Kreiskys Superfrau
Neue Biographie von Maria Wirth über die Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg
Hertha Firnberg (1909–1994) war eine Schlüsselfigur im Modernisierungsprogramm von SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky (1970–1983). Sie war die erste Wissenschaftsministerin und leitete das neue Ministerium dreizehn Jahre lang. Ihr Wirken prägte die Wissenschafts-, Universitäts- und Forschungspolitik in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Das „Profil“-Cover vom 9.4.1975 zeigt sie mit der Überschrift: „Kreiskys Superfrau“. Die Dornbirner Historikerin Maria Wirth (Universität Wien) zeichnet nun in einer äußerst lesenswerten Studie das Leben dieser außergewöhnlichen Politikerin nach und schließt eine Lücke in der Zeitgeschichtsforschung.
Während über den Kanzler zahlreiche Werke existieren, gibt es über seine Minister:innen kaum wissenschaftliche Arbeiten. Eine Ausnahme macht Justizminister Christian Broda. Über ihn hat die Historikerin bereits eine umfangreiche Publikation vorgelegt. Kurz bevor Kreisky 1967 die Partei übernahm, folgte Firnberg Rosa Jochmann als SPÖ-Frauenvorsitzende nach. Ihre Lebensläufe waren völlig unterschiedlich: Das Arbeiterkind Jochmann verbrachte vier Jahre im KZ Ravensbrück und diente der Partei von der Pike auf. Hertha Firnberg war Akademikerin und wurde in die verschiedensten Parteifunktionen als Quereinsteigerin, als „moderne Expertin“, geholt.
Ihr Vater Josef (Salomon) war Gemeindearzt in Niederrußbach (NÖ), konvertierte und ließ seine Kinder taufen. Darüber sprach sie nie. Kreisky hatte Memoiren hinterlassen, Broda seinen Nachlass geordnet, und Firnberg sorgte dafür, dass möglichst wenig Persönliches überliefert wurde.
Wirth verfasste keine Hagiographie der „roten Maria Theresia“ – so eine der vielen Bezeichnungen der Wissenschaftsministerin. Daher kommt auch ein „dunkler Punkt“ zur Sprache: Jahrelang war Firnberg führend in der Ludwig Boltzmann Gesellschaft tätig. Sie wusste von den NS-Verbrechen ihres Genossen Heinrich Gross, ohne einzuschreiten. Erst 1989 verlor der einstige „Euthanasie-Arzt“ die Leitung seines Boltzmann-Instituts.
Karrierewunsch Universitätsdozentin
Wirth zeichnet den Bildungsweg von Firnberg anschaulich nach. Ihre Mutter war eine Vorkämpferin für die Mädchenbildung, und das prägte das Leben der späteren Politikerin nachhaltig. Ihr ganzes Wirken war der beruflichen Gleichstellung von Männern und Frauen gewidmet – bei gleicher Qualifikation.
Hertha Firnberg besuchte die Bundeserziehungsanstalt in Wien-Hernals. Ausschlaggebend für die Schulwahl waren die demokratischen Schulreformen von Otto Glöckel im Roten Wien, die vom „bürgerlichen Lager“ heftig bekämpft wurden. Ein Gegner war z. B. Emil Schneider, von 1923–26 christlich-sozialer Unterrichtsminister, dann Direktor an der Dornbirner Realschule.
Firnberg engagierte sich in der „Vereinigung sozialistischer Mittelschüler“, als Studentin der Geschichte beim „Verband sozialistischer Studenten“ und in der SDAP. Ihr Interessenschwerpunkt lag bei der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Während der austrofaschistischen Diktatur schloss sie ihr Studium ab. Ihre Dissertation „Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit“ wurde 1935 veröffentlicht. Sie fühlte sich zur Wissenschaft berufen und wollte eine Universitätslaufbahn einschlagen. Diese Pläne erfüllten sich nicht. Sie wurde keine Dozentin, damals ein fast aussichtsloses Unterfangen. Nach der NS-Machtübernahme galt sie als „Vierteljüdin“, dennoch kam sie beim „Wiener Weltmodenverlag“ unter.
Expertin bei der Arbeiterkammer Niederösterreich
Auch nach Kriegsende blieb ihr eine Universitätskarriere versagt. Schließlich trat sie 1948 in die Arbeiterkammer für Niederösterreich ein. Dort blieb sie bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1969. Als „Neo-Pensionistin“ wurde sie Ministerin.
Zu ihren Arbeitsfeldern bei der AK zählte der Aufbau der Statistikabteilung und die Betreuung der Bibliothek. Sie wurde eine gefragte Expertin auf dem Gebiet der Sozial- und Arbeitsstatistik. Zahlreiche Vorträge und Publikationen widmete sie der Stellung der Frau im gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben. Otto Probst – später Verkehrsminister und Protagonist bei der „Fußach-Affäre“ – holte sie in den Bezirksparteivorstand in Wien-Favoriten und schlug sie für den Bundesrat vor. 1963 zog sie in den Nationalrat ein. Eine Initiative, die sie parteiintern stärkte, war die „Aktion zur Förderung der höheren Bildung für Arbeiterkinder“. Als Frauenvorsitzende engagierte sie sich während der ÖVP-Alleinregierung (1966–1970) zunehmend in der Bildungs- und Forschungspolitik. Das Schulwesen und die Schulorganisation blieben ein Zankapfel zwischen ÖVP und SPÖ, trotz des historischen Kompromisses von 1962. Die Universitätslandschaft sah nach 1945 düster aus. Die Nationalsozialisten hatten die jüdischen Professoren vertrieben, zurückholen wollte man sie nicht. Die „Entnazifizierung“ war oberflächlich, das zeigte die Borodajkewycz-Affäre, die ehemaligen Austrofaschisten waren wieder im Dienst. Die konservativen Rektoren saßen überall fest im Sattel, Widerstand gegen den „Muff der Talare“ regte sich erst in der 68er-Bewegung.
