Neu in den Kinos: „Bergfahrt“ Michael Pekler · Nov 2024 · Film

Massentourismus, Klimawandel, Leidenschaft und Wissenschaft: In ihrem Dokumentarfilm ergründet die Schweizer Regisseurin Dominique Margot die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Mensch und Berg.

„Bergfahrt“ beginnt mit einer Bergfahrt. Eine japanische Touristin sitzt als einziger Fahrgast in einer Gondel, die von der Filmemacherin versuchte Unterhaltung stößt bald an sprachliche Grenzen. Doch plötzlich hat die Japanerin mit Hut und roter Regenjacke eine Idee: Sie beginnt ein Kinderlied über die Berge zu singen und fuchtelt dabei wild mit den Armen in der Luft. Erst viel später in diesem Film wird man ihr in einigen Szenen wieder begegnen, dann als Chiharu Mamiya, die in ihrem Beruf als Performerin mitten im Gebirge mit seltsam anmutenden Kostümen und auffallender Körperakrobatik auftritt.
Es ist eine persönliche oder berufliche, in jedem Fall aber sehr unterschiedliche Beziehung zum Berg, die das Leben und den Alltag der Menschen bestimmt, die Dominque Margot in ihrem Film porträtiert. Viel erfährt man nicht über sie, aber sehr viel von ihnen. Denn alle versuchen sie sich in Erklärungen, was der jeweilige Berg für sie bedeutet: Der Glaziologe am Glacier Argentinière im Mont-Blanc-Massiv, die junge Bergführerin auf dem Weg zum Eiger-Gipfel, der die seismischen Schwingungen des Matterhorn untersuchende Geologe, der mit seinem Mikrofon die Geräusche des Berges aufzeichnende Tonkünstler, die den Wandel der Alpenflora untersuchende Biologin, oder der ehemalige Parkwächter eines Nationalparks im Aostatal, der mehr von den Tieren gelernt hat, als von den Menschen. Als österreichischer Protagonist ist mit zwei kurzen Statements der Geschäftsführer der Söldener Bergbahnen zur Stelle, um die weitere touristische Erschließung der Alpen schönzureden.

Zipfelmütze am Computer

Nicht alle Stimmen bekommen gleich viel Gewicht und Aufmerksamkeit, und indem Margot auf die fernsehüblichen eingeblendeten Namen und Berufsbezeichnungen verzichtet, wird erst langsam ersichtlich, wer zu welchem Zweck sich über Wiesen, Stein, auf und sogar unter dem Gletscher bewegt. Das lässt die Auswahl der Protagonistinnen und Protagonisten zwar etwas beliebig wirken – man kann die Hüttenwirtin vermissen oder den Bergbauern –, macht aber die jeweils unterschiedlichen Zugänge zum Berg deutlich. Während der ausschließlich wissenschaftlich interessierte Geologe „auf den nächsten großen Knall“, also den Bergsturz, wartet und der Sounddesigner im Berg ein „kulturelles Volumen“ erkennt, tut es der die Überlebenskunst der Flechten bewundernden Biologin weh, dass für die meisten Menschen die „Landschaft nur noch ein Hintergrund“ sei. Margot feiert nicht die Schönheit und die viel zitierte Erhabenheit ihrer durchwegs prominenten Berge. Die Nordwand des Eiger bekommt man ebensowenig zu sehen wie den Gipfel des Mont Blanc, und das ikonische Matterhorn bewegt sich als 3D-Modell wie eine Zipfelmütze am Computer. Und wenn die Bergsteigerin am Abend vor dem Eiger-Aufstieg den Sonnenuntergang bewundert, findet sie ihn selbst beinahe kitschig.

Erholung und Abenteuer

Aus den hunderten Dokumentarfilmen über die Berge ragt „Bergfahrt“ zwar nicht heraus, und man fragt sich zwischendurch, was etwa Werner Herzog diese Menschen über ihre Beziehung zum Berg gefragt hätte. Doch Dominique Margots Beitrag ist ein gutes Beispiel für das sich wandelnde filmische Interesse am Thema: Die Berge verändern sich durch den Klimawandel rasant, die Gletscher schmelzen und ganze Gipfel stürzen zu Tal, während der moderne Stadtmensch immer noch nach Erholung oder Abenteuer sucht – oder, wie in früheren Zeiten des Alpinismus, nach wissenschaftlicher Erkenntnis. Dass Margot diesen Passagen das größere Interesse entgegenbringt, ist nur das logische Resultat einer dramatischen Entwicklung. Auch wenn, wie der Glaziologe meint, „der Berg für jeden woanders beginnt“.

ab 9.11., TaSKino im GUK Feldkirch (div. OmU)

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