Neu in den Kinos: „Eine Million Minuten“ Michael Pekler · Jän 2024 · Film

Eine deutsche Aussteigergeschichte wie aus dem Bilderbuch: Tom Schilling und Karoline Herfurth lösen ihre Eheprobleme im Ausland, weil sie an die Familie glauben und es sich leisten können.

„Ganz grob gesagt, es geht um Zeit.“ Der Arzt, der den Eltern erklärt, was ihre Tochter am dringendsten braucht, ist zugleich der erste Mediziner, der die Situation der überforderten Familie richtig einschätzt. Bis zu diesem Tag haben Vera (Karoline Herfurth) und Wolf Küper (Tom Schilling) alles versucht, um ihre fünfjährige Tochter Nina (Pola Friedrichs) zu fördern, weshalb sie die nun diagnostizierte Entwicklungsverzögerung auf dem falschen Fuß erwischt. Das sei doch sicher heilbar, meint Wolf, der als Biodiversitätsforscher Karriere macht und die Familienarbeit seiner Frau überlässt. Die hat zwar auch einen Job als Landschaftsarchitektin, aber noch die Hausarbeit und den einjährigen Simon an der Backe. Wolf hat dennoch kein schlechtes Gewissen, weil er das Geld für die tolle Berliner Wohnung nach Hause bringt. Auf die Diagnose folgen Überforderung und Streit, bis Nina bei der Gutenachtgeschichte ihren sehnlichsten Wunsch äußert: eine Million Minuten „für die ganz schönen Sachen“ mit Mama und Papa. Okay, auch mit Simon. 

Nette Abwechslung

„Eine Million Minuten“ ist ein 2016 erschienener Feelgood-Bestseller von Wolf Küper, der unausweichlich seinen Weg auf die Leinwand gefunden hat. Ideologiekritisch betrachtet ist das Ergebnis ein schauriger Film, der davon erzählt, dass man sich nur genug anstrengen muss, um das Familienglück zu retten. Was aber, so genug Geld vorhanden, auch in Thailand und auf Island möglich ist. Denn kaum hat Nina ihren Wunsch geäußert, geht Wolf in sich, klärt die arbeitsrechtlichen Angelegenheiten und lässt die Tochter mit dem Finger auf den Globus zeigen. Einmal Ostasien und einmal Nordeuropa, das ist doch selbst im Homeoffice eine nette Abwechslung.
Weil diese Geschichte dennoch einige Kipp- und Wendepunkte benötigt, läuft es allerdings weder dort noch da richtig gut. Die präzise getaktete Work-Life-Balance funktioniert nur so gut wie das Internet unter Palmen, also im entscheidenden Moment gar nicht. „Ich sitze im Paradies und bin kaputt“, weiß Papa, und als passenden Soundtrack hört man tatsächlich wenig später „Fake Empire“ von The National, einen Song über Desillusionierung und Apathie. In Island wiederum gibt es einen blonden langhaarigen Fischer, der bei Vera die Lebensgeister weckt, was der angestrebten Familienidylle eher abträglich ist. Und obwohl die Erfolge bei Nina nicht ausbleiben, muss man sich irgendwann die Frage stellen, was geschieht, wenn die knapp zwei Jahre verstrichen sind. Zurück nach Berlin und weitermachen wie vorher? Ein solches Ende möchte man schon gar nicht im Kino sehen.

Unkäufliches Glück

„Eine Million Minuten“, geschrieben von einer ganzen Riege an Drehbuchautoren und -autorinnen und inszeniert vom deutschen Produzenten Christopher Doll, möchte ein progressiver Aussteigerfilm sein, der von den wichtigen Dingen des Lebens erzählt. Also von Selbsterkenntnis, von unkäuflichem Glück, von innerem Frieden, von der Zeit für die Familie und den damit einhergehenden unwiederbringlichen Momenten, die man verpassen könnte. Doch obwohl die Moritat weniger kitschig ausfällt als befürchtet, hinterlässt sie einen schalen Geschmack. Denn abgesehen davon, dass es dieser Familie erst dann gut geht, wenn es dem Vater gut geht, ist das glückversprechende Modell im Grunde ein elitäres, weil geeignet nur für jene, die sich die Flucht nach vorne auch leisten können. Damit alles wieder gut werden kann.

ab 1.2., GUK Kino Feldkirch, Cineplexx Hohenems, Cineplexx Lauterach

Teilen: Facebook · E-Mail