Klimt und Interior Design
Tobias G. Natter: „Gustav Klimt: Interiors“
Peter Niedermair · Dez 2023 · Literatur

Tobias G. Natters Monografie wirft einen frischen, vertiefenden Blick auf Gustav Klimt. Diese Publikation, die im Auftrag der Neuen Galerie New York und im Prestel Verlag erschien, beleuchtet systematisch Klimt und die Wiener Raumkunst, eine zentrale Kategorie des modernen Kunstbetriebs in „Wien um 1900“.

Dahinter steht die Idee der engen Abstimmung von zeitgenössischem Bild, Architektur und Avantgarde-Design. Heute zählen Klimt-Gemälde in den vorrangig besten Museen der Welt zu den besonders gehüteten Schätzen. Keines dieser Gemälde hängt noch am ursprünglichen Platz in den Villen und Wohnungen der frühen Sammler:innen. In bislang nicht gekannter Form zeigt dieser Bildband anhand historischer Fotos Klimt „in situ“. Sie dokumentieren die Gemälde in jenem raumkünstlerischen Kontext, in dem sie ihre kraftvolle Wirkung entfalteten. Die Fotos und farbigen Bildmontagen nehmen die Leser:innen mit auf einen Spaziergang durch sehr moderne Wohnsitze und frühe Avantgarde-Ausstellungen. Tobias G. Natter selbst sagt: „Selbst für die Neue Galerie New York – ein herausragendes Kompetenzzentrum zum Werk von Gustav Klimt – ist die Neuerscheinung etwas Besonderes."

Der Klimt-Hype

Der Hype um Gustav Klimt (1862–1918) und seine Kunst ist schon lang in Gange. Klimt wurde nach seinem Tod in den 20er Jahren zunächst nahezu vergessen. In der frühen Rezeption in den 50er und 60er Jahren hatten insbesondere Wiener Emigrant:innen die Rezeption von Klimts Kunst vor allem in England und den USA internationalisiert. Heute zählen seine Werke zu den teuersten der Welt und werden zu einem Wert von 100 Millionen Dollar und mehr gehandelt, in Auktionen und Privatverkäufen zum Teil noch wesentlich höher. Entscheidend ist, dass die Käufer auf den Märkten weltweit agieren, besonders russische und asiatische. Letzthin war die Rede davon, dass Sammler in Hongkong zwei Ölbilder, eines als Leihgabe im Belvedere, mit einem Versicherungswert von über 300 Millionen Dollar einstuften. Damit gehört Klimt zu den Top 10 der Welt.
Klimt selbst hatte eine große Sammlung von Asiatika, chinesische, koreanische Vasen, exotische Kunst, besonders Textilien, die ihn inspirierten. Klimt habe nie kopiert, sondern sei ganz frei damit umgegangen, betont Tobias G. Natter. 2006 wurde Klimts Porträt von Adele Bloch-Bauer von der auf deutsche und österreichische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts spezialisierten Neuen Galerie New York in einem Privatverkauf zu einem Rekordpreis von angeblich 135 Mio. US-Dollar erworben.

Wofür steht Klimt?

Für Erotik, Farbe und Ornament. Das Ornament vor allem, die Kalligraphie, die Kunst der schönen Linien, Qualitäten dieser sogenannten Lineaments, die in der asiatischen Kunst immer schon eine Rolle gespielt haben, bilden bis heute eine Brücke zu dem, was Kunst wesentlich macht. Gustav Klimt zählt zu den renommierten Künstlern Österreichs, war Mitbegründer der Wiener Secession und hat den Jugendstil der Wiener Ringstraße durch seine großformatigen Wandgemälde im „Goldenen Stil“ entscheidend geprägt. Seine künstlerischen Ideen waren oft durch byzantinische Mosaike inspiriert, wobei er ornamentale Farbflächen in ein goldenes Bett fügte wie gefasste Edelsteine. In den Bildern beschreibt Klimt den Lebensweg des Menschen, der, durch die Triebe beeinflusst, seine Erlösung in dem Kuss findet. Die Körperdarstellungen besitzen eine subtile Erotik, deren Gestalten sich in ornamentalen, geometrischen Farbflächen auflösen. Dieses Stilprinzip wendet er nicht nur an für seine Paardarstellungen, sondern auch bei den Porträts reicher Damen und den Landschaftsbildern.

Blick auf die Mäzen:innen und die Beziehung zum Interior Design

Der in Dornbirn geborene Tobias G. Natter ist Kunsthistoriker, Experte für Kunst in Wien um die Jahrhundertwende und Autor zahlreicher Publikationen zu Klimt und seiner Zeit. Er war Chefkurator im Belvedere, Direktor des vorarlberg museums und des Leopold Museums in Wien. Außerdem ist er Herausgeber und Autor von „Klimt & Rodin – eine künstlerische Begegnung“ sowie „Klimt und die Frauen des Goldenen Wiener Zeitalters“, 1900–1918.
Für den Umgang mit Fotos verwendet Tobias G. Natter in seiner neuen Publikation zu Klimt einen ganzheitlichen Ansatz, das Bild steht im Zentrum, zu jeder Wohnung sagt er etwas, auch zu den Mäzen:innen. Der Kunst- und Kulturwissenschafter erweitert somit die Kunstgeschichte zur Kulturgeschichte und fokussiert dabei besonders auch die Käufer:innen, die früh auf Klimt aufmerksam machten. Oft waren es Frauen, Mäzeninnen, die Gemälde kauften. Natter visualisiert die Raumkunst mit Fotos und geht atmosphärisch sehr dicht der Frage nach, wer diese Menschen sind und nimmