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Florian Gucher · 18. Mär 2023 · Literatur

Lisa Spalt: „Grüne Hydra von Calembour“

In ihrem neuen Buch beamt Autorin Lisa Spalt alte Legenden und Erzählungen in eine kaputt gewordene Gegenwart, recycelt sie und kreiert dystopische wie gleichermaßen geheilte Zukunftsklänge. „Grüne Hydra von Calembour“ zeugt von spielerischer Wortgewalt und grotesker Gesellschaftskritik in multiplen, ineinander verschachtelten Zeit- und Raumebenen.

Sie erzählt von hüpfenden Flöhen, die das letzte Blut aus den Individuen saugen, von nicht mehr die Börse ihrer Vorgesetzten spielen wollenden Miezen und von einer Süßwasserpolypenart mit multiplen Tentakeln als Symptom des im Gleichschritt trabenden Volkes. Mittendrin ist ein Wirrwarr an begrifflichen und sprachlichen Calembours – zu Deutsch Wortspielen- wie Gastophysik, Sugar for the paradise horse (Auszucker for all of us) oder Swatchwitch zu finden, sowie es mit Anklängen an Karl Mays Old Shatterhand, Nietzsches Faust, Don Quixote, Goofy und Frankenstein versehen als Gesamtkomplex in ein Zeitalter des Apokalyptischen driftet und dort in neuen Bedeutungszusammenhängen aufgeht. Beginnen darf alles – wie so häufig - bei der Erbsünde, dem Apfel im Paradies, der durch Prophezeiungen weitertradiert wurde, bis ein näher beleuchtetes, von Fliegenschissen verunstaltetes Urskriptum belegt, dass sich ein Fehler eingeschlichen hat, es eigentlich Aleph hätte lauten müssen und die Geschichte plötzlich in seiner Kernbedeutung verdreht wird. Hinzu kommen Mythen alter griechischer Gottheiten, wie sie die Welt zum Tempel des Anrüchigen gemacht haben. „Back to the roots“ oder besser gesagt „Back to the future“: Lisa Spalt hinterfragt die Geschichten von Grund auf. Nichts ist mehr wie zuvor geahnt. Lässt sich das Leben aller Irrationalität zum Trotz doch rational erklären?

