Kompositorische Raffinesse und feinsinnige Interaktion
Das exzellente Eva Klesse Quartett eröffnet die Jazz&-Saison am Spielboden
Peter Füssl ·
Sep 2024 · Musik
Seit nunmehr 11 Jahren ist dieses hervorragende, mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Quartett der Drummerin Eva Klesse mit Pianist Philip Frischkorn, Saxophonist Evgeny Ring und dem – nach mehreren Umbesetzungen am Kontrabass vor zwei Jahren neu dazugestoßenen – Marc Muellbauer auf den wichtigsten Bühnen Europas vertreten. Kaum zu glauben also, dass die sympathische Band erst am Dornbirner Spielboden nun endlich auch ihre Österreich-Premiere feiern konnte. Das dafür mit Furore vor einem begeisterten Publikum, obwohl musikalisch absolut nicht auf das Laute, Plakative gesetzt wurde, sondern auf kompositorische Raffinesse und feinsinnige Interaktion.
Individuelle Fähigkeiten in der Gruppe potenziert
Das Quartett, das beim Münchner Label Enja Records bislang fünf von der Kritik hochgelobte Alben herausgebracht hat, legt größten Werten auf eine kollektive Herangehensweise ans gemeinsame Spiel, und man begegnet sich stets auf Augenhöhe, um einen perfekten Band-Sound zu erreichen. Alle Beteiligten steuern auch ihre eigenen Kompositionen bei, und trotzdem ist es vollkommen passend, dass die Band den Namen der Drummerin trägt. Denn Eva Klesse ist eine einzigartige Schlagzeugerin, die ungemein geschmackvoll und subtil das rhythmische Geschehen vorantreibt, Spannungen auflodern und wieder verebben lässt, perkussive Highlights setzt und durchgehend dermaßen abwechslungsreich agiert, dass man versucht ist, von einem eineinhalbstündigen Dauersolo zu sprechen. Ihr gefühlvolles Spiel wirkt sich auf Bauch und Gehirnwindungen gleichermaßen positiv aus. So gesehen ist es natürlich kein Zufall, dass die aus Nordrhein-Westfalen stammende 38-Jährige – neben ihren diversen Band-Projekten – seit 2018 an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover als erste deutsche Instrumentalprofessorin beschäftigt ist. Eher überrascht es da schon, dass Genderthemen bei solchen Bestellungen offenbar immer noch eine Rolle spielen.
Wie Bezau Beatz-Mastermind und Boomslang Records-Labelboss Alfred Vogel (selbstverständlich ein Schlagzeuger) zu sagen pflegt, kann man sich darauf verlassen, dass gute Drummer als Bandleader immer erstklassige Musiker in ihre Bands holen. Das gilt auch beim Eva Klesse Quartett. Der Münchner Pianist Philip Frischkorn, der russischstämmige, in Deutschland lebende Saxophonist Evgeny Ring und der deutsch-britische Bassist Marc Muellbauer verfügen wie die Drummerin spieltechnisch und kompositorisch über beachtliche individuelle Fähigkeiten, die sie aber nie großartig ins grelle Scheinwerferlicht rücken, sondern lieber im gemeinsamen Zusammenspiel in ihrer Wirkung potenzieren. Extreme sucht man in der Musik dieses Quartetts vergeblich, hier fechten alle Beteiligten mit einer wirklich feinen Klinge. Diese Dezenz könnte bei weniger guten Musiker:innen mit der Zeit vielleicht auch langweilig klingen, die Musik des Eva Klesse Quartetts ist aber bei konzentriertem Hören absolut spannungsgeladen, abwechslungsreich, tricky und mit Überraschungen „gespickt“.
