Nackte Tatsachen – humorvoll und gnadenlos
Das aktionstheater ensemble feierte die Uraufführung von „Wir haben versagt“ am Dornbirner Spielboden
Dagmar Ullmann-Bautz · Dez 2024 · Theater

In einer performativen Selbstanklage stellt das aktionstheater ensemble unter der Leitung von Regisseur Martin Gruber den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft erneut schonungslos dar. Wie in den Jahren zuvor überzeugt das Ensemble mit seiner einzigartigen ganz speziellen Handschrift. Doch dieses Mal schlägt es verzweifelt um sich, seziert das eigene Unvermögen mit großem Besteck – nicht minutiös, sondern roh, direkt und voller Verzweiflung.

Mit bissigem Humor und gnadenloser Selbstreflexion erzählen die vier Protagonist:innen von Erfahrungen, Unzulänglichkeiten, Reaktionen, Peinlichkeiten, von Erlebnissen rund um die Tatsache, dass die ganze Welt gerade nach rechts rückt, dass die Menschen sich nach Führerfiguren nicht nur sehnen, sondern sie auch tatsächlich wählen. Die Performance wechselt meisterhaft zwischen lauten, eindringlichen Momenten und stillen, sprachlosen Sequenzen. Martin Gruber gelingt es vortrefflich und wie immer punktgenau, das Publikum zu fordern, es zu berühren, aber auch zu erschrecken und trotz aller Widrigkeit zum Lachen zu bringen.

Ein Ensemble in Bestform

Monica Anna Cammerlander fasziniert mit ihrer wortlosen Performance, die durch einen intensiven emotionalen Ausbruch unterbrochen wird. Ihre Aussage, dass Freiheit, Mut und Liebe Kriege verhindern könnten, bleibt im Gedächtnis. Mit Benjamin Vanyek atmet man zwei, drei Züge schneller, lässt sich mitreißen von seiner Aufgeregtheit, hängt an seinen Lippen, wenn er unter anderem vom „weißen Mann“ im Urlaub auf Sri Lanka erzählt oder von der skurrilen Wahlhilfe auf wahlkabine.at. Zeynep Alan begeistert mit ihrer flockigen und rotzfrechen Art, ihrer wortwörtlichen Offenheit. Besonders eindrücklich sind ihre humorvolle Darstellung des familiären Briefwahlverhaltens und die Verführung des Verführers, die unter einer Schneedecke endet. Und großartig Thomas Kolle, der ein weiteres Mal seine Nacktheit in den Dienst der Kunst stellt – radikaler denn je. Mit absurder Selbstinszenierung und abgedroschenen Floskeln redet er sich und alles Drumherum schön und illustriert auf brillante Weise das Chaos seiner Figur.

Fabelhafte Musik, aufwühlende Emotionen

Die Musik ist ein integraler Bestandteil der Inszenierung. Jean Philipp Viols hämmernder und treibender Elektrosound kontrastiert perfekt mit melancholischen Leonard-Cohen-Liedern, die von Danielle Pamp gesungen, besser gesagt: zelebriert werden. Diese Mischung erzeugt eine emotionale Tiefe, die in den Bann zieht, die Performance unterstützt und klanglich abrundet.

Bühne, Film, Kostüm – eine durchdachte Inszenierung

Die Bühne von Valerie Lutz beeindruckt durch ihre Schlichtheit und Funktionalität. Vier Podeste strukturieren den Raum: Ein sehr hohes ist dem Musiker vorbehalten, eines dient als Bar und Standort der Sängerin, während die anderen beiden vielseitig von den Schauspieler:innen genutzt werden. 
Schaum und Kunstschnee assistieren den Erzählungen, sorgen für überraschende visuelle Akzente, die sowohl poetische als auch absurde Momente schaffen. Auch die Kostüme, ebenfalls von Valerie Lutz entworfen, sind eine spannende Verbildlichung der Stimmungslage. Sie greifen die Themen der Inszenierung auf und verbinden Alltägliches mit surrealen Details. 
Die Video- und Filmarbeiten von Resa Lut und Julius Hellrigl erweitern das Bühnengeschehen auf faszinierende Weise: Resa Luts Leinwandprojektionen verändern sich subtil und bringen erst am Ende die ganze Tragweite ihrer Botschaft zur Geltung. Hellrigls Filmsequenzen, die an TikTok-Ästhetik angelehnt sind, spiegeln treffend die Absurdität der Selbstdarstellung in sozialen Medien wider. Besonders eindrücklich ist das groteske „Ballett der Diktatoren“ – zugleich verstörend und komisch.

Begeisterung und Nachklang

Der Theaterabend endete mit jubelndem und langanhaltendem Applaus. „Wir haben versagt“ ist mehr als nur ein Stück – es ist ein lauter und glühender Weckruf: Mutig und liebevoll miteinander umgehen, zuhören, im Gespräch bleiben und aktiv handeln – diese Botschaft trägt das Stück, trägt das aktionstheater ensemble, trägt Martin Gruber nachhaltig in die Welt.

Weitere Vorstellungen:
5./6./7.12.24, 20 Uhr, Spielboden Dornbirn
12./14/15/16/17./18./19.1., 19.30 Uhr, Theater am Werk, Kabelwerk Wien
www.aktionstheater.at 

 

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