Kunstmuseum Liechtenstein im Zeichen der Kontamination Karlheinz Pichler · Dez 2022 · Ausstellung

Das Programmjahr 2023 des Kunstmuseums Liechtenstein soll laut der Direktorin Letizia Ragaglia ganz im Zeichen der „Kontamination“ stehen. Die Vermischung von Disziplinen und künstlerischen Positionen soll sich als roter Faden durch das gesamte Programm hindurchziehen. Eine Neuauflage erfährt dabei die Ausstellung „Das Parlament der Pflanzen". Und weiters ist mit „Artist‘s Choice" ein neues Format angesagt, dessen erste Ausgabe von der Liechtensteiner Künstlerin Martina Morger gestaltet wird.

Das abgelaufene Jahr war das erste, das in der Gesamtverantwortung der neuen Direktorin Letizia Ragaglia stand. Bei der Präsentation des Programmjahres 2023 verwies Marion Matt, Präsidentin des Stiftungsrates des Kunstmuseums Liechtenstein, darauf, dass die neue Museumschefin viel Schwung und Elan ins Haus gebracht habe und es ihr mit ihrer „easy going“-Art gelungen sei, neue Publikumsschichten anzusprechen. Der interdisziplinäre Einbezug angrenzender Sparten wie etwa Musik und Tanz hätten diesen Trend zusätzlich verstärkt.
Direktorin Ragaglia unterstrich, dass der begonnene Schwerpunkt, mit der hauseigenen Sammlung zu arbeiten, fortgesetzt werde. Alles solle für alle da sein. Und durch neue Konstellationen könnten immer wieder neue Geschichten erzählt werden. Um das Museum für alle Bevölkerungsschichten offen zu halten, soll der eingeführte eintrittsfreie Mittwoch beibehalten werden. Die Begegnungen mit Kunst, Publikum und Partnern sollen verstärkt werden.       

Artist's Choice       

Mit „Artist's Choice“ wird ein neues Format eingeführt, in dem Künstler:innen die Sammlung des Museums neu „aufladen" sollen. Die 1989 in Vaduz geborene Liechtensteiner Peformance- und Multimediakünstlerin Martina Morger hat für die von ihr kuratierte Auftaktausstellung „Are We Dead Yet?“ (17. Februar bis 6. August 2023) Werke des Kunstmuseums ausgewählt, die eine Reflexion über unser erschöpftes Leben sowie die zugespitzte Ausschöpfung des Lebens anregen sollen. Die Gewinnerin des Manor Kunstpreises St. Gallen (2021) tritt für einmal als Kuratorin in Erscheinung. Anhand von rund zwanzig Sammlungswerken geht sie Fragen nach, wie zum Beispiel, ob wir schon tot seien oder einfach nur müde.
Zu sehen sind Werke unter anderem von Edith Dekyndt, Latifa Echakhch, Christoph Getzner/ Markus Getzner, Anne Marie Jehle, Marcel Odenbach, Gina Pane, Pamela Rosenkranz oder Aleksandra Signer. Wobei Morger einen Schwerpunkt auf Videoarbeiten setzt. Viele der ausgewählten Werke seien seit längerem nicht mehr ausgestellt gewesen oder werden überhaupt zum ersten Mal aus dem Deopot geholt. Ein installativer Eingriff von Morger selbst soll das Thema mit einem großen Samtvorhang in eine weiche wohlwollende Hülle kleiden.      
„Immer das Leben ausschöpfend und vom erschöpften Leben erzählend, sieht sich der Mensch in der Mitte von allem“, betont die Kuratorin kritisch. Ihre Auswahl soll von der Suche nach Bedürfnissen zeugen, die wir aufgegeben haben zu stillen oder nahezu daran scheitern. Morger, die an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und an der Universität für angewandte Kunst in Wien studiert hatte, bevor sie 2019 an der Glasgow School of Arts den Master in Fine Art Practice absolvierte: „Die Sehnsucht nach letzten Verabschiedungen, schwindenden Erinnerungen, fast Vergessenem umgarnt uns immer wieder in nostalgischem Wohlsein. Während Weggeworfenes, Zuspätgekommenes, Abwesendes, Totgeglaubtes und Todgeweihtes um unser momentanes Empfinden kreist wie Geier im Anflug auf das heißgeliebte Aas.“      

Parlament der Pflanzen II      

Anfang Mai findet die Ausstellung „Parlament der Pflanzen“, die 2020/21 auf eine große Resonanz stieß, eine Fortsetzung (5. Mai bis 22. Oktober 2023). Hintergrund dazu ist, dass der Umgang mit Ökosystemen und der Klimawandel den Bezug des Menschen zur Natur und zur Welt grundlegend verändert haben. In der Ausstellung sollen künstlerische Ansätze mit neuen Erkenntnissen der wissenschaftlichen Forschung verschränkt werden. Einem Begleittext ist zu entnehmen: „Pflanzen werden als befähigte oder (so von Stefano Mancuso) intelligente Wesen verstanden, mit denen unser Überleben zutiefst verbunden ist. Das bringt einen grundlegend veränderten Blick auf die Prinzipien der Natur mit sich. Künstler:innen greifen diese Thematiken mit ihren komplexen Verflechtungen aus vielfältigsten Perspektiven auf und verleihen den Pflanzen eine Stimme.“      
Gemäß den Intentionen der Ko-Kurator:innen Annett Höland und Hans-Jörg Rheinberger sowie der Kuratorin Linda Schädler sollen neue Erzählweisen angeboten werden, um sichtbar werden zu lassen, wie alles mit allem verbunden ist, andererseits soll mit der Ausstellung das Prinzip der Kooperation als gesellschaftliches Gegenbild zum parasitären Umgang mit der Natur vorgestellt werden.
Die künstlerischen Arbeiten des „Parlaments der Pflanzen“ stammen von Polly Apfelbaum, Ursula Biemann & Paolo Tavares, Anna Hilti, Jochen Lempert, Rivane Neuenschwander & Mariana Lacerda, Alevtina Kakhidze, Uriel Orlow, Silke Schatz, Thomas Struth, Athena Vida, Miki Yui und Zheng Bo.      