Wissenschaftsministerin – Aufbruch in neue Zeiten
Auf das Ende der ÖVP-Alleinregierung bereitete sich Kreisky mit „1400 Experten“ und zahlreichen Reformprogrammen vor. Das „Humanprogramm“ zu gesundheits- und umweltpolitischen Fragen leitete Firnberg, das Justizprogramm stammte von Broda, die Hochschulprojekte erarbeitete das Team um Heinz Fischer. Für Kreisky war klar, dass die Unterrichts- und Wissenschaftskompetenzen getrennt gehörten. Nach dem Wahlsieg 1970 erhielt die SPÖ-Frauenvorsitzende deshalb das neue Wissenschaftsministerium. Ein „typisch weibliches Ressort“ wie das Sozialministerium lehnte sie kategorisch ab.„Unterricht und Wissenschaft“ galt als Erbpacht der ÖVP. Die „schwarzen“ Beamten am Minoritenplatz – Sitz des Unterrichtsministeriums – weigerten sich, ein Schild anzubringen, aus dem hervorging, dass nun auch das Wissenschaftsministerium hier untergebracht war. Die Neo-Ministerin griff selbst zu Hammer und Nagel, um einen entsprechenden Hinweis anzubringen.
Das neue Ministerium war zunächst schlecht ausgestattet. Dass es gebraucht wurde, zeigte ein OECD-Bericht, der die Forschungsförderung in Österreich heftig kritisierte. Firnberg stellte sie auf neue Füße. Ihr „Leuchtturmprojekt“ war jedoch die Neuorganisation der Universitäten im Zeichen der Demokratisierung. Ein wichtiger Schritt: die Abschaffung der Studiengebühren. Der akademische Mittelbau erhielt Aufstiegschancen und wie die Studentenschaft Mitbestimmungsrechte. Dass die „Drittelparität“ von der Professorenschaft auf das heftigste bekämpft wurde, versteht sich von selbst. Der Weg zum Universitäts-Organisationsgesetz 1975 war äußerst mühsam. Doch „Tante Hertha“ – wie sie despektierlich apostrophiert wurde – verschaffte sich zunehmend Respekt.
Bildung war für sie ein Menschenrecht und ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Der offene Uni-Zugang, die Frauenförderung, die Stärkung der Erwachsenbildungseinrichtungen, die Förderung der Bibliotheken und Museen, die Gründung neuer Universitäten – z. B. die Bildungsuniversität in Klagenfurt – u. v. m. brachten einen zukunftsweisenden Modernisierungsschub. Wie konfliktreich viele Maßnahmen waren, zeigt die Errichtung des „Fernstudienzentrums“ in Bregenz. Firnberg, die Fernuniversität Hagen und der Bregenzer SPÖ-Bürgermeister Fritz Mayer kooperierten und stießen auf den erbitterten Widerstand von Landeshauptmann Herbert Kessler.
Weiterer Aufstieg blieb ihr verwehrt
Firnberg war 1974 nach dem Tod von Bundespräsident Franz Jonas als Kandidatin für das Amt im Gespräch. Die Partei stellte jedoch Rudolf Kirchschläger auf, eine Frau galt als kaum wählbar. Zwei Jahre später gab es für sie einen weiteren Tiefschlag: Kreisky zog ihr den jungen Hannes Androsch als Vizekanzler vor. „Alt bin ich selber“, soll er gegrummelt haben. Zur Versöhnung bot er ihr das Außenministerium an, wohl wissend, dass die rote „Grande Dame“ ablehnt – das Wissenschaftsressort ging ihr über alles.
Bilanz
Von Hertha Firnberg wurden viele Vorhaben in Angriff genommen. Manche konnten umgesetzt werden, nicht alle Ziele wurden aber erreicht. Es studierten weniger Arbeiterkinder als erhofft. An den „Massenuniversitäten“ nahm der Frauenanteil zu, die Lehrstuhl-Besetzung mit Professorinnen ging jedoch nur sehr zögerlich voran. In der anbrechenden neoliberalen Ära wurden Firnberg-Reformen zurückgenommen: Unter ÖVP-Wissenschaftsminister Busek ging es ab 1993 in Richtung „Managementuniversität“ mit dem Abbau der errungenen Mitbestimmungsrechte.
Ein besonderes Anliegen von Firnberg war es, die Wissenschaften im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu stärken. Der Befund nach „Corona“ und der während der Pandemie feststellbaren Wissenschaftsfeindlichkeit ist jedoch betrüblich: Die Wertschätzung für Wissenschaft und Forschung zu heben, bleibt daher ein wichtiges Ziel.
Maria Wirth: Hertha Firnberg und die Wissenschaftspolitik. Eine biografische Annäherung. Mit einem Vorwort von Oliver Rathkolb (Zeitgeschichte im Kontext – Band 020). Vienna University Press, Göttingen 2023. 241 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8471-1621-9, 45 €