Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Karlheinz Pichler · 22. Mär 2022 · Literatur

Ti apoménei - das, was bleibt

Ein neues Lyrikprojekt von Heilgard Bertel wird am 23.3. im Theater Kosmos vorgestellt. Hubert Dragaschnig liest aus "ti apoménei - das, was bleibt“, Peter Madsen begleitet musikalisch den Abend und Peter Niedermair führt ein Gespräch mit der Künstlerin. In der Print-Ausgabe der KULTUR erschien im Februar dazu ein Artikel.

Die 1944 in Salzburg geborene Malerin, Bildhauerin und Kunsttherapeutin Heilgard Bertel eröffnete im Jahr 2000 in Hohenems das Atelier Spitzenegg, in dem sie gemeinsam mit Mariann Linsi kunsttherapeutisches Arbeiten angeboten hatte. Bertels Schwerpunkte dabei waren die Bildwahrnehmung, die Bildanalytik und die Aufarbeitung von Traum- und Bildprozessen. Den maltherapeutischen Bereich hat sie jedoch vor einigen Jahren ad acta gelegt, um sich fortan auf die eigene künstlerische Tätigkeit fokussieren zu können. Der Bau und die Eröffnung ihrer „Garten-Galerie“ vor über vier Jahren unterstützt dieses Ansinnen. Peter Niedermair schrieb anlässlich der Eröffnung dieser Garten-Galerie: „Sie kann in diesem Gartenland unter dem großen Baum am Fuße der Felswand ihren ,Weltbezug‘ schreibend und malend neu erfinden, und ihn mit Sichtweisen des Alters verbinden. Künstlerische Arbeit ist eine mögliche Antwort, um aus der Sprachlosigkeit angesichts der Rätsel und Fragwürdigkeiten dieser Welt, die im letzten Lebensabschnitt nicht kleiner, sondern bekanntlich klarer und größer werden, hinauszufinden.“[1]
Das Bildnerische und das Schreiben gehören bei Bertel zusammen wie das Yin und Yang, die Bereiche ergänzen und erweitern sich gegenseitig. Die Gemälde und Skulpturen Bertels sind genauso von Poesie durchdrungen, wie ihre Texte von malerischer Anschaulichkeit künden. Es ist ein unentwegtes Changieren zwischen Bildsprache und Sprachbildern.
Über das Malen sagt die Künstlerin: „Malen ist für mich eine elementare Lebensäußerung. Was ich tue und wie ich es tue, stellt eine Beziehung her zu dem was ich erlebe, was mich berührt und was mich betrifft. Ich arbeite ungeachtet einer Beurteilung von außen, ohne Liebäugeln hin zu einem Publikum, das gesellschaftliche Medienpräsenz garantiert, wohl aber in der Überzeugung, dass Seelisches in Bildern Verbindung zu anderen Menschen schafft.“ Genau solche Verbindungen begründet sie auch in ihren Texten.

Berührtsein durch Stille

Unter dem Titel „ti apoménei – das, was bleibt“ ist nun kürzlich ein Lyrikband der Hohenemserin  im Eigenverlag erschienen, in dem 72 Texte vereint sind. Das Hardcover-Buch mit schlichtem, roten Einband wurde vom Dornbirner Grafiker Kurt Dornig gestaltet. Einundzwanzig Abbildungen von abstrakten Gemälden und Landschaftsbildern Bertels verführen zum Durchblättern der Publikation. Peter Niedermair hat ein sehr einfühlsames und inhaltlich weit ausholendes Vorwort dazu verfasst, das für sich selbst ebenfalls als literarischer Beitrag stehen könnte.
Heilgard Bertel hat die in „ti apoménei“ zusammengefassten „Sprachbilder“ in acht Kapitel unterteilt. Diese reichen von „Kind sein“ über „Noch bei Trost sein“ oder „Mythische Klänge“ bis hin zu „Berge und Steine“ und „Liebe und Abschied“. Manche Beiträge Bertels erscheinen dabei wie verdichtete Kurzprosastücke, andere sind von starker Poesie geprägt, wiederum andere tragen aphoristische Grundzüge. Aus allen Texten jedenfalls sprechen Weisheit und Erfahrung einer Künstlerin, die sich zeitlebens mit dieser Welt und ihren Bewohnern aufs engste (nicht nur maltherapeutisch) auseinandergesetzt hat. Auch die Vertrautheit mit Geschichte, Kunstgeschichte und Mythologie spricht aus den Gedichten.
Die Innsbrucker Bertel-Kennerin Ulrike Bogner-Hell schreibt über das neue Buch:  „Ariadnes Faden rettet aus dem Labyrinth, Heilgard Bertels rotes Buch mit lyrischen Texten begleitet im Labyrinth von Dasein und Leben. Sie ist Malerin mit Worten und Farben und lässt uns teilhaben an ihrer vielfältigen inneren Erlebniswelt. ,Das, was bleibt‘ (Titel), reflektiert je nach persönlichem Licht und Schatteneinfall verschiedene Farbnuancen ähnlich wie bei Flächen eines Kristalls. Heilgard Bertel schreibt sich mit ihren lyrischen Texten die Beunruhigung über Geschehnisse, innen und außen, durch Mensch und Natur, von der Seele. Sie bietet uns ihr Berührtsein durch Stille und Wind, von Licht und Verschattung in der Landschaft als unsere eigene Projektionsfläche an. Noch mehr Freiraum zum persönlichen Mitschwingen geben uns ihre dazwischen gefügten Malereien mit intensiven Farben und immer wieder leicht darüber gezogenen Linien! Das rote Buch von Heilgard Bertel ist ein äußerlich und inhaltlich ergreifender Begleiter für den eigenen Rückzug in die Stille.“
Eines der berührendsten Lyrikbeispiele trägt den Titel „Das Mandelschiff“ (S. 12) und handelt von einem Schiff, das mit bitteren Mandeln und lichtgehissten Segeln in die Zeit hinaus fährt. Es gleicht einer parabolisch aufgebauten Metapher, in der es in der letzten Strophe heißt:

Langsam zu Öl gekaut
die bitteren Kerne in langer Nacht
Öl um das Schiff zu salben
für diese Fahr, auf der
die Hoffnung in den Segeln blüht

Mit Gedichten wie etwa „Sisyphus“ (S. 25) gelingt es Bertel auch, die Klänge der griechischen Mythologie in der Gegenwart nachhallen zu lassen:

Einer ging dicht neben mir.
Wer er sei, fragte ich ihn.
»Sisyphus«

Wo ist dein Stein,
hast du ihn im Stich gelassen?
Er sagt: Du selbst bist jetzt mein Stein.

Ich schreite mit dir Ränder ab
bis wir den Abgrund finden,
der tief und weit genug ist,
dass er dein Gewicht, die Schwere
tragen kann
du dann endlich ruhst und liegst.


Peter Niedermair erinnert im Vorwort auch an die didaktische und kommunikative Kraft, die von den Sprachbildern Bertels ausgeht: „Die Texte Heilgard Bertels unterstützen uns in unserem Streben nach Kohärenz im Zusammenleben, indem sie Werthaltungen und Vorurteile befragen und in Frage stellen. Sie ermutigen uns und geben uns lichtene Worte, die uns an ein gutes Leben glauben lassen. Sie sind – wie der griechische Historiker Diodorus Siculus einmal sagte, als er in Ägypten über dem Eingang einer Bibliothek las: eine ,Klinik der Seele'.“

[1] www.kulturzeitschrift.at/kritiken/ausstellung/die-neue-garten-galerie-in-heilgard-bertels-atelier-spitzenegg-hohenems-eroeffnung-der-ausstellung-requiem-am-7-oktober-2017

Lesung, Konzert und Diskussion
Heilgard Bertel: ti apoménei
23.3., 20 Uhr
Theater Kosmos, Bregenz

www.heilgardbertel.com