Miniaturen aus dem Wiener Gemeindebau
Ursula Strauss, Christian Dolezal und Karl Stirner im Spielboden Dornbirn
Martina Pfeifer Steiner ·
Okt 2025 · Lesung
Christine Nöstlingers lyrische Trilogie „Iba de gaunz oamen Leit“ ist skurril, manchmal morbide, oft humorvoll und immer berührend. Besonders beeindruckend schafft es die einflussreichste Kinderbuchautorin im deutschsprachigen Raum, die Tragik des Alltags mit liebenswertem schwarzem Humor zu durchbrechen. Das nimmt dem Elend zwar nicht seine Schwere, macht es aber zugänglicher und zeigt den Überlebenswillen der Betroffenen. Die bekannten Schauspielstars Ursula Strauss und Christian Dolezal interpretierten diese starke Dialektlyrik mit solcher Lebendigkeit und dazu Karl Stirner mit seiner Zither – da wurde die Lesung am Samstagabend am Spielboden zu einem tiefen emotionalen Erlebnis.
Locker und leger treten die drei auf die Bühne, Christian ist gesundheitlich angeschlagen und bittet um ein Hustenbonbon. Ines wird vorgestellt und präsentiert ihren gerade in Dornbirn gekauften Mantel, tritt wieder ab. Dies soll wohl vermitteln, wie nett der Vormittag im Ländle war. Mit dem Dialekt hätten sie keine Probleme gehabt, und das sollte hoffentlich umgekehrt an diesem authentisch wienerischen Abend auch so sein. Schauspielerin Ursula Strauss („Schnell ermittelt“, „Oktober November“) und Schauspieler, Kabarettist Christian Dolezal („Eine Stadt sucht einen Mörder“, „Schlawiner“, „Copstories“) sind in ihrem Element, lesen in verteilten Rollen und tauchen in die Welt jener ein, für die es „vuan und hint ned zamgeht“, die aber trotzdem fast jeden Morgen wieder aufstehen.
„Iba de gaunz oaman Kinda“
Kindsein ist nicht einfach – noch weniger, wenn sozial und ökonomisch bittere Umstände das (Über-)Leben zur großen Herausforderung werden lassen. „Kindheit ist immer glücklich und unglücklich zugleich“, sagte Christine Nöstlinger, die sich selbst als höchst produktive „Ein-Mann-Buchstabenfabrik“ bezeichnete. Bei Kindern fallen aber die Ohnmacht gegenüber Normen und Zuständen, Aussichts- und Wehrlosigkeit sowie kommunikative Hürden, die jeglichen Ausbruch verhindern, besonders ins Gewicht.
„I stotter“, aber bei der Oma nie, „durt wärs wurscht, weil die mog mi so a!“; oder „I zuzl“; „I bin blad“; „Wos ma über a Oma nit sogn darf“ … Die kleinen Gemeinheiten und Bosheiten, die Menschen im Alltag anderen Menschen anzutun bereit sind, werden in den Gedichten bestechend ausgebreitet, und durch die Darstellung der beiden Schauspielenden – Lesung kann man dazu nämlich nicht sagen – so authentisch, ohne jeden Pathos, hervorragend tief und echt!
Mit Auszügen der weiteren Bände „Iba de gaunz oaman Fraun“ und „Iba de gaunz oaman Mauna“ wird die kritisch-komische Trilogie Nöstlingers in rauem Wiener Vorstadtdialekt abgerundet. Die vielen Gesichter der Armut sind ja keineswegs nur auf das Fehlen materiellen Wohlstandes zurückzuführen, sie bedeuten auch eine Reduktion aller anderen Daseinskomponenten auf das schlichte Überleben: Gefühlsarmut und seelische Verkümmerung, Aggression aus Angst vor der Leere, Sehnsucht und andere Süchte, Abhängigkeiten, Einsamkeit und all die anderen Formen von Seelennot, die nicht weniger geworden sind, seit das Elendsmilieu den Aufstieg auch in die oberen Stockwerke der Sozialwohnbauten geschafft hat. Karl Stirner trägt mit der Musik das seine dazu bei. Er hat mit Integration der Zither (und anderer alter bzw. ‚ausgestorbener‘ Instrumente) in die ‚ernste‘ Musik eine Meisterschaft erlangt. Ein bewegender Abend, der tief in die Wiener Seele blicken lässt!