Wortwitz trifft auf Gesellschaftskritik

Eine Ultima Ratio hat „Grüne Hydra von Calembour“ nicht parat, das wäre auch zu hoch gegriffen, spielt sich das Buch doch durch humoristische Wortspielereien auf, die untergründig auch bitteren Ernst evozieren. Lisa Spalt hat ihre Freude daran, eine Welt nach ihren Vorstellungen und Fantasien zu schaffen, sowie sie, sobald sie alte Muster sowie Codes der Geschichte aufgreift, auch schon wieder mit ihnen bricht. Und sie nicht zuletzt in sich selbst zusammenfallen lässt. Beinahe skurril mutet es an, wenn sie angesichts der mit vertrauten Bezügen aufgeladenen Geschichte und der ihr innewohnenden Surrealität abrupt ins Meer an brandaktuellen Thematiken der heutigen Gesellschaft springt. Der Faden spinnt sich dabei von der allbekannten Konsumindustrie über die Kapitalismuskritik bis hin zur Migration und dem Aufteilungsungleichgewicht in einer ungerechten Welt. Wortgewandt dreht sie Verhältnisse um und denkt sie anders, alternativ. Unkalkulierbar poppen Termini wie Inflation, Marktwirtschaft oder Wirtschaftsflüchtling in einer grundsätzlich verfremdeten Welt auf, das Leben wird plötzlich zum schleierhaften Nebel und der Konzern zum englischen concern, sprich zur Sorge, zur Betroffenheit. Spalt stellt Gedankenmuster an: „In Workshops brachte ich Leuten, die Gŏu aus dem Markt hinausgebissen hatte, um sie als Wirtschaftsflüchtlinge ankläffen zu können, bei, ausgediente Kühlschränke mit geschmolzenen Ummantelungen von Kabeln zusammenzuschweißen. Lobte das Werk die blutigen Laien, steckte ich sie in die wummernden Hohlkörper, die ich als Trojanische Pferde vorführte, und inszenierte mit ihnen das alte Drama der Odyssee als Do-it-yourself-Staatslotterie. Allein ihre Geschicklichkeit sollte es sein, welche die Chancen ihres Loses bestimmte. Sie überschwemmten die Kanäle mit Bildern ihrer Untergänge und dumpten so meine Gewinne. Listig begann ich daher, Aufnahmen ins Paradies nur noch in Form von NTFs zu verscherbeln“, so die verkehrte und doch bezeichnende Realität an einer Stelle des Werkes. Lisa Spalts Texte schaukeln sich durch Sprachspiele auf, auch wenn sie dem Ernst des Lebens teils bewusst einen humoristischen Gegenpart entgegenstellen, sind sie welthaltig und von politischer Wirklichkeit durchzogen. Manchmal reicht Spalt ein einziger Begriff, um ihre Darlegung um ganze Bedeutungskomplexe reicher zu machen. Nicht zuletzt zerlegt die gebürtig aus Hohenems stammende Autorin Worte in kleinste Details, überträgt sie in andere Sprachen wie dem Lateinischen oder dem Englischen, wodurch sich weitere Bezugspunkte als Querverweise ergeben, die der Geschichte wie ausgemacht eine neue Wendung verleihen und in eine neue Ummantelung kleiden, oder auch von innen revolutionieren. So, wie es das Spiel mit Antonymen und Wortklängen wie enthüllt, nackt und angezogen beziehungsweise Ungeziefer und Ziffer, Miesen und Miezen, Amor und Moral oder wichtig, importierend und implantierend ist, das formal den Rhythmus vorgebend nichts dem Zufall überlässt und sich im Inhalt wiederfindet. Metaphorische Gleichnisse wie das Gebären eines Kindes auf Zeitungspapier – der Nachrichtentext wird dadurch zur Prophezeiung der Zukunft – grooven sich in das dichte Konvolut ein und laden scheinbar banale Sätze mit bedeutungsträchtigen Darlegungen auf. Mehr als nur einmal ist einem zum Schmunzeln über bizarr anmutende Begriffsherleitungen und Etymologien zumute. Wer hat das Verb amüsieren schon bis zu seinen Wurzeln verfolgt, um schließlich bei dem vulgärlateinischen Nomen Maul oder Schnauze zu laden? Wie so oft in „Grüne Hydra von Calembour“ werden Rezipient:innen quasi auf frischer Tat bei ihrem eigenen Handeln ertappt. Das Wirrwarr mündet schließlich in der Auflösung des Bekannten und einer Sphäre, in der Alles fluide wird. Mensch, Tier, Pflanze, Gottheit, Ungeheuer, Molekül, sowie Mikro- und Makrokosmos werden zu einer undurchschaubaren Eins.
Lisa Spalts Werk ist Inhalt und Form in einem. Sozial-gesellschaftliche Referenzen sind das Futter im sprachbasierten Spiel, das aufgrund seiner experimentellen Poetik und Verflochtenheit zugegebenermaßen nicht gerade einfach zu schlucken ist. Sobald man sich jedoch eingeklinkt hat in den Untergangs-, Eroberungs- und Experimentierreigen, kann das Nachsinnen über unsere Lebenswirklichkeit basierend auf einer lebensfernen Welt mit (un)realistischen Narrativen jedoch durchwegs Spaß machen.

Dieser Artikel erschien bereits in der KULTUR-Print-Ausgabe / März 2023.

Lisa Spalt: Grüne Hydra von Calembour. Czernin Verlag, Wien 2023, Hardcover, 136 Seiten, ISBN: 978-3-7076-0795-6, € 20

Buchpräsentation, Mod. Ingrid Fürhapter
25.4., 19.30 Uhr
Magazin 4, Bregenz
www.czernin-verlag.com