Fünf „Songs Against Loneliness“
Fünf der am Spielboden präsentierten Stücke stammen vom bislang letzten, 2022 erschienenen Album „Songs Against Loneliness“, auf dem bei einigen Titeln der Gitarrist Wolfgang Muthspiel als Fünfter im Bunde mitwirkte. Ein sehr empfehlenswerter Longplayer, mit dem die Band Pandemie-Erfahrungen und Lockdowns, die unter anderem zwei ausgedehnte Tourneen vereitelten, musikalisch verarbeitet hat. Auch, aber keineswegs nur melancholisch. So wirkt etwa das von Klesse während des Lockdowns im Frühling 2020 geschriebene „du & ich“ über weite Strecken sehr unbeschwert, sie meinte, es sei „von einer präpandemischen Leichtigkeit geprägt“. Auch „intermezzo for people floating in fear“ aus der Feder des Pianisten klingt durchaus hoffnungsfroh, ja nahezu hymnisch. Das von Marc Muellbauer als sehr lebhafte und abwechslungsreiche Hommage an seinen berühmten Kontrabass-Kollegen Dave Holland komponierte „song for dave“ soll „die Freude und den Elan in dessen Musik widerspiegeln“. Von Muellbauer stammt auch „lied“ mit seinem dramatisch-romantischen Klavierintro, den lebendigen Sax-Läufen und auch sehr leisen Passagen – „ein kleines Schlaflied, nicht nur, aber hauptsächlich für nicht mehr ganz so junge Leute“, wie auf dem Booklet zu lesen ist. Als Konzert-Zugabe wurde dann noch der von Frischkorn komponierte Album-Opener „minor is what i feel“ gespielt, das dem Wortspiel gemäß in Moll erklang und sich um ein gefangennehmendes, fast schon Soul-Jazz-artiges Klaviermotiv dreht, das zugleich Traurigkeit ausdrücken und Hoffnung vermitteln soll – was auch perfekt gelingt.
Fünf unveröffentlichte Kompositionen
Das Quartett hatte aber auch bislang Unveröffentlichtes im Gepäck, etwa das erst bei den Proben in Dornbirn endgültig in Form gebrachte, der gleichnamigen Ostseeinsel gewidmete „Hiddensee“ – die wurde, nebenbei bemerkt, auch schon vor 50 Jahren von Nina Hagen in „Du hast den Farbfilm vergessen“ besungen. Sie habe das Stück dort am verstimmten Klavier des Puppenspielers Karl geschrieben, erzählte Eva Klesse, und auf der Insel tummelten sich auch Trolle. Dementsprechend entwickelte sich viel Geräuschhaftes zu einer stürmischen, musikalischen Entdeckungsreise mit coolen Breaks, die zur Abwechslung auch wieder in ruhigere Gewässer führten, ehe sich die Trolle wieder einbrachten, und das Piano ein furioses Finale samt energischem Sax-Solo einleitete. Von Klesse stammt auch das ruhige und melodiöse „Igelstellen“, in dem es um die musikalische Umsetzung der unterschiedlichen Stellen am Körper des Stachelträgers geht – außen stachlig und abwehrbereit, innen ganz weich. Das irgendwie Calypso-artig wirkende „Bumblebee“ wurde von Drums und Piano vorangetrieben, während der Bassist zum Bogen griff. Eine weitere, noch namenlose Komposition changierte mit seiner schönen Melodie zwischen einer nachdenklichen und hoffnungsvollen Stimmung und landete nach einer eindrucksvollen dynamischen Entwicklung im Euphorischen. Auch mit Frischkorns „Artistic Resolution“ wurde einmal mehr der perfekte Bandklang, die hochgradige musikalische Übereinstimmung aller Mitwirkenden zelebriert. Im Sinne von Joe Zawinuls Idealvorstellung von komplizierter Musik, die einfach zu hören sein soll, bietet der eingängige, aber durchwegs knifflige und anspruchsvolle Chamber-Jazz des Eva Klesse Quartetts der Hörerschaft eine ideale Mischung aus Herausforderung und Hörvergnügen.
Nächstes Album „Stimmen“ erscheint im November
Im privaten Gespräch mit Eva Klesse war zu erfahren, dass bereits Anfang November unter dem Titel „Stimmen“ wieder bei Enja Records das sechste Album des Quartetts erscheinen wird – erweitert um die Ausnahmestimmen von Michael Schiefel und Zuza Jasinska und verstärkt durch den Elektroniker und Sound-Designer Philipp Rumsch. Auch hier handelt es sich um Kompositionen, die unter dem Eindruck der COVID-19-bedingten Lockdowns entstanden sind, wobei sich die 13 hochpolitischen Stücke mit gesellschaftlichen Umbrüchen und Themen wie Freiheitskampf, Diskriminierung und den Kampf für eine lebenswerte Zukunft beschäftigen. Man darf gespannt sein, wie die Songs mit Lyrics klingen, denn schon bisher klangen die Kompositionen oft wie Lieder ohne Text.
Weitere Jazz&-Konzerte am Spielboden
Mi, 30.10.24 Moisés P. Sánchez Quartet
Mi, 13.11.24 Egberto Gismonti
Do, 12.12.24 KID BE KID
So, 29.12.24 Jazzorchester Vorarlberg & Strings play Philip Yaeger
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