange nicht mehr, die Gründung einer „großen Nation“ als Mythos zu verklären. „Horizon“ versucht, in seinem ersten Kapitel diesen Mythos zumindest am Leben zu erhalten – und ihn zugleich mit seiner eigenen Lüge zu konfrontieren.
ab 22.8., GUK Kino Feldkirch, Cineplexx Hohenems, Cinema Dornbirn