Mit Mut und Empathie gegen emotionale Kälte
Hans Christian Andersens „Die Schneekönigin“ am Vorarlberger Landestheater
Walter Gasperi · Dez 2023 · Theater

Ein lustvoll aufspielendes Ensemble, liebevolle Details und eine großartige Kulisse machen das heurige Familienstück des Vorarlberger Landestheaters zu einem Vergnügen für Jung und Alt.

Hans Christian Andersens 1844 veröffentlichtes Kunstmärchen „Die Schneekönigin“ zählt zu den bekanntesten Werken des dänischen Autors. Es regte bis zu Disneys „Die Eiskönigin“ (2013) und „Die Eiskönigin 2“ (2019) nicht nur zahlreiche Verfilmungen an, sondern diente auch als Grundlage für ein Musical und mehrere Opern.
Kindgemäß einfach gehalten ist die Geschichte und bietet mit den Befreundeten Gerda (Rebecca Hammermüller) und Kay (Roman Mucha) auch junge Identifikationsfiguren. Deren Freundschaft zerbricht aber, als Splitter eines teuflischen Spiegels Herz und Auge von Kay treffen: der Junge gefriert innerlich und verfällt der Schneekönigin. Doch Gerda will Kays Flucht oder Entführung ins eisige Reich der kalten Königin nicht so einfach hinnehmen, sondern macht sich auf die Suche nach ihrem Freund, den sie mit Mut und Empathie zurückgewinnen will.

Klare Geschichte, liebevolle Details

Klar und geradlinig hat Birgit Schreyer Duarte diese Geschichte inszeniert. Nach einem verspielten Auftakt, in der die unbeschwerte Welt von Kay und Gerda beschrieben wird, entwickelt sich das Stück zum klassischen Stationendrama, bei dem Gerda verschiedene Bekanntschaften macht und Abenteuer bestehen muss, bis es zur Schlusskonfrontation im Palast der Schneekönigin kommt.
Die Gegensätze sind klar gezeichnet. Witz, Pfiff und Charme muss dieses Stück aus den Details generieren. Großartig ist da schon der Auftakt, wenn eine tiefe Stimme aus dem Off Düsternis verbreitet, der Teufel (Suat Ünaldi) im silbrigen Glitzeranzug ins Stück einführt und die Splitter des Spiegels, die Unheil in die Welt bringen und alles ins Gegenteil verkehren, gegen Kay wirft.

Bühnenbild und Kostüme als Hauptdarsteller

Von Anfang an zu einem Hauptdarsteller werden dabei das großartige Bühnenbild und die Kostüme von Bartholomäus Martin Kleppek. Großartig spielt er mit den Gegensätzen von kalt und warm und bringt die unterschiedlichen Stimmungen zum Ausdruck, wenn den kräftig blau-orangen Kostümen von Kay und Gerda das kalte Weiß der Schneekönigin ebenso gegenübersteht wie einem Holzkarussell die von Spiegelsplittern gebildete Wand des Palastes. Während in dessen großem kreisrunden Fenster die Menschen förmlich gefangen sind, vermittelt das freistehende Karussell Offenheit.
Gleichzeitig steht das Karussell aber auch für die Bewegung im Leben, in dem nichts festgeschrieben ist und sich die Freundschaft und Empathie Kays bald in ihr Gegenteil verkehrt. Für einen starken Effekt sorgt aber auch, wie diese Palastwand später geneigt wird und schließlich die Decke bildet, von der weiße Neonröhren als Eiszapfen herabhängen, während zudem Bodennebel eine frostige Stimmung verbreitet.

Effektvolles Spiel mit Gegensätzen

Kräftigen Gegenpol zu dieser Kälte bildet der in leuchtendes Rot getauchte Rosenmann (Nurettin Kalfa), der mit seinen gereimten Sätzen für Witz sorgt, während die kleine Schneeflocke (Céline Rhiannon Moos) Leichtigkeit und Poesie versprüht, wenn sie im weißen Tütü über die Bühne hopst. 
Eindrücklich wird aber auch die Macht und Stärke der Schneekönigin vermittelt, wenn sie durch Videoprojektion in Übergröße auf der Bühne erscheint und die Menschen klein und ohnmächtig wirken lässt. Im Gegensatz dazu sind die Welt Gerdas und ihre Abenteuer, die sie auf dem Weg zum Eisschloss bestehen muss, in warme Farben getaucht. Gelb bestimmt so die Szenen mit einer Blumenfrau und beim Treffen mit der Sommerkönigin vermitteln schon die übereinander geschichteten Matratzen Weichheit und Wärme. Dunkler mag es zwar bei der Konfrontation mit einer Räuberbande werden, aber auch diese Szene strahlt mit ihren Erdfarben Wärme aus.

Viel Musik und spielfreudiges Ensemble

Für Abwechslung sorgen aber auch die zahlreichen Songs (Musikalische Leitung: Oliver Rath). Gesangliche Hochgenüsse mögen dabei zwar nicht geboten werden, aber das macht das leidenschaftliche Spiel des gesamten Ensembles locker wett. Maria Lisa Huber lässt mit ihrem zurückhaltenden Auftreten die emotionale Kälte der Schneekönigin eindrücklich spüren, während Rebecca Hammermüller mit ihrer Energie und ihrem Engagement Gerda Mut und Entschlossenheit verleiht. Dazu kommen Suat Ünaldi, der mit sichtlichem Vergnügen den Teufel spielt, und für einprägsame Glanzlichter am Rande sorgen Nurettin Kalfa als Rosenmann ebenso wie als Rabe und Céline Rhiannon Moos als Schneeflocke.
Etwas allzu undramatisch und beiläufig mag die Befreiung von Kay aus dem Glaskäfig der Schneekönigin erfolgen, doch von dieser kleinen Schwäche abgesehen bietet dieses Familienstück 80 sehr unterhaltsame Minuten, in denen ganz ohne erhobenen Zeigefinger auch von Mut, Empathie und dem Wert der Freundschaft erzählt wird und emotionaler Verhärtung und Herzlosigkeit eine Absage erteilt wird. Und wer will, kann in der Reise Gerdas auch die Coming-of-Age-Geschichte eines Mädchens sehen, das lernt, Mut zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und sich für ihre Anliegen entschlossen einzusetzen. 

Vorarlberger Landestheater: „Die Schneekönigin“ von Franziska Steiof/Thomas Zaufke nach Hans Christian Andersen
1./13.12.23 sowie 2.1.24, jeweils 19.30 Uhr
3./8./10./17./23.12.23 sowie 6./7.1.24, jeweils 15 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz

www.landestheater.org

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