Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein Gunnar Landsgesell · Mär 2023 · Film

Lars Eidinger - eine Selbstentblößung. Der deutsche Schauspieler lädt durch seine Persona dazu ein, auf ein klassisches Porträt zu verzichten und dafür jeden Moment im Zeichen des „Ich“ zu zelebrieren. Das hat ... Witz.

Lars Eidingers Erfolg scheint immer auch sein größtes Problem: Egal ob man ihn bei Proben in Salzburg in der Hauptrolle von „Jedermann“ sieht, mit Birgit Minichmayr in „Alle Anderen“ oder in Olivier Assayas‘ „Personal Shopper“. Eidinger mag unterschiedliche Rollen spielen, aber in diesem Dokumentarfilm ist er immer der gleiche. Ja, er gibt in Rainer Holzemers Porträtfilm sogar selbst zu Protokoll, er verstehe Schauspieler nicht, die sagen, sie wären auf der Bühne jemand anders. Eidinger nicht, er rackert sich durch die Probenräume, mal polternd, mal weinerlich, aber immer im Modus der Ich-Maschine. In diesem Sinn affirmiert Rainer Holzemers Porträtfilm seinen Protagonisten auf schelmische Art und Weise. Er hopst zwischen verschiedenen Probe-Schauplätzen hin und her, ohne auf die Projekte einzugehen. Denn alles, was hier verhandelt wird, wird sogleich von Eidinger konsumiert, oder sollte man sagen, kannibalisiert. Schon zu Beginn dauert es nur wenige Sekunden, bis Eidinger mit nacktem Oberkörper durch das Bild streift, muskulös, quasi ruhelos auf der Suche nach einem Publikum. Die Kamera ist ihm in diesem Sinn ausnahmslos willkommen. Eidinger lässt mit seinem Körpergewicht einen Tisch mit Speisen schwanken, kurz darauf reckt er einem sein blankes Hinterteil entgegen. Eidinger in der Hamburger Kunsthalle, Eidinger bei der Berlinale, Eidinger mit Mütze am Kopf schon wieder irgendwo anders. Ein treibender Elektro-Rhythmus (Eidinger ist auch DJ) peitscht zur Eidinger-Show ein: Achtung, Rampensau! Dass ein Freund meint, Lars sei privat ganz anders, ein Empfindsamer, ist eine risikolose Behauptung. In „Sein oder nicht sein“ fällt Eidinger nie aus der Rolle. Selbst Schauspielgrößen wie Juliette Binoche: „Da gibt es ein großes Ego, aber man hat das Gefühl, er dient einer größeren Idee“, oder Isabelle Huppert: „Du kannst die Augen nicht von ihm lassen“, werden in dieser Show an den Rand gedrängt.

Ausdruck und Symptom zugleich 

Holzemers Film hat auf seine Weise einen klugen Zugang zu seinem Protagonisten gefunden. Er tritt nicht kritisch gegen diesen an, sondern lädt ihn in Permanenz ein, sich selbst zu entblößen. Sollte einmal ein Satz nicht mit „Ich“ beginnen, dann hat das triftige Gründe. Der Schauspieler sitzt mit geschlossenen Augen vor einem Spiegel und gibt sich den Zusehern hin. So wird der Film zu einem Psychogramm, in dem niemand anders über die Person Eidinger spricht als diese selbst. Bei den Proben für „Jedermann“ steigert sich der bullige Schauspieler in einen klitzekleinen, aber effektiven Furor, wenn er Regisseur Michael Sturminger im Stil von Klaus Kinski anbrüllt, er dulde nicht, dass dieser ihn stoppe, wenn er gerade sein Letztes gibt. So gibt es im Film immer etwas zu staunen, zwar more of the same, aber die körperliche Verausgabung, die Hingabe, die Lust, die Eidinger für seine Schauspielerei für sich reklamiert, kommt auch diesem Film zugute. Eigentlich hat Eidinger seinem Anspruch, bei jeder Rolle er selbst zu sein, gerade auch in diesen Film Genüge getan. Eidinger spielt gewissermaßen Eidinger. Oder, mit einer Frage im Film gesprochen, was denn das Neue sei, wenn er, Eidinger, den Jedermann spielen werde. Darauf antwortet dieser: „Ja, das Neue ist, dass ich ihn spiele.“ Die Inbrunst, die dieser Film dankbar aufgreift, erweist sich als stets lohnend. Nie wird es fad, egal, wie man zu diesem Akteur steht. Wenn Eidinger bei einer Pressekonferenz bei der Berlinale feuchte Augen bekommt, weil er „Liebe in die Welt trägt und Hass erntet“, dann wird weiter am Mythos gebastelt. Tatsächlich wirkt Eidinger wie eine Figur, die das Theater heute zu brauchen glaubt – gegen die eigene Musealisierung, vor der Eidinger warnt. Der experimentierfreudige Theaterregisseur Thomas Ostermeier erscheint so gesehen wie Eidingers logischer Partner. In dieser Hinsicht funktioniert „Sein oder nicht Sein“ aber auch wie eine „self-fulfilling prophecy“. Eidinger, das personifizierte Spektakel, dessen Starkraft und Omnipräsenz sich selbst zum Programm erklärt hat, wird damit zum Ausdruck und Symptom dieses Theaterbetriebes gleichermaßen. Man fragt sich, wie das Theater sich eigentlich seine eigene Zukunft vorstellt. Viel Zeit gibt es für solche Fragen aber nicht in diesem Film. Schon hat der It-Boy sich wieder seiner Kleider entledigt und streift hungrig auf der Suche nach seinem Publikum umher.

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