Made by Humans
Wie Kulturarbeit und Arbeit überhaupt in der Zukunft aussehen, erkundet Sabine Benzer in einer Interviewserie mit Expert:innen.
Ingrid Bertel ·
Feb 2025 · Literatur
des Österreichischen Kulturservice, sicher: „Was wir jetzt zunehmend sehen, ist, dass die neoliberal verfasste Marktwirtschaft den Boden ihrer demokratischen Begründung zu verlieren beginnt und – wie wir es mehrfach in der Geschichte gesehen haben – die nächste Antwort der Autoritarismus ist.“ Dafür braucht man weder nach China, Russland, Argentinien, Indien, Italien, Ungarn oder die USA zu blicken. Es reicht durchaus, die Verhältnisse im eigenen Land anzuschauen.
Was bedeutet das für die Kulturschaffenden? Sabine Benzer, Leiterin des Feldkircher Theaters am Saumarkt, hat in einer Serie von 10 Interviews Expert:innen zur Zukunft der Arbeit in- und außerhalb der Kulturbranche befragt und Antworten bekommen, die zum Großteil ernüchternd sind. Der Kulturbetrieb nämlich, so noch einmal Michael Wimmer, habe längst nicht mehr die Kreativität gepachtet: „Wenn ich mir die großen Digitalkonzerne anschaue, dann haben sie zum Teil Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die hundertmal größer sind als der gesamte österreichische Kulturbetrieb. Dort findet Kreativität nachgerade ideale Realisierungsbedingungen. Die marktorientierten Unternehmen wissen genau, wie sie mit ihren Kompetenzen auf eine kreative und innovative Weise umgehen.“ Nämlich marktorientiert. Und das bedeute, dass künftig mindestens die Produkte der Unterhaltungsindustrie künftig mehrheitlich KI-generiert sein werden, vermutet der Philosoph Konrad Paul Liessmann: „So klingen doch die Lieder beim berühmten Eurovision Song Contest jetzt schon alle gleich. Es würde niemandem auffallen, wenn im nächsten Jahr die KI alle diese Songs komponieren würde.“
Siegeszug der KI
Vielen Kulturschaffenden macht die KI Angst. 118 Tage lang streikten 2023 Hollywood-Schauspieler:innen und weigerten sich halbwegs erfolgreich, die Rechte auf ihre bildliche Erscheinung abzutreten. Denn das hätte bedeutet, so der Philosoph Andreas Oberprantacher: „Sie selbst und ihre Schauspielkunst werden nicht mehr gebraucht. Das ist eine eklatante Form der Selbstentfremdung und der Ausbeutung, wo etwas, das vielleicht am persönlichsten ist, Mimik und Gestik eines Menschen, umfassend kontrolliert wird, und gleichzeitig sollten Menschen auch noch auf ihre personenbezogenen Rechte verzichten.“ Der Boden dafür wird bei Meta und Co gerade weiter aufbereitet.
Es sei eine „besondere Ironie der Weltgeschichte“, dass die ersten Arbeitsbereiche, die der KI zum Opfer fallen, nicht handwerkliche, sondern intellektuelle Tätigkeiten in den kreativen Branchen sind, sagt Konrad Paul Liessmann. Niederschwellige Modelle wie ChatGPT haben längst nicht nur den Journalismus erreicht. Da gehe wohl eine soziale Schere auf, in der Made by Humans zum Statussymbol wird.
Heißt das also, die Arbeit in Theatern, Konzertsälen, Galerien und Museen wird noch prekärer, als sie es ohnedies schon ist? Seit der ersten „Studie zur sozialen Lage der Künstlerinnen und Künstler“ 1998, die dramatische Ergebnisse zeigte, hat sich wenig verbessert. Die Kulturwissenschaftlerin Sabine Kock spricht aus der Praxis. Sie war Mitinitiatorin dieser Studie, leitete mehr als ein Jahrzehnt lang als Geschäftsführerin die IG freie Theater, und als sie bei einer Tagung Julek Jurowicz, den Gründer von SMart kennenlernte, beschloss sie, eine Österreich-Ausgabe dieser Kooperative zu gründen. SMart Austria bietet User:innen eine vollumfängliche soziale Absicherung im Rahmen einer Anstellung und übernimmt auch die professionelle Verwaltung der Aufträge. Die Kooperative finanziert sich über einen prozentualen Anteil jeder eingebrachten Auftragssumme in Höhe von 10 %. SMart gibt es in vielen Ländern Europas und ist damit die für viele Künstler:innen wesentliche Möglichkeit, transnational zu arbeiten.
Fair Pay
Initiativen wie diese hat es im Verlauf der letzten Jahrzehnte so einige gegeben. Konrad Paul Liessmann erinnert etwa an ein Anliegen, das in den 1980er Jahren oft unter dem Logo „tote Kunst fördert lebende“ vorgebracht wurde: „Jetzt läuft das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers aus. Aber man könnte genauso darauf verzichten und die Urheberrechte weiterlaufen lassen und diese Einnahmen dann an die Künstler ausschütten.“
Es werde sowieso zu viel Kultur produziert, sagt der Politikwissenschaftler Michael Hirsch. Das liege an den Belohnungssystemen: Je mehr jemand produziert, desto mehr Einnahmen kann er oder sie lukrieren. Da lobe er sich das Fair-Pay-Prinzip: „Wenn die Bezahlung der Kulturschaffenden fair wäre, dann müsste vielleicht nur noch die Hälfte der Produktionen für die gleiche Fördersumme umgesetzt werden.“ Erweist sich Fair Pay also als Bremse? Ja, meint Michael Wimmer, „denn nun werden die einen zwar halbwegs entsprechend bezahlt, die anderen aber gehen leer aus, weil die Budgets nicht reichen.“
Grundeinkommen
Bleibt die Debatte um das Grundeinkommen, für das der damalige Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl, schon vor 30 Jahren eintrat. Die zehn Interviewpartner:innen haben dazu höchst unterschiedliche Ansichten. Der Schauspieler und Autor Tobias Fend plädiert für das irische Modell, wonach man eine Zeit lang künstlerisch gearbeitet haben und nachweisen muss, dass man davon lebt. „Und dann bekommt man drei Jahre lang ein Grundeinkommen.“ Dass es dieses Grundeinkommen nur für Kulturschaffende gibt, findet Fend nicht unfair – und verweist auf die Förderungen für Bauern und die alle paar Jahre fällige Rettung der Banken. Die Philosophin Lisa Herzog dagegen steht dem Grundeinkommen skeptisch gegenüber, zumal auch die Silicon-Valley-Bosse sich dafür einsetzen: „Aus deren Perspektive ist das, glaube ich, eine Möglichkeit, sich von der Verantwortung ihrer Firmen freizukaufen, auch Jobs zu erzeugen. Denn wenn sie möglicherweise mit ihren Algorithmen und Robotern sehr viele Jobs kaputt machen, einfach darauf hinzuweisen, dass die Menschen aufgrund eines bedingungslosen Grundeinkommens keine Jobs mehr bräuchten, ist zynisch.“ Statt eines Grundeinkommens favorisiert der Philosoph Andreas Oberprantacher sogenannte „Commons“, die es etwa als freien Zugang zu Bibliotheken oder Museen bereits gibt. Und nicht nur Kunst und Kultur, auch Schwimmbäder, öffentlicher Verkehr oder Wohnraum sollten als „Commons“ frei zugänglich sein.
Könnte das Arbeiten in künstlerischen Berufen oder Kultureinrichtungen also Role Model für die Arbeit der Zukunft sein? Wenn Arbeit aus dem Spiel heraus entsteht – und das kann auch Gartenarbeit sein – dann ist das „so viel schöner und besser als Fernsehen und Schokolade zusammen“, sagt Tobias Fend. Im Allgemeinen ist Kulturarbeit wohl auch nicht weniger frustrierend als andere Tätigkeiten, aber sie erzeugt, so Michael Hirsch, etwas ganz Besonderes, „nämlich ein gesellschaftliches Milieu, eine Lebendigkeit der Gesellschaft, die sich eben nicht in Zahlen ausdrücken lässt.“
Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Februar 2025 erschienen.
Sabine Benzer: (Kultur)Arbeit der Zukunft!? Impulse für die aktuelle und zukünftige Debatte. Studien Verlag, Innsbruck, Wien 2024, 216 Seiten, Klappenbroschüre, ISBN 978-3-7065-6357-4, € 29,90