„Mondmilch trinken“
Die Uraufführung im Theater Kosmos
Dagmar Ullmann-Bautz ·
Aug 2024 · Theater
Die Welt scheint aus den Fugen geraten, Chaos regiert, Egozentriker und nationalistisches Gedankengut überschwemmen den Planeten. Atemlos mischt der Mensch mit, lässt sich darauf ein oder schaut einfach nur zu, während er zur Beruhigung der Nerven Mondmilch trinkt. „Mondmilch trinken“, ein Werk des Salzburger Autors und Regisseurs Josef Maria Krasanovsky, feierte am gestrigen Donnerstag seine Uraufführung im Theater Kosmos, als Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen.
Das Stück gewann verdient den Autor:innenpreis der Österreichischen Theaterallianz 2023, der unter dem vorgegebenen Thema „Deal or No Deal“ stand und an Carl Maria von Webers „Freischütz“ angelehnt ist. Die Österreichische Theaterallianz der freien Bühnen, bestehend aus dem Schauspielhaus Wien, Theater Kosmos Bregenz, Schauspielhaus Salzburg, klagenfurter ensemble, Theater Phönix Linz und Theater am Lend Graz, versteht sich als eine bundesweite Plattform für zeitgenössisches Theater in Österreich. Ausgewählte Inszenierungen werden zwischen den Theatern ausgetauscht, und seit 2016 wird regelmäßig ein Autor:innenpreis ausgeschrieben, um neue Werke zu fördern.
Tempo und Humor
Josef Maria Krasanovsky hat das Stück nicht nur geschrieben, sondern es auch selbst für die Uraufführung in Bregenz inszeniert. Er zeichnet verantwortlich für die feine, schlichte Bühne sowie die kreativen und interpretationsfreudigen Kostüme.
Zusammen mit einem sehr bunten und überaus spielfreudigen Ensemble ist ein Theaterabend entstanden, der in rasantem Tempo und mit ganz viel Humor gut zu unterhalten weiß und da und dort, praktisch ganz nebenbei, treffsicher seine Geschütze abfeuert und Spuren hinterlässt. Sei dies, wenn Platons Geschichte der Kugelmenschen erzählt wird oder die vom Aussterben bedrohten Kakapos an die rebellische Kraft von Pussy Riot erinnern. Wenn Heimatgefühl mit dem mundharmonikaspielenden Nobelpreisträger und Nazi Knut Hamsun Einzug hält und Gänsehaut erzeugt, wenn einer mal nicht mitmachen will, keine Kugel sein will, sondern ein Vier-, Drei- oder Vieleck. Wenn ein Gruppenfoto vom Publikum live entsteht oder die bengalische Fackel unter Wasser einfach so weiterbrennt.
Von mutigen Glückssuchern
Auf der Bühne flankieren zwei Kanister Mondmilch die Handlung und laden das Publikum ein, davon zu nehmen: „Nehmet und trinkt, wer weiß, wie lange noch was da ist!“ Der Text ist eine fantasievolle, skurrile Collage aus unzähligen Themen, die die Welt und uns Menschen heute beschäftigen. Bunt zusammengewürfelt erzählt er von Menschen auf der Suche nach ihrem Stück vom Glück und findet dabei immer wieder Bezüge zum themengebenden „Freischütz“.
Großartige Videos
Die Bühne, die zunächst nur aus einem Podium mit blau schimmernder Rückwand und später aus einem halbrunden Aufbau ähnlich einer Arena besteht, entfaltet ihre volle Spannung, wenn sie von den fantastischen Videos von Domenika Kalcher bespielt wird. Diese Kunstwerke, die über die Bühne flimmern, unterstützen das Geschehen, brechen es manchmal auf und lassen das Publikum immer wieder in Staunen versinken. Stefan Pfeistlinger setzt die Beleuchtung wie immer sehr gekonnt und klug ein, während Konrad Überbacher den Ton perfekt auf die vom Autor und Regisseur ausgewählte Musik abstimmt, sodass diese ihre volle Wirkung entfaltet. Die Choreografin Silvia Salzmann hat die Schauspieler:innen mit herausfordernden Bewegungssequenzen gefordert, die dem Abend eine weitere beeindruckende Facette verleihen.
Fantastisches, energiegeladenes Ensemble
Das gesamte Ensemble – Claudia Carus, Johanna Hainz, Sophie Hewig, Benjamin Kornfeld, Sascha Schicht und Valentin Späth – überzeugt nicht nur durch ihre Spielfreude und Energie, sondern auch mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz. Sie zeigen eine beeindruckende Exaktheit, wo es notwendig ist, sowie eine performative Lockerheit und Natürlichkeit, die das Publikum begeistert.
Das rasante Tempo der Darbietung wurde zwei- oder dreimal unterbrochen, möglicherweise um Schauspieler:innen und Publikum eine kleine Atempause zu gönnen. Während einige dies als willkommene Cooldown-Phase empfanden, hätten andere es lieber gehabt, ohne Unterbrechungen durchs Stück zu brausen. Denn ist es nicht wunderbar wie in einem Cabrio auf freier Straße 90 Minuten lang ohne zu bremsen durchzufahren?
Wer einen spannenden, humorvollen Theaterabend erleben möchte und bereit ist, die eigene Fantasie zu bemühen, dem sei dieses Stück wärmstens ans Herz gelegt. Es läuft noch heute und morgen oder wieder ab dem 12. September im Theater Kosmos in Bregenz.