Geographisch und thematisch auf hohem Niveau – der sechste Mediengipfel in Lech am Arlberg Thorsten Bayer · Nov 2012 · Medien

„Europa neu denken! Wo bleibt der Wille zum Wandel?“ Diese Frage beleuchtet der sechste Mediengipfel aus unterschiedlichen Perspektiven. Zum Auftakt am Donnerstagabend hinterließ der Unternehmer Bernd Kolb mit seinem packenden Vortrag den nachhaltigsten Eindruck. Dabei war z.B. die anschließende Podiumsdiskussion auch durchaus interessant und mit Teilnehmern wie Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsens, prominent besetzt. Doch Kolb verstand es einmalig, historische Entwicklungen und aktuelle Probleme scharfsinnig zu analysieren und daraus konkrete Ideen für die Zukunft zu entwickeln.

Sie legt die Latte ganz schön hoch. Zu einem „geistigen Höhenlager“ habe sich laut Dr. Susanne Glass der Mediengipfel seit seiner ersten Auflage 2007 entwickelt. Die ARD-Korrespondentin für Österreich und Südosteuropa ist als Präsidentin des Verbandes der Auslandspresse in Wien auch Veranstalterin des Mediengipfels, gemeinsam mit Lech Zürs Tourismus und pro.media kommunikation. Doch die folgenden Beiträge geben ihr recht: Die Eröffnungsrede zum „Narzissmus der kleinen Unterschiede“ hält Martin Pollack, ehemaliger Spiegel-Redakteur, heute Autor und Übersetzer polnischer Bücher. Bei seinen tiefschürfenden Betrachtungen zu „kontaminierten Landschaften“, wie er Gegenden nennt, die Schauplatz von Vertreibungen waren, richtet er vor allem seinen Blick auf Belarus (Weißrussland).

Von Ego zu Öko

In die Tiefe und in die Breite gleichermaßen geht anschließend Bernd Kolb. Wenn der Begriff „interdisziplinär“ nicht schon existierte (und, nebenbei bemerkt, derzeit auch nicht schon so überstrapaziert wäre) – für diesen Vortrag müsste man ihn erfinden. Er kombiniert unterschiedlichste Statistiken mit Anekdoten und legt der „Generation Change“ nachdrücklich ans Herz, qualitatives vor quantitatives Wachstum zu setzen. „From Ego-System to Eco-System“ steht in Großbuchstaben auf einer seiner knallbunten Präsentationsfolien. Als Birkenstock-tragenden Bio-Romantiker kann er trotzdem nicht durchgehen. Denn er weiß auch: „Keine Nachhaltigkeit ohne Profitabilität.“

Unbequeme Wahrheiten

Und mit Profiten kennt er sich aus. Der 60-Jährige war deutscher Unternehmer des Jahres und Vorstand für Innovation der Deutschen Telekom. Dann ging er: „Hinein in eine Welt am Rande des Kollaps, von der US-Vizepräsident Al Gore in einer flammenden Rede berichtet, der Kolb 2006 beiwohnen darf und die ihn tief beeindruckt. Kolb will die unbequeme Wahrheit mit eigenen Augen sehen, er reist zwei Jahre gemeinsam mit seiner Frau Andrea zu den Orten, über die Gore gesprochen hat: Sie sind in China und schauen sich die T-Shirt-Produktion für die westliche Welt an, stehen neben den Maschinen zur Herstellung von Chicken McNuggets, wandern am Ufer des vergifteten Aralsees“ (Wirtschaftsmagazin enorm, Juli 2011). Heute ist er Unternehmensberater in Berlin. In Marokko betreibt er ein Hotel und das Projekt „Club of Marrakesh“.

Podiumsdiskussion „Wohlstand ohne Wachstum“?

In der anschließenden Diskussionsrunde, aufmerksam moderiert von Standard-Chefredakteurin Dr. Alexandra Föderl-Schmid, treffen drei Politiker auf zwei Journalisten. Prof. Dr. Kurt Biedenkopf macht deutlich, dass seit den 1970er-Jahren Wirtschaftsleistung und Staatsverschuldung in gleichem Maße wachsen. Michael Frank, ehemaliger Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Prag und Wien, ist der engagierteste Teilnehmer der Runde. Er stellt den Wachstums-Zwang dem Streben nach Glück und Zufriedenheit gegenüber. In Anwesenheit von Dr. oec. René Höltschi, Brüsseler Wirtschaftskorrespondent der NZZ, und dem ehemaligen EU-Kommissar Dr. Franz Fischler, fällt Dr. Michael Köhler durch gelungene Beiträge auf. Der Kabinettschef von Günther H. Oettinger, dem für Energiepolitik zuständigen EU-Kommissar, weist darauf hin, dass Klimapolitik in der EU derzeit wohl nicht „en vogue“ sei – angesichts von Schuldenkrise und hohen Arbeitslosenzahlen.

Weitere Termine bis einschließlich Samstag

Am heutigen Freitag und Samstag wird der Mediengipfel fortgesetzt, beispielsweise diskutiert am Freitag Robert Menasse mit der Journalistin Mag. Dr. Margaretha Kopeinig zum Thema „Die Krise als Chance für Europa“. Grundlage ist dabei unter anderem Menasses neues Werk „Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas“. Am Abend nimmt die Veranstaltung ihren Titel wörtlich: An der Bergstation der Rüfikopf-Bahn diskutieren die Auslandskorrespondenten. Dabei ist auch die Schweizer Bundesrätin Doris Leuthard.

 

www.lech-zuers.at
www.berndkolb.de

Teilen: Facebook · E-Mail