Meisterhafte Orchesterarbeit
Die Orchesterakademie der Festspiele wurde am Sonntag in zweiter Auflage zum rauschenden Triumph.
Fritz Jurmann · Aug 2024 · Musik

Jubel, Standing Ovations und eine Welle der Zustimmung in der Sonntagsmatinee zum Abschluss der Orchesterakademie der Festspiele. Mit diesem großartigen Erfolg hat sich das neue Format auch in seiner zweiten Auflage bestätigt, nachdem der Start vor zwei Jahren durch den abrupten Abschied von Andrés Orozco-Estrada als Chefdirigent der Wiener Symphoniker beinahe gescheitert wäre. Retter in der Not damals war der heute 40-jährige israelische Dirigent Daniel Cohen, ein Bregenz lange verbundener und erfahrener Orchesterleiter, der diesmal gleich von Beginn an diese Orchesterakademie sicher und meisterhaft durch alle Klippen eines herausfordernden Programms führte.

Auch beim zweiten Mal hatten sich auf die Idee der Festspiele, als wichtiges Zeichen für den künstlerischen Nachwuchs einen internationalen Crash-Kurs für Orchestermusiker auszuschreiben, zahlreiche Bewerber aus dem europäischen Raum und der Region gemeldet. 80 von ihnen im Alter zwischen 17 und 27 Jahren wurden von 15 Dozent:innen für jede Instrumentengruppe der am Projekt beteiligten Wiener Symphoniker und in Absprache mit der Stella Vorarlberg Privathochschule für Musik ausgewählt. Und da entstand nun in der unglaublich kurzen Probenzeit von einer Woche ein Klangkörper mit weiblichem Überhang, der in seiner musikalischen Qualität und seinem klanglichen und technischen Niveau über weite Strecken Vergleiche mit professionellen Orchestern nicht zu scheuen brauchte.

Komplexe Klangwelt Schönbergs      

Dirigent Daniel Cohen führt also auch im Konzert den Stab und seine durchaus selbstbewussten Youngsters mitten hinein in die komplexe Klangwelt eines Arnold Schönberg an der Schwelle zur Moderne. Da geht es bei den jungen Musikern in dessen extrem schwerer, aber gemäßigt moderner Kammersymphonie Nr. 1 in einzelnen Solopassagen bereits ums musikalische Überleben. Doch keine Sorge, in dieser kompakten, beeindruckenden Interpretation gelingt alles gut, und der sonst eher ungeliebte Schönberg findet mit seinen Interpreten diesmal beim Publikum sogar den verdienten Beifall.
Die folgenden drei Orchesterlieder von Richard Strauss scheinen wie geschaffen für die Stimme von Marlis Petersen, der seit langem auch bei den Festspielen geschätzten deutschen Sopranistin. Sie will so gar keine Diva sein, sondern liefert ihren Part in großer äußerer Schlichtheit ab. Dennoch lässt sie im auftrumpfenden „Cäcilie“, dem ruhigen „Freundliche Version“ und dem zärtlichen „Ruhe, meine Seele“ ihre Stimme gekonnt, mit verklärtem Ausdruck und wortdeutlich über dem satten, farbenprächtigen Orchesterpart leuchten.

Solo für Karoline Wocher

Mit dem folgenden Monolog der Marschallin aus dem „Rosenkavalier“ setzt Petersen eine deutliche Zäsur zum Lied. Sie steht plötzlich mit entsprechenden gestischen und mimischen Attributen und veränderten stimmlichen Mitteln auf einer Opernbühne und lässt einen teilhaben am Schicksal ihrer Figur, bis zur Erkenntnis „Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“, übrigens längst zum geflügelten Wort geworden. Marlis Petersen ist auch für diese Arie die Idealbesetzung, die sie so anrührend, mit einem Anflug von Wehmut und in sich gekehrt zu gestalten vermag.
Wer immer auch die Idee hatte: Den Auftritt von Petersen mit Strauss ins Zentrum dieser Matinee zu stellen, war ein glänzender Einfall, weil sie mit ihrer Kunst der Musik vokale Glanzlichter aufsetzt und auch das Orchester in der sorgfältigen Begleitung in einem anderen, besonderen Licht erscheinen lässt. Ein Spotlight gehört an dieser Stelle der aus Rankweil stammenden Konzertmeisterin Karoline Wocher, die im Nachspiel dieser Arie mit ihren silberhellen hohen Flageolett-Tönen blitzsauber aufhorchen lässt.

Bartók – gefürchtet und geliebt

Zum Finale haben sich die Verantwortlichen ein Werk ausgesucht, das zu den gefürchteten Prüfsteinen im Orchesterbetrieb gehört und wie kaum ein anderes wirklich jeden einzelnen Musiker, jedes Register aufs Äußerste fordert. Es ist Béla Bartóks Konzert für Orchester, ein 40-minütiges brillantes und originelles Orchesterporträt, das längst zum Konzertsaal-Hit geworden ist. Auch hier stellt sich bei diesem Orchester, das eigentlich noch gar keines ist, das von vielen im Vorfeld empfundene Wagnis als Bestätigung, sogar als Glücksfall dar. Denn Bartók erfährt hier eine knallhart ausbalancierte, vor allem vom Dirigenten Daniel Cohen ausgehende, temperamentvolle und tempogeladene Aufführung, wie man sie sich besser, mitreißender und präziser nicht wünschen hätte können. In den kräftigen Beifall mischt sich noch eine schwere Melodie in fis-Moll: der Ungarische Tanz Nr. 4 von Johannes Brahms. Und man weiß am Schluss nicht mehr, wer jetzt glücklicher ist – die jungen Musiker:innen auf der Bühne oder die Zuhörer:innen im Saal.
Eigentlich schade, dass dieses tolle „No-Name-Orchester“ nach diesem Triumph schon wieder Geschichte ist und auseinandergeht. Dafür haben seine Mitglieder die Chance, nun in einem internationalen Orchester anzudocken. Darum: Fortsetzung wird von der neuen Intendantin dringend erbeten!

Im Radio: 12. und 19. August, 21 Uhr, Radio Vorarlberg; 3. September, 19.30 Uhr, Ö1

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