Märchenhaft gut
Mit Rossinis „La Cenerentola“ gelang dem Musiktheater Vorarlberg ein Triumph auf allen Linien.
Fritz Jurmann ·
Okt 2025 · Musik
Rossinis Oper „La Cenerentola“ scheint eine treffliche Marke zu sein, um in Vorarlberg einen Volltreffer zu landen. Nach dem Erfolg beim Opernstudio der Bregenzer Festspiele im Sommer war nun das Musiktheater Vorarlberg (mtvo) an der Reihe – mit anderer Besetzung, anderem Leading Team, aber mit nicht weniger Fortüne, auch wenn die beiden Produktionen infolge ihres unterschiedlichen Hintergrundes kaum vergleichbar sind.
Klar ist jedenfalls: Die Aufführung, die am Freitag in der ausverkauften Kulturbühne AmBach ihre bejubelte Premiere feierte, gehört zum Besten, was man im Opernbereich hier bereits erleben durfte. Sie erreicht locker das Niveau einer gut ausgestatteten österreichischen oder deutschen Bühne, verkörpert in diesem besonderen Fall durch die aus Vorarlberg stammende Mezzosopranistin Corinna Scheurle, die am Staatstheater Nürnberg mit eben dieser Titelpartie bereits 2021 erfolgreich reüssierte. Hier wie dort dominiert sie mit ihrer Bühnenpräsenz glanzvoll das Geschehen, bewältigt auch schwierigste Koloraturketten mit links und braucht in ihrer zurückhaltenden Darstellungskunst keine Vergleiche zu scheuen. Sie ist bereits mittendrin in einer großen Opernkarriere.
Märchenoper oder Opernmärchen?
Im Übrigen ist man sich auch nach Ende dieser absolut kurzweiligen drei Stunden mit sich selbst uneins: War das, war man hier amüsiert und berührt erlebt hat, nun eine Märchenoper oder ein Opernmärchen? Genau genommen eine gute Mischung, eine gelungene Balance aus beiden Bereichen, die der Spannung im Ablauf und den Erwartungen des Publikums nach gelungener Abendunterhaltung gleichermaßen entgegenkommt. Klar geht es da im Libretto nach der Geschichte der Brüder Grimm vordergründig um das verkannte und verlachte Aschenputtel Angelina, hier „La Cenerentola“ genannt, das erst nach etlichen Zwistigkeiten und Missverständnissen endlich ihren Prinzen heimführen darf.
Die Umwege des Librettos führen neben einem Armreif statt des Schuhs als Erkennungszeichen über einen als sein eigener Diener verkleideten Prinzen, der auf diese Weise die Riege der heiratswilligen Damen sondieren will. Dass deren Anzahl durch 14 weitere Brautwerberinnen in weißen Kleidern aus der Statisterie ins Unermessliche erweitert wurde, gehört ebenso wie die „Frozen Figures“ im Sextett des 2. Aktes zu einer ganzen Reihe köstlicher, hoch musikalischer und nie in Klamauk verfallender Regieeinfälle, die der heuer zum vierten Mal beim mtvo gastierende Tiroler Regisseur Norbert Mladek im Köcher hat und seiner Produktion mit auf den Weg gibt. Dass dabei eine der älteren Damen der ständig quengelnden Oma aus der bekannten Möbelhaus-Werbung im abendlichen TV aufs Haar gleicht, ist eine liebenswerte Pointe am Rand.
Die menschliche Komponente
Bei aller Turbulenz des musikalischen und szenischen Geschehens lässt die Regie aber nie die besondere menschliche Komponente außer Acht, die dem Geschehen im Umgang Cenerentolas mit ihrer Situation und ihren Mitbewerberinnen eine Art Wertekatalog verleiht. Sie versteht es, sich mit ihren beschränkten Mitteln gegen die Benachteiligung durch ihren eitlen Vater und die beiden zickigen Schwestern zu wehren, die sich bereits als Bräute wähnen – ein interessanter Fall früher Emanzipation. Aber sie will auch, nachdem alle Verwicklungen aufgeklärt und die Schuldigen blamiert sind, ihnen verzeihen und die aufgerissenen Gräben mit einer tiefen Portion Menschlichkeit und Gutherzigkeit wieder zuschütten, dass es einem ans Herz greift. Insofern also eine Geste der Versöhnung, wie sie uns in diesen allseits bedrohlichen Zeiten durchaus ansteht. Und die Moral von der Geschicht‘ vorweggenommen: Aschenputtel besitzt, in welcher Form auch immer, auch heute seine Berechtigung in unserer Gesellschaft.
Die begrenzten technischen Möglichkeiten der Kulturbühne werden durch Fantasie und Einfallsreichtum von Norbert Mladek auch als Bühnengestalter weidlich genutzt, der mit bunten Bällchen den Spieltrieb der Akteur:innen anfeuert und mit einer aus 520 kleinen Quadern, genannt „Magic Cubes“, eine Treppe zum Mittelpunkt der Auftritte schafft. Diese Würfel sind zunächst bunt eingefärbt, danach im Hofzeremoniell in strengem Schwarz-Weiß, analog zu den von Nicole Wehinger geschaffenen, wunderbar historisierenden Rokoko-Kostümen des Chores (Leitung: Khrystyna Korepanoa). Und es wird zum weiteren Symbol ihrer Eigenständigkeit, wenn Cenerentola, sobald sie ihren Prinzen erobert hat, wieder zu den bunten Quadern zurückkehrt, die ihr Leben sind. Die wunderbaren Lichtstimmungen, die die Szenerie oft vergrößern und beleben, verdankt man Manuel Manja Schwald und Arndt Rössler.
Netzer am Pult: Hier kocht der Chef
Musikalisch bleibt in der Umsetzung der genialen Vorlage eines Gioacchino Rossini kein Wunsch offen. Die künstlerische Leitung durch den Intendanten seit 2008, Nikolaus Netzer, bringt immer wieder Besonderes. Sie ist von einer entwaffnenden Natürlichkeit, mit absolut stimmigen Tempi, die freilich im Parlando der Ensembles von den Chorleuten ab und zu auch die Leistung eines Schnellsprechwettbewerbes abfordern. Dazu entsteht, wenn Chor und Orchester wie etwa im Finale des 1. Aktes gemeinsam volle Pulle loslegen, eine Leuchtkraft und Lautstärke, die einer veritablen Rockband alle Ehre einlegen würde, für die volle Wirksamkeit auch in einer Opera buffa aber einfach notwendig ist. Andererseits ist das sorgfältig ausgewählte, delikat und präzise aufspielende Orchester dank der Balancekünste von Netzer gegenüber der Bühne nie zu laut, bewältigt seine vielen kleinen und größeren Solopassagen vor allem in den Bläsern mit großem Anstand und jenem eleganten Geist, den man gerne als Italianità bezeichnet, und trägt die Solist:innen und den Chor mit einem fein gewobenen Klangteppich durch den Abend.
Warum, fragt man sich nach einem solchen Ereignis, gibt eigentlich niemand im Land diesem überragenden Konzert- und Operndirigenten, der sich früher jahrelang unter der Intendanz einer Brigitte Fassbaender am Tiroler Landestheater redlich seine Sporen verdient hat, die Chance eines weiteren Auftritts auch außerhalb des mtvo?
Koloratursichere Akteur:innen
Wunderbar differenziert und für ihre Rollen charakterisiert ausgewählt wurden von Netzer die sieben Hauptpartien dieser Oper, mit erfahrenen, durchwegs höchst koloratursicher und im Belcanto erfahrenen Akteur:innen, die dabei durchwegs auch schauspielerisch das Notwendige an Situationskomik und flinken Auf- und Abtritten einbringen. Überstrahlt werden sie von der bereits erwähnten Corinna Scheurle, zunächst graue Maus, die danach im eng geschnittenen, knallroten langen Abendkleid schlagartig zur Augenweide wird. Ein Ohrenschmaus war sie schon zuvor, wenn sich bei der 35-Jährigen Schönheit und Noblesse, Wahrhaftigkeit im Menschlichen und die schlichte Poesie ihrer Bühnenerscheinung ergänzen. Dass sie zur glänzenden finalen Offenbarung auch noch die selbst von Hartgesottenen gefürchtete Koloraturarie „Non più mesta“ brillant meistert, bedarf kaum mehr einer Erwähnung.
Aber auch ihre Streitszene mit den eingebildet dummen Schwestern als „Kampfhennen“ gehört zum Amüsantesten des Abends. Die beiden hierorts gut Bekannten, die Soprane Veronika Vetter als Clorinda und Sabine Winter als Tisbe, legen sich dabei körperlich und stimmlich gekonnt voll ins Zeug. Der Vater der beiden, der deutsche Bassbariton Matthias Bein, macht als aufgeblasener und selbstherrlicher Baron Don Magnifico auch im finalen Elend noch gute Figur. Der gutaussehende Miloš Bulajić, der eigentliche Prinz Don Ramiro, von den Damen begehrt als Projektionsfläche ihrer Lüste, gibt sich mit seinem kultivierten, anfangs zurückhaltenden Tenor als noble Erscheinung zu erkennen. Seinem Diener Dandini, gespielt von dem bekannten Daniel Raschinsky, der den vermeintlichen Herrscher spielt, um die Damen zu testen, fliegen derweil die Sympathien zu. Nobel und mit vollmundigem Bass legt der südkoreanische Bass Martin J. S. Ohu seinen weisen Philosophen Alidoro an.
Zusammengefasst also eine Produktion, die alles bietet, was Freunde des Belcanto schätzen: ein Ensemble, das routiniert in einem spannungsgeladenen Plot auftrumpft, in dem Regie und Musik im Zuspielen immer neuer Einfälle miteinander wetteifern und so die Sache ohne jede Längen und Ermüdungserscheinung am Köcheln halten. Darin findet auch mtvo-Präsidentin Margit Hinterholzer ihre Genugtuung, die unermüdlich im Hintergrund das Geschehen mit 120 Mitwirkenden am Laufen hält.
Weitere Aufführungen in der Kulturbühne AmBach Götzis:
So, 5.10., 17 Uhr
Di, 7./ Do, 9./ Sa, 11.10., jeweils 19 Uhr
Karten: office@mtvo.at, Tel. 0664 / 214 35 04
www.mtvo.at