„Morbus Hysteria. Wir haben alle recht.“
Ein heftig-genialer Streich vom aktionstheater ensemble
Dagmar Ullmann-Bautz · Jun 2023 · Theater

Und wieder halten Martin Gruber und sein Aktionstheater Ensemble uns einen Spiegel vor, einen blitzblanken Spiegel, der nichts im Trüben lässt. Gestern feierte das aktionstheater mit dem Stück „Morbus Hysteria. Wir haben alle recht.“ seine Vorarlberg-Premiere im Theater Kosmos in Bregenz.

Das Stück, eine Koproduktion mit dem Bregenzer Frühling und dem Werk X, Wien, hat Gruber wie schon in den Jahren zuvor gemeinsam mit seinem Ensemble entwickelt und den Focus dabei auf die ungeschönte Tradierung von Erlebnissen und Erfahrungen der Ensemblemitglieder gelegt. Die hochprozentige Destillation dieses Prozesses wurde gestern Abend präsentiert, knallhart, hemmungslos und ehrlich, was einfährt, unglaubliche Kraft hat und mitnimmt. Gestern mehr noch, denn je zuvor!

Kleinteiliges egozentrisches Denken

Das Stück nimmt uns mit in verschiedene Lebenswelten. Jede/r Protagonist:in lebt in ihrem eigenen Kosmos, in der eigenen Bubble, hat den eigenen Standpunkt und nur der, absolut nur der ist richtig. Dieses Beharren auf der eigenen Wahrheit, dieses kleinteilige, egozentrische Denken, das seit einiger Zeit gefährlich überhandnimmt in unserer Gesellschaft, genau das nimmt das aktionstheater unter die Lupe, eine stark vergrößernde Lupe. In einem Affentempo gewährt uns das Stück Einblicke in verschiedene Bubbles.

Immer auf dem Grat

Wenn zwei sich streiten, dann lacht der Dritte. Und wir, das Publikum, wir lachen, wir lachen bis es uns ganz unheimlich wird. Und es wird unheimlich, wenn Wölfe durch die Szenerie streifen, wenn Schauspieler:innen sich nicht mehr nur verbal in die Haare kriegen, wenn die Wut auf der Bühne bis in die hintersten Reihen kriecht. Martin Gruber lotet genauestens unsere Grenzen aus, das ist sein riesengroßes Talent immer auf dem Grat zu bleiben, nie abzustürzen und es trotzdem bis auf die absolute Spitze zu treiben. Chapeau!

Enorme Präsenz

Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek brillieren auf der Bühne, überzeugen durch enorme Präsenz und mit schier grenzenloser Energie. Jedes Wort, jede Bewegung sitzt und wird in bewährter Weise wunderbar unterstützt durch drei Musiker:innen, Nadine Abado, Andreas Dauböck und Pete Simpson.

Schrecklich genial

Das Bühnenbild von Valerie Lutz, bespielt mit den Videos von Resa Lut, ist wunderschön. Die sich im Wind bewegenden Bäume umgeben die Bühne auf drei Seiten und bilden eine Art Lichtung im Wald, auf der sich die Protagonist:innen mit, um und auf schwarzen Hüpfbällen (jedem seine Bubble) bewegen. Schrecklich genial die Idee, die im Laufe des Stückes unmerklich immer mehr werdenden Wölfe, Raubtiere, die die Lichtung kaum sichtbar umschleichen. Die große Gefahr, die sie vermitteln ist, wie auch im realen Leben, vielen nicht bewusst.

Jubelndes Publikum

Schüttelt man sich in der ersten halben Stunde noch vor Lachen, so erstirbt dies Lachen immer mehr und wandelt sich fast hin zur Schockstarre. Kein Wunder, dass es am Schluss einige Zeit dauerte, bis der Jubel des Publikums sich Bahn schaffte. Ein Theaterabend, der es in sich hat und den man auf keinen Fall versäumen sollte.

weitere Vorstellungen:
aktionstheater ensemble: „Morbus Hysteria. Wir haben alle recht.“
16./17./18.6., 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz

https://aktionstheater.at/produktionen/morbus-hysteria

 

 

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