Neu in den Kinos: „Hades“ Michael Pekler · Dez 2023 · Film

Die Geschichte vom iranischen Buben aus dem Beserlpark, der in der Wiener Unterwelt erst vom Aufstieg und dann vom Ausstieg träumt. Die als österreichischer Gangsterfilm getarnte Krimikomödie will eine wilde Genremischung sein, ist jedoch vor allem ein gediegener Fernsehfilm.

Bekanntlich regiert der Totengott Hades in der griechischen Mythologie über ein Schattenreich, das niemand verlassen kann. Außer Herakles und Percy Jackson. Für die Normalsterblichen ist der Weg zurück nicht möglich, wohingegen der Eintritt in die nach ihrem Herrscher benannte Unterwelt ein Kinderspiel ist. In Wien genügt dafür ein gestohlenes Fahrrad in der Stadtrandsiedlung. 
Reza (Anoushiravan Mohseni) muss schon als Jugendlicher erleben, dass Geld nicht nur dazu dient, die Miete zu bezahlen, sondern Macht über andere bedeutet. Während der Vater in Teheran Gedichte schreibt und den kleinen Reza am Telefon vertröstet, kämpft die alleinerziehende Mutter in Wien gegen die Stromrechnung. Der Weg in die Kriminalität ist in „Hades – Eine (fast) wahre Geschichte aus der Unterwelt“ nicht dem Wunsch nach Bereicherung geschuldet, sondern jenem nach Gerechtigkeit.
Regisseur Andreas Kopriva inszeniert den Abstieg – oder auch finanziellen Aufstieg – Rezas in die Unterwelt jedoch von Beginn an nicht als Thriller, sondern versieht diesen mit diversen Späßchen, die „Hades“ wiederholt in die Nähe einer Humoreske rücken. Denn wirklich ernst nehmen kann man hier niemanden: Die ehemaligen Bandenfreunde aus Ex-Jugoslawien aus Kindertagen sind als Erpresser, in deren Geschäfte Reza als Mann fürs Grobe einsteigt, nicht mehr als Karikaturen; die Herzensdame (Alma Hasun) aus der Villengegend, für die Reza – selbstverständlich nach einem letzten gewagten Coup – zum ehrbaren Steuerzahler werden würde, ist vom Glimmer der Oberwelt gelangweilt; und der Kommissar (Fritz Karl) im zerknitterten Trenchcoat, der bereits den „kleinen Perser“ im Gemeindebau mit väterlichem Blick und den erwachsenen Reza tatsächlich verfolgt, ist ein Abziehbild diverser Fernsehermittler. Inklusive Lolli.

Pizzabote mit Kompass

Dass in Österreich nicht nur regelmäßig passables Autorenkino für Filmfestivals, sondern auch hervorragendes Genrekino produziert wird, darf als wesentliche Bereicherung der heimischen Kinolandschaft betrachtet werden. Vom Western über den Horror bis zum Thriller reicht die ansehnliche Palette als bunte Alternative zum Sozialdrama und zur Literaturverfilmung – vorausgesetzt man dreht einen Kino- und keinen österreichischen Fernsehfilm. TV-Regisseur Andreas Kopriva („Schnell ermittelt“, „Vier Frauen und ein Todesfall“) hat jedoch, den ökonomischen Produktionsbedingungen entsprechend, instinktiv einen solchen inszeniert. Eine Vorgabe, die sämtliche an diesem Film beteiligte Kreativabteilungen, von der Kamera bis zum Szenenbild, ebenfalls erfüllen.
Co-Drehbuchautor Anoushiravan Mohseni, der auch als Musiker und Kampfsportler aktiv ist – Reza tobt sich regelmäßig beim Kickboxen aus –, ist mehr Strizzi als Gangster, der bei der Arbeit den moralischen Kompass nicht aus dem Blick verliert. Als Pizzabote auf dem Moped Drogen auszuliefern, weil die Straßenpolizisten dumm genug sind, macht ihm sogar Spaß, beim Schlepper und Kinderschänder hört sich dieser natürlich auf. Selbst für seinen klein geratenen Boss mit den lustigen Plateauschuhen und den beiden Reza zur Seite gestellten Einfaltspinseln. Insofern spielen die vom klassischen Gangsterkino und hier vor allem von Martin Scorsese geborgten Anleihen keine Rolle: Sowohl die in drei Kapitel gegliederte Story als auch Rezas die eigene Lebensgeschichte kommentierende Erzählstimme dienen mehr der Konvention als der Originalität.
Der moderne Mythos des Gangsters stammt nicht aus dem antiken Griechenland. Er ist eine Figur der Großstadt, gierig, suchend und am Ende stets tragisch. Reza würde gerne einen solchen Gangster im Wiener Asphaltdschungel spielen, aber dabei ein ruhiges Gewissen haben und vor allem ein guter Sohn bleiben. Wenigstens ist die Unterwelt zwischen Donaustadt und Gürtel für ihn groß genug.

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