Kreativ-virtuoses Piano-Vocals-Vergnügen mit Helbock/Bertault Peter Füssl · Mär 2023 · Musik

Für ihr vor einem Jahr beim renommierten Münchner Jazz-Label ACT erschienenen ersten gemeinsamen Album „Playground“ erhielten der Vorarlberger Pianist David Helbock und die Pariser Vokalistin Camille Bertault begeisterte Kritiken. Kein Wunder, dass die grandiose Scheibe in der Kategorie „Album Vokal des Jahres International“ gerade unter die letzten drei Kandidaten für den Deutschen Jazzpreis 2023 nominiert wurde. Wie immer sich die Juror:innen entscheiden mögen, das in Scharen erschienene Publikum in der Kulturbühne AMBACH in Götzis zeigte sich beim ersten gemeinsamen Auftritt der beiden in Vorarlberg jedenfalls begeistert.

Gebündelte Kreativität

Der 39-jährige Koblacher hat sich in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl an Projekten – zuletzt mit dem brandaktuellen Austrian Syndicate – einen international hervorragenden Ruf als ausgesprochen vielseitiger, experimentierfreudiger, virtuoser und auch witziger Tastenmagier erspielt. Diese Eigenschaften lassen sich vorbehaltlos auch auf die Vokalkunst der 36-jährigen Französin übertragen, die schon 2015 mit ihrer selbstironischen Version von Coltranes „Giant Steps“ einen viralen Facebook-Hit landete und spätestens mit dem drei Jahre später erschienenen, gleichnamigen Album auch in der Jazz-Szene nachhaltigen Eindruck machte. Die gebündelte Kreativität von Camille Bertault und David Helbock wird zusätzlich durch ihre gemeinsamen musikalischen Vorlieben für Jazz-Legenden wie Thelonious Monk, Latin-Stars wie Egberto Gismonti, Klassiker von Bach bis Skrjabin oder Pop-Stars à la Prince oder Björk befeuert. Dementsprechend abwechslungsreich über alle Genregrenzen hinweg gestaltete sich auch der Konzertabend.

Vielseitiges Programm

Dieser startete mit den spannungsgeladenen Latin-Grooves und dem zungenbrecherischen Scat-Gesang einer mitreißenden Version von „Frevo“, das Gismonti vor 45 Jahren auf seinem ECM-Album „Solo“ veröffentlichte hatte. Bertault singt öfters über zwei Mikros, eines konventionell gehandhabt, das zweite läuft über eine elektronische Loop-Station und ermöglicht auch verschiedene Hall- und Verzerrungseffekte. Helbock verwendet in diesem Duo-Projekt ebenfalls zwei Loop-Geräte zum Generieren von Endlosschleifen und spielt wie für ihn üblich nicht nur auf den Tasten, sondern zur Erweiterung der Klangfarben auch in den Saiten. Darauf folgte die wundervolle, von Billy Holiday bekannt gemachte Ballade „Good Morning Heartache“, die von Bertault auf Französisch nachgedichtet „Bonsoir mal de coeur“ heißt und den Charakter eines – von Helbock mit wundervollen Läufen detailreich umspielten – Chansons annimmt. Ein erster gleichermaßen explosiver wie witziger Höhepunkt ist „Lonely Supamen“, das Helbock Ornette Coleman und seinem berühmten „Lonely Woman“ gewidmet hat – mit elektronischen Verfremdungen, beherztem Griff in die Saiten und cartoon-artigen Vocals. Darauf folgte als wunderschöner Kontrast eine Bearbeitung von J.S. Bachs „Goldberg-Variationen“, ehe mit dem balladesken „Ask Me Now“ von Thelonious Monk – ein Lieblingskomponist der beiden und Großmeister genial schräger Blues-Reminiszenzen – gewürdigt wurde. Mit „Aide-moi“ folgte die erste Komposition aus der Feder Camille Bertaults, ein Hilferuf angesichts ihrer Covid-Erfahrungen, wie sie erzählt. Allerdings dürfte ihre Verzweiflung nicht so groß gewesen sein wie der Einfallsreichtum, der diesem abwechslungsreichen, mit unterschiedlichen Stimmungen vollgepackten Stück zugrunde liegt.

Nach einer kurzen Pause wurde der zweite Teil des Abends mit dem mit zahlreichen Electronic-Elementen angereicherten „New World“ von Björk eröffnet, das die Stimmung des Filmmusik-Klassikers aus „Dancing In the Dark“ wundervoll wiedergibt. Vom russischen Pianisten und Komponisten Alexander Skrjabin stammte das möglicherweise gefühlvollste Stück des Abends – zauberhafte Melancholie, äußerst geschmackvoll, stimmig und mit großer Sensibilität interpretiert. „Para Hermeto“ ist eine schwindelerregende, äußerst komplexe Up-tempo-Hommage von David Helbock an Hermeto Pascoal mit geloopten perkussionistischen Elementen und schier überbordender Vokalakrobatik. Bertaults verträumte, getragene Ballade „Bizarre“ bildet den idealen Kontrapunkt dazu.

Extravagante Zugaben

Erwartungsgemäß erklatschte das begeisterte Publikum noch zwei Zugaben, zu denen sich das exzellente Duo gar nicht erst lange bitten ließ. Möglicherweise weil mit Prince ein weiterer Lieblingskomponist und -musiker der beiden auf dem Programm stand. Der apokalyptische Party-Song „1999“ hat mittlerweile zwar schon vierzig Jahre auf dem Buckel, von seiner quicklebendigen, mitreißenden Faszination aber noch nichts eingebüßt – vor allem nicht in der lustvoll-witzigen Version dieses Duos. Camille Bertault spielt mit elektronischen Verfremdungen und demonstriert auf humorvolle Weise, dass sie neben dem virtuosen Umgang mit ihrer Stimme auch noch über schauspielerische Talente verfügt. David Helbock schüttelte – wie schon den ganzen Abend – seine sprühenden Ideen locker aus dem Ärmel und meisterte selbst komplexeste Passagen mit einer lässigen Leichtigkeit. Einer der vielen stimmungsmäßigen Höhepunkte des Abends. Mit dem seltsamen, von David Helbock geschriebenen Stück „Das Fabelwesen“ fand dieser gleichermaßen spannende wie amüsante Spaziergang über die zahlreiche künstlerische Attraktionen bietende „Spielwiese“ – die zugleich ein faszinierendes Experimentierfeld ist – ein stimmungsvolles Ende.

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