Der Mensch als kaum greifbarer Umriss      

Die Hilti Art Foundation zeigt von 7. Mai bis 15. Oktober 2023 unter dem Titel „Unter mir der Himmel“ eine monografische Ausstellung mit dem 1950 im deutschen Obermarchtal geborenen Künstler Paco Knöller. Die Schau umfasst 40 Werke des Künstlers von den 1980er-Jahren bis zur Gegenwart, die durch Plastiken aus der Sammlung der Hilti Art Foundation ergänzt werden, unter anderem von Pablo Picasso, Max Beckmann, Alberto Giacometti, Hans Arp und Germaine Richier.
Knöllers zentrales Ausdrucksmittel ist die gezeichnete Linie, die er mit Bleistift, Farbstift, Kugelschreiber, Ölkreide oder einem Messer auf Holz oder Papier visualisiert. In der Ausstellung der Hilti Art Foundation sind ausschließlich Werke in Ölkreide zu sehen.
Den Motiv- und Themenschwerpunkt im Bildkosmos von Paco Knöller bildet seit den frühen 1980er-Jahren die menschliche Figur. Kurator Uwe Wieczorek: „Die Titel deuten an, dass es um elementare Existenz- und Grenzerfahrungen geht. Der Mensch, im Bild als kaum greifbarer Umriss oder nur durch Kopf und Hände in Erscheinung tretend, ist ein fragiles, oftmals unbehaustes Geschöpf, das der Polarität von Körper und Geist, von Leben und Tod unterworfen ist und darin eine wohl immer nur ungewisse Daseinsform zu finden versucht. Knöller bindet aber das Bild des Menschen zugleich in den Zusammenhang der anorganischen und organischen Welt ein, in ein komplexes Gewebe irdischer, pflanzlicher und kosmischer Phänomene von ebenso verführerisch schöner wie latent bedrohlicher Anmutung.      

Wedemeyer, Meyers und Moro im Herbst      

Den Herbstauftakt macht mit Clemens von Wedemeyer ein deutscher Künstler, der sich in seinen Film- und Medieninstallationen zumeist zwischen vorgefundenen Situationen und spekulativen Nacherzählungen bewegt. Das Kunstmuseum wartet in enger Zusammenarbeit mit dem 1974 in Göttingen geborenen Künstler erstmals mit einer Einzelpräsentation auf (1. September 2023 bis 28. Januar 2024), die vorhandene Sammlungswerke und neue Arbeiten vereint.      
Im Oktober ist dann weiters der 1972 in New York geborene amerikanische Künstler und Komponist Ari Benjamin Meyers mit einer Performance zu Gast. Meyers thematisiert anhand des Wetters den Klimawandel und das unstillbare menschliche Bedürfnis nach Prognosen, Fortschritt und Herrschaft über unseren Planeten.      
Von 17. November 2023 bis 1. April 2024 ist eine Personale der 1961 in Mailand zur Welt gekommenen Liliana Moro angesagt. Im Fokus dabei ihre Praxis des kontinuierlichen Zuhörens. Moro regt in ihren Arbeiten die Betrachterschaft zu erhöhter Aufmerksamkeit an und lädt sie ein, sich sowohl physisch wie emotional aktiv zu beteiligen. Tatsächlich ist jede ihrer künstlerischen Gesten ein Akt, der vom Publikum auch eine Handlung (wie zum Beispiel Betreten, Niederkauern oder Lauschen) verlangt. Die Ausstellung soll gemäß Museumsmitteilung zudem einen grundlegenden Werkaspekt Moros vertiefen: den Klang.      
Zeitgleich zur Moro-Schau eröffnet die Hilti Art Foundation eine Sammlungspräsentation. Unter neuer thematischer Zusammenstellung werden neben Werken der bestehenden Sammlung auch wichtige Neuerwerbungen präsentiert.      
Im Übrigen ist noch bis zum 10. April 2023 die Ausstellung „Candida Höfer. Liechtenstein – Im Dialog mit den Sammlungen des Kunstmuseum Liechtenstein und der Hilti Art Foundation“ zu sehen. Im Zentrum der Schau steht eine neue, in Liechtenstein entstandene Motivgruppe der renommierten deutschen Kunstfotografin.

Ausstellungen 2023      
bis 15.1.2023: Im Kontext der Sammlung: Brian O'Doherty. Phases of the Self
bis 10.4.2023: Candida Höfer. Liechtenstein – Im Dialog mit den Sammlungen des Kunstmuseum Liechtenstein und der Hilti Art Foundation
17.2. – 6.8.23: Artist's Choice: Martina Morger. Are We Dead Yet?
5.5. – 22.10.23: Parlament der Pflanzen II
7.5. – 15.10.23: Paco Knöller. Unter mir der Himmel (Hilti Art Foundation)
1.9.23 – 28.1.24: Im Kontext der Sammlung: Clemens von Wedemeyer
17.11.23 – 1.4.24: Liliana Moro
ab 17.11.23: Aus der Sammlung der Hilti Art Foundation (Arbeitstitel)

www.kuntstmuseum.li

 

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