Mathias Eick: Lullaby Peter Füssl · Mär 2025 · CD-Tipp
Mit fünf unter seinem Namen erschienenen, exzellenten Alben und als Sideman auf Produktionen des norwegischen Gitarristen Jacob Young, der finnischen Harfenistin/Pianistin Iro Haarla, des französischen Drummers Manu Katché oder des deutsch-amerikanischen Pianisten Benjamin Lackner hat sich der 45-jährige norwegische Trompeter Mathias Eick in den letzten 20 Jahren nicht nur zu einem der Hauptakteure des renommierten Münchner Labels ECM entwickelt, sondern ist auch zu einer der wesentlichen, unverwechselbaren Stimmen des europäischen Jazz geworden. Kein Wunder also, dass ECM-Mastermind Manfred Eicher höchstpersönlich auch sein nunmehr sechstes, im legendären Osloer Rainbow Studio aufgenommenes Album „Lullaby“ produzierte – besser geht’s nicht, zumal Eick bemerkte, vom typischen ECM-Sound der 1970er-Jahre inspiriert worden zu sein, und sich niemand auch nur annähernd so gut damit auskennt, wie eben der ECM-Begründer.
In Eicks neuem Quartett finden sich zwei ebenfalls ECM-affine Musiker: Der estnische Pianist, Komponist und Django Bates-Schüler Kristjan Randalu feierte vor sieben Jahren im Trio mit Ben Monder und Markku Ounaskari mit „Absence“ sein vielbeachtetes Label-Debüt. Und Kontrabassist Ole Morten Vågan zählt seit den gemeinsamen Studientagen an der Universität Trondheim zu den ältesten Weggefährten Eicks, ist im Quartett des polnischen Altsaxophonisten Maciej Obara an drei ECM-Alben und bei Thomas Strønen auf zwei Alben beteiligt, hat aber auch als Solist und experimentierfreudiger Komponist mit dem Trondheim Jazz Orchestra oder mit Bugge Wesseltoft New Conceptions of Jazz schon Aufsehen erregt. Komplettiert wird das Quartett durch den ebenfalls in Trondheim stationierten jungen Drummer Hans Hulbækmo, dessen gleichermaßen einfühlsames wie zupackendes Spiel perfekt mit den abwechslungsreichen, gezupften und gestrichenen Kontrabass-Ideen Vågans harmoniert. Die beiden einfallsreichen und stets Bandsound-dienlichen Rhythmiker liefern die ideale Basis für Eick und Randalu, die sich – fern eitlen Virtuosentums – wechselseitig zu eindrucksvollen Soli inspirieren. Mathias Eick setzt bei seinen melodisch bezaubernden, harmonisch dezenten und rhythmisch abwechslungsreichen acht neuen Kompositionen auf einen melancholischen Grundton, der sich ganz wesentlich aus seinem über weite Strecken verhaltenen, introspektiven, warmen und in höheren Lagen durch effektvolle Schärfe belebten, unverwechselbaren Trompetenspiel speist. Wie auch schon auf seinen letzten erfolgreichen Alben „Ravensburg“ (2018) und „When We Leave“ (2021) dient sein nonverbaler Gesang zur Vertiefung der Atmosphäre. Aber auch Kristjan Randalu sorgt mit seiner abwechslungsweise lyrischen und energievollen Pianokunst immer wieder für spannende Momente.
Man sollte sich vom Albumtitel „Lullaby“ auf keinen Fall täuschen lassen, denn die musikalischen Entwicklungen der Stücke sind alles andere als einschläfernd. Das siebenminütige Titelstück, das übrigens durch die tragischen Ereignisse in Israel und Gaza inspiriert wurde, ist als Ballade mit expressiven, aber auch kontemplativen Elementen angelegt. Der Opener „September“ (Eick hat auf fast allen Alben ein Stück mit Monatsnamen als Titel) startet rhythmisch spannungsgeladen, wird von der verhallten Trompete in eine ruhigere Atmosphäre geführt, die aber wiederum durch ein quirliges Pianosolo durchbrochen wird. Das euphorisch klingende Midtempo-Stück „My Love“ spielte Eick samt Band zum ersten Mal seiner Frau anlässlich seines Heiratsantrages vor – dreimal darf man raten, wie ihre Antwort ausfiel. Im volksliedhaften „May“ und im sich ständig an Intensität steigernden „Hope“ läuft Randalu zu ganz großer Form auf. Das von Eicks geheimnisvoller Vokalise und dezenten Keyboard-Effekten zum zuerst gestrichenen, später galoppierenden Kontrabass, zu mysteriösen Pianotupfern und rasanter Percussion gekennzeichnete Stück „Free“, sowie der sich dramatisch steigernde, mit markanten Dissonanzen und Breaks gespickte Closer „Vejle (for Geir)“ fallen aus dem atmosphärischen Rahmen des Albums, stören aber keineswegs die gefühlsmäßige Ruhe, sondern frischen sie auf angenehme Weise auf. Melancholie der spannenden Sorte sozusagen! (ECM/Universal)
Konzerttipps: 1.4. Unterfahrt München
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" April 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.