Boxen gegen eine Gummiwand – ein Kommentar zur lebhaften Diskussion zum Thema Kulturabbau im ORF Vorarlberg Peter Füssl · Nov 2017 · Medien

Es war schon sehr beeindruckend! Rund 300 Interessierte aus dem ganzen Land und aus allen Sparten der Kunst- und Kulturszene strömten ins vorarlberg museum, wo die IG Kultur Vorarlberg, diverse Netzwerkgruppen und die „Plattform gegen den Kulturabbau beim ORF“ zur Podiumsdiskussion geladen hatten. Unter der souveränen Leitung von Angelika Böhler diskutierten Barbara Herold (Regisseurin, Bundeslandsprecherin IG Freie Theater), Wolfgang Mörth (Schriftsteller, Obmann Literatur Vorarlberg), Hanno Loewy (Direktor Jüdisches Museum Hohenems), Kulturlandesrat Christian Bernhard und ORF Vorarlberg-Chefredakteur Gerd Endrich.

 ORF-Sündenregister

Aufhänger der Diskussion war die Verlegung der beliebten Sendung „Kultur nach 6“ auf 20 Uhr, also ins quotenmäßige Niemandsland, wo alle Kulturinteressierten entweder auf Veranstaltungen gehen, vor dem Fernsehapparat sitzen oder sich bei privaten Anlässen vergnügen, ihre Freizeit aber sicher nicht vor dem Radioapparat verbringen. Gerd Endrichs Rechtfertigung, man habe mit dieser Verlegung den veränderten Lebensgewohnheiten der Hörerinnen und Hörer Rechnung tragen wollen, weil sich alles immer mehr in die Nacht hinein verschiebe, erntete bei den Anwesenden nur Unverständnis und Kopfschütteln. Zumal Barbara Herold mit einer anschaulichen Graphik leicht verdeutlichen konnte, dass sich die Einschaltquote um 20 Uhr gegen Null bewegt.

Auch weitere bekannte Kritikpunkte wie die Reduzierung der Mitarbeiter, die Absetzung der ORF-Ausstellungskuratorin Carina Jielg, die Entsorgung der ORF-Hausbibliothek im Müllcontainer, die Streichung von „Einfach klassisch“ aus dem Sonntagvormittagsprogramm und natürlich der Personalabbau in der Kulturabteilung wurden diskutiert. Landläufig unbekannte Aspekte kamen aber ebenso zur Sprache. So konnte Wolfgang Mörth vermutlich einen Großteil des anwesenden Publikums mit der Aussage überraschen, dass sich der ORF bei einer Veranstaltung wie „Texte und Töne“ gerne als Kulturveranstalter aufspielt, aber höchstens einen Bruchteil der Künstlerhonorare bezahlt, während die beteiligten Initiativen und Kulturvereine zur Kasse gebeten werden oder Künstler praktisch gegen Spesenersatz auftreten.

Mitunter blickte man aber auch über den Tellerrand hinaus: So wurde das Unbehagen über drohende Kürzungen und Streichungen im allgemein anerkannten und renommierten Kultursender Ö1 ebenfalls deponiert, und man forderte den ORF auf, sein Heil angesichts von Sparzwängen und Zukunftsängsten nicht ausgerechnet im Kürzen von Kultursendungen zu suchen.

 ORF-Gesprächspartner ohne Pouvoir

 

Im Verlauf der angeregten Diskussion, die durch zahlreiche Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum zusätzlich befeuert wurde, fand sich der Chefredakteur zusehends auf verlorenem Posten. Wenig verwunderlich, war er doch vom angeblich terminlich verhinderten ORF-Landesdirektor Markus Klement mit keinerlei Pouvoir ausgerüstet worden. Er konnte also nichts verbindlich beantworten, in Aussicht stellen, geschweige denn zusagen, was die Auseinandersetzung mit ihm wie Boxen in eine Gummiwand erscheinen ließ. Fast schon hätte einem Endrich leidtun können, wüsste man nicht, dass er bei allen zur Diskussion stehenden Verschlimmbesserungen im Kulturbereich des Landesstudios die Entscheidungen des durch Abwesenheit glänzenden Landesdirektors zu hundert Prozent mitgetragen hat.

Christian Bernhard machte als höchster Kulturpolitiker des Landes eine unglückliche Figur. So mag es etwa plausibel klingen, dass er sich als Kulturpolitiker nicht in das operative Geschäft und die internen Angelegenheiten eines Medienbetriebes einmischen möchte, und man mag es ihm sogar auch noch abnehmen, dass er persönlich von der zeitlichen Verlegung der Kultursendung profitiert – auf viele Kulturveranstaltungen kann er dann allerdings nicht mehr gehen. Aber auf zu viele Fragen wusste er keine Antworten, tappte im Dunkeln und schwebte irgendwo zwischen Ratlosigkeit und Hilflosigkeit.

Ein selbstbewusstes Lebenszeichen

Allerdings wurde an diesem – fast ist man versucht zu sagen: historischen – Abend im vorarlberg museum eindrucksvoll demonstriert, dass die Vorarlberger Kunst- und Kulturszene auch ohne großartige Hilfe aus dem Landhaus klarkommt. Affronts wie der selbstherrlich vorgenommene Kulturabbau im ORF Vorarlberg werden nicht mehr widerstandslos zur Kenntnis genommen. Den Kulturarbeiterinnen und –arbeitern im Funkhaus in Dornbirn, deren kompetente Arbeit allgemein hochgelobt und geschätzt wird, wurde demonstrativ der Rücken gestärkt. Man und frau am Podium und im Publikum waren unbequem, hinterfragten, dachten quer, machten Gegenvorschläge oder boten inhaltliche Zusammenarbeit an, um den Kulturzug im Landesstudio wieder auf eine zukunftsorientierte Schiene aufzugleisen. Denn dort mangelt es in der Chefetage offensichtlich vor allem auch an positiven Visionen. Dieses selbstbewusste Lebenszeichen verbunden mit einem Schulterschluss über jegliche Genregrenzen hinweg, war der eigentliche Benefit des Abends. Walter Finks Idee, den ORF mit eigenen Mitteln zu schlagen und das Publikum anhand einer improvisierten TED-Abstimmung über die Rückverlegung von „Kultur nach 6“ auf den angestammten Sendetermin entscheiden zu lassen, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Minutenlanger tosender Applaus machten an diesem Abend alles klar, ob sich die Verantwortlichen im ORF Landesstudio davon beeindrucken lassen und zu einer mit einem Lernprozess verbundenen Kursänderung bereit sind, bleibt aber abzuwarten.

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