Neu in den Kinos: „15 Jahre“ Michael Pekler · Jän 2024 · Film

Vor fünfzehn Jahren brillierte Hannah Herzsprung im Gefängnisdrama „Vier Minuten“ in der Rolle einer unschuldig wegen Mordes verurteilten Insassin. Nun glänzt die deutsche Schauspielerin als die aus der Haft entlassene und von Rachsucht getriebene Jenny von Loeben.

Über das dem Film vorangestellte Zitat ließe sich trefflich streiten. „Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufzugeben“, so der für seine buddhistischen Ratgeber bekannte Therapeut Jack Kornfield. Das widerspricht natürlich dem tradierten Bild der Vergebung im Christentum, dem zufolge man jemandem die Schuld für begangenes Unrecht erlässt. Doch gilt das auch, wenn man fünfzehn Jahre im Gefängnis zugebracht hat? Jenny (Hannah Herzsprung) kann ihrem ehemaligen Freund jedenfalls nicht vergeben. Der in ihren Augen gerechtfertigte Mord an dessen Vater ist ihr egal, aber dass sie an des Freundes statt wegen Mordes verurteilt wurde und ihr halbes Leben lang einsitzen musste, ist unverzeihlich. Ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft heißt Rache. 
Vor fünfzehn Jahren sorgte das packende Arthouse-Drama „Vier Minuten“ für eine kleine Sensation. Autor und Regisseur Chris Kraus erzählte darin, mit der groß aufspielenden Hannah Herzsprung in der Hauptrolle, die Geschichte einer jungen Pianistin, die unschuldig als Mörderin im Frauengefängnis eine brüchige Beziehung zu einer Klavierlehrerin aufbaut, die ihr schließlich für die titelgebenden vier Minuten einen Auftritt bei einem Musikwettbewerb ermöglicht. 

Große Chance

Fünfzehn Jahre später ist Jenny nach ihrer Entlassung bei einer christlichen Einrichtung gelandet, die ihr den Wiedereinstieg erleichtern soll. Im Sitzkreis mit der Leiterin (Adele Neuhauser) soll sie mittels Gesprächstherapie ihre Aggressionen abbauen, doch bereits nach weniger als vier Minuten dieses Films steht fest: Jenny wird es nicht gelingen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Mit ihrer Kollegin (Stefanie Reinsperger) putzt sie Toiletten ausgerechnet in einem Konservatorium, als ihr ein alter Bekannter über den Weg läuft. Harry (Christian Friedel), der als Klavierlehrer unterrichtet, sieht Jennys große Chance in einer populären TV-Talenteshow für Menschen mit Beeinträchtigung. Und er hat auch schon einen geeigneten Partner für sie parat: Der aus Syrien geflüchtete einarmige Omar (Hassan Akkouch) soll mit seiner Stimme, vor allem aber aufgrund seines Schicksals gemeinsam mit Jenny Publikum und Jury für sich gewinnen. Für die unberechenbare Virtuosin am Klavier erweist sich die zynische Show indes als Mittel zum Zweck. Denn sie hat den ehemaligen Punk (Albrecht Schuch) wiedergesehen, für den sie ins Gefängnis ging.

Gefährliches Spiel

Obwohl als Fortsetzung von „Vier Minuten“ konzipiert, ist „15 Jahre“ tatsächlich weniger die Weiterschreibung einer Geschichte als die eines Zustands: Die Wut, die Verzweiflung und die Unberechenbarkeit stehen Jenny von Beginn an ins Gesicht geschrieben („Er bestand eigentlich nur aus Augen“, erinnert sie sich an ihren Ex-Freund), während das Geschehen selbst lange im Dunkeln bleibt.
Wie bei einem Puzzle füllt Chris Kraus die zunächst verwirrenden Leerstellen zu einem Gesamtbild, das Jennys Rachsucht zwar nicht zu entschuldigen, aber zu erklären vermag. Am Ende passen nicht alle Teile perfekt zusammen, so steht etwa die grelle Mediensatire dem sich anbahnenden Liebesdrama und dieses wiederum dem sich zuspitzenden Rachethriller mitunter seltsam fremd gegenüber. Doch diesen Film sieht man sich ohnehin wegen Hannah Herzsprung an, die sich in jeder Szene überwältigend die Seele aus dem Leib spielt. Dass am Ende alles gut werden wird, das glaubt man hier keinen Augenblick. Und ebenso wenig, dass die Hoffnung zuletzt stirbt.

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