Michael Köhlmeier: „Frankie“ Ingrid Bertel · Feb 2023 · Literatur

Eins kann Frank Thaler, 14, auf den Tod nicht ausstehen: dass ihn einer „Frankie“ nennt. Und genau das kann sein Großvater nicht lassen. Ansatzlos nennt dieser ihn Frankie, als der Bub und seine Mutter ihn abholen. 18 Jahre lang saß er im Gefängnis. „Ich war ja ein paarmal dabei gewesen, wenn Mama ihn besucht hat.“

Diesen Satz verantwortet wohl der Lektor. „Ich war dabei gewesen“ – so redet kein Bub aus der Blechturmgasse im 4. Wiener Gemeindebezirk. Und schon gar nicht findet er das, was ihm gefällt „lässig“. So redeten Jugendliche vor 50 Jahren. Die Geschichte spielt aber in der Gegenwart, und Smartphones haben darin eine tragende Rolle.

Ein rabiater Opa

Warum sein Großvater so lange im Gefängnis saß, weiß Frank nicht. Seine Mutter erzählt es ihm nicht, und der Großvater schon gar nicht. Der möchte eigentlich lieber Schach spielen, und er tut alles, um es dem Enkel, der das Spiel nicht kennt, von vornherein zu vermiesen: „Ich schiebe die Figuren, und er putzt sie weg. Ohne mir zu erklären, was ich falsch gemacht habe. Und freut sich dabei.“ So einer ist dieser Großvater, und er kann auch noch mieser: weil er sich vom Enkel in einem Handy-Laden bloßgestellt fühlt, schlägt er zu: „Eigentlich war es ein Schwinger in einem Bogen von oben nach unten geführt, wie eine Peitsche sein Arm, an deren Ende ein dicker Knoten befestigt ist, die Faust. Dass mir die Backenzähne auf der einen Seite bis in die Kiefer hinunter und hinauf gesungen haben. Und umgefallen bin ich auch. An die Wand geknallt und nach unten gerutscht.“ Trotzdem folgt Frank seinem Opa auf eine unheilvolle Reise.
Dabei ist er eigentlich gern zu Hause bei seiner Mutter. Er liebt es, in einer Wanne mit duftendem Badeöl zu liegen. Jeden Mittwoch kocht er, zum Beispiel ein Kohlrabi-Gemüse. Er hat als Sohn einer Schneiderin einen versierten Blick für Mode und bewundert die Roben, mit denen seine Mutter die Opernsängerin Elisabeth Simmer ausstattet. Abends schauen sich Mutter und Sohn zusammen gern Tierfilme an. Nur eins ärgert Frank dabei: „[...] dass sie nie zeigen, wie eine Löwin oder ein Leopard seine (sic!) Beute reißt. Immer heißt es, ,diesmal hat das Zebra noch Glück gehabt‘, oder sie zeigen zwar die Jagd, aber dann Schnitt, und wir sehen die blutigen Schnauzen der Löwinnen oder des Leoparden.“ Warum wird das Töten selbst nicht gezeigt?
In dieser Hinsicht scheint Frank so zu denken wie sein Großvater, der ungefragt Gefängnisweisheiten mit Frank teilt: „Ich will sagen, die Frage, warum einer tut, was er tut, ist nicht so wichtig, wie euch die Fernsehfilme und die Kriminalromane weismachen wollen.“ Das gelte vor allem für das Morden. Er habe ja im Gefängnis viele Krimis gelesen, am liebsten Jim Thompson. Aber auch der mache den gleichen Fehler wie alle. „Normal ist es so: Was hat er getan? Das hat er getan. Und gleich folgt die Frage: Warum hat er es getan? Und was er getan hat, wird auf einmal zweitwichtig. Ob er jemandem den Bauch aufgeschlitzt hat. […] Entschuldige, keine Details, keine Details. Erstwichtig ist nur noch, warum er es getan hat. Und zack, wird’s psychologisch.“

Keine Psychologie!

Weg mit der Psychologie! Diesen Gedanken empfindet Frank als ungeheuer befreiend. „Ich bin dahintergekommen, dass wir nicht etwas aus irgendeinem Grund tun. Das Ergebnis meines zehnjährigen Denkens lautet: Wir tun etwas. Fertig. Wir tun es, weil wir es tun. Und sogar das ist falsch. Weil und Warum gehören zusammen wie Trinken und Durst. Also kannst du beide Wörter streichen. Wir tun. Fertig. Eine wirklich gescheite Justiz würde sagen: Er hat es getan. Fertig. Ab ins Loch mit ihm!“
Frank handelt; wenn er anschließend gezwungen ist, ein paar strategische Überlegungen anzustellen, dann folgt er einer kühlen Logik. Keine Introspektion, keine Empfindungen, schon gar keine emotionale Schwäche. Sein Erfinder Michael Köhlmeier ist ihm darin verwandt. Bloß kein Krimi! Nur verliert Köhlmeier irgendwann ganz einfach das Interesse an seinem Tunichtgut und schickt ihn weg. Aber nicht nach „New York, New York“, wo einst ein anderer Frank in Lackstiefelchen auf der Bühne stand und von „vagabond shoes“ sang. Michael Köhlmeiers Frank verschwindet ganz einfach im Wald.

Michael Köhlmeier: Frankie. Carl Hanser Verlag, München 2023, Hardcover. 208 Seiten, ISBN: 978-3-446-27618-5, € 24,70

Lesungen
7.2., 19.30 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz
16.2., 19.30 Uhr
Theater am Saumarkt, Feldkirch

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