Nachschöpferische Kreativität bei den Meisterkonzerten
Das Klangforum Wien unter der Leitung von Katharina Wincor gab ein eindrückliches Konzert
Silvia Thurner · Feb 2024 · Musik

Ein Bregenzer Meisterkonzert mit Seltenheitswert bot das Klangforum Wien unter der Leitung von Katharina Wincor mit Kompositionen der zweiten Wiener Schule. Das besondere an den Kompositionen von Alban Berg, Anton Webern und Arnold Schönberg war, dass sie nicht in der originalen Klanggestalt, sondern als Bearbeitungen für Kammerorchester von Richard Dünser zu hören waren. Die ausgezeichneten Musiker:innen führten die Zuhörenden in eine sinnlich introvertierte und zugleich gefühlsbetonte Klangwelt. Im großen Saal des Festspielhauses verbreitete sich eine konzentrierte Ruhe, die die Wirkung der dargebotenen Kompositionen verstärkte. Mit voluminöser Stimmenvarianz und sensibler Tongebung bereicherten die Sopranistin Magdalena Anna Hofmann und die Violinistin Gunde Jäch-Micko die Darbietungen.

Die Stadt Bregenz bot dem aus Vorarlberg stammenden und in der Steiermark lebenden Komponisten Richard Dünser ein Podium für ein besonderes Vorhaben. In Kooperation mit dem Klangforum Wien wurde anlässlich des 150. Geburtstags von Arnold Schönberg und des 65. Geburtstags von Richard Dünser eine Liveaufnahme für eine CD-Produktion gemacht. Am Pult des Kammerorchesters stand die aufstrebende Dirigentin Katharina Wincor. Sie leitete die Musiker:innen mit sympathisch natürlicher Ausstrahlung und viel Energie, sodass die klanglich ausdifferenzierten Klangschattierungen hervorragend zur Geltung kamen. Genau darin bestand auch die Quintessenz der Werkdeutungen, denn Richard Dünser hat die ursprünglich für Klavier komponierten Werke für Kammerorchester bearbeitet und gab ihnen dadurch eine neue Klanggestalt.
Alban Bergs Klaviersonate, op. 1 profitierte von der Instrumentierung. Die vielschichtig verwobenen, melodischen Linien setzte Richard Dünser in unterschiedlichen Instrumentalfarben transparent in Szene. Dadurch kristallisierten sich harmonische Verhältnisse und melodische Beziehungen gut nachvollziehbar heraus. Sehr aufeinander konzentriert und die Orchesterklang ausbalancierend, musizierte das Klangforum Wien.
In Weberns „Vier Stücken für Geige und Klavier“, op. 7 spielte Gunde Jäch-Micko den Solo-Geigenpart. Sie fügte sich mit ihrer feinsinnigen Tongebung ganz in den Ensembleklang ein. Mit ihrer Spielart entfaltete sie die große innere Spannkraft der kurzen Werke. Im Zusammenwirken der Musiker:innen kristallisierten sich die auf engstem Raum zusammengefügten musikalischen Ideen heraus. 
Die „Drei Stücke“, op. 11 von Arnold Schönberg bilden wie die zuvor erklungenen Kompositionen von Alban Berg und Anton Webern Marksteine der Musikgeschichte. Die charakteristischen Tonfortschreitungen und -verwebungen in den Streicher- und Holzbläserstimmen, durchsetzt von kristallinen Klavierfloskeln, bestimmten das erste Stück. Sensibel spürten die Musiker:innen der introvertierten Musik nach. Frage- und Antwortgesten zwischen dem Streichquintett und dem Holzbläserquintett bestimmten den zweiten Abschnitt. Die plastische Energie der gezackten Linien brachten das Klangforum und Katharina Wincor im dritten Stück exzellent zur Geltung. Auch in dieser Werkdeutung war das Publikum gefordert, denn auf die Feinheiten der Musik musste man sich einlassen.

Musiktheatralischer Übergang

Den Übergang zu Schönbergs „Buch der hängenden Gärten“, op. 15 bildete die Komposition „Entreacte“ von Richard Dünser. Dieses Werk ist zweckgebunden für einen Musiktheaterabend entstanden. Ursprünglich sollte damit eine Brücke zwischen Schönbergs Liederzyklus „Buch der hängenden Gärten“ und dem Monodram „Erwartung“ geschlagen werden. Dementsprechend verströmte Richard Dünsers Komposition einen musiktheatralischen Duktus. Die expressive Instrumentation mit Streichern, Bläsern sowie Celesta, Pauken und Vibrafon ermöglichte expressive Kulminationspunkte, die eine intensive musikalische Wirkung verströmten.

Vom klavierbegleiteten Lied zum Orchesterlied

Schönbergs fünfzehn Lieder „Buch der hängenden Gärten“, op. 15 leitete Richard Dünser in seiner Bearbeitung mit mystischen Klängen des Tamtams und der Harfe ein. In dieser Atmosphäre entfaltete die Sopranistin Anna Magdalena Hofmann mit ihrer voluminösen und ausdrucksstarken Stimme die vielschichtigen Gedichte von Stefan George. Emotional setzte sie die Erregung des verliebten Protagonisten in Szene. So nahm beispielsweise das vierte Lied, „Da meine Lippen reglos sind und brennen“ den affektiven Charakter eines Orchesterliedes an. Den Höhepunkt bildete das elfte Lied „Als wir hinter dem beblümten Tore“. Hier kam die feinsinnige Instrumentierung der fünf Streicher, fünf Holzbläser sowie Harfe und Perkussion zusammen mit der tief geführten Sopranstimme in den langen Tonlinien hervorragend zur Geltung. Ebenso tiefsinnig wurde das Gedicht „Du lehnest wider eine Silberweide“ mit einem flächigen Tongewebe ausgedeutet. 
Ein unmittelbarer Vergleich mit den Originalgestalten der Kompositionen wäre spannend gewesen. Besonders der Liederzyklus, op. 15 von Arnold Schönberg für Singstimme und Klavier lebt in der Originalfassung von der sehr dichten Verbindung des Textes mit dem Vokal- und Klavierpart, wobei der in Musik gesetzte Sprachduktus der George-Gedichte dringlich wirkt. Die Orchestrierung von Richard Dünser „vergrößerte“ die intime Ausstrahlung der klavierbegleiteten Lieder und verlieh den bearbeiteten Orchesterliedern einen eher opernhaften Duktus.
Im Gespräch mit Bettina Barnay-Walser erläuterte Richard Dünser seine Gedanken und seinen Zugang zu den Kompositionen von Berg, Webern und Schönberg. Überdies stellten sie das soeben bei Leykam erschienene Buch von Rainer Lepuschitz: „Komponist im Kontinuum. Richard Dünser“ vor. 
Das Publikum ließ sich auf die spezielle „Aufnahmesituation“ während des Konzertes ein. Eine ruhige Atmosphäre ermöglichte konzentrierte musikalische Erlebnisse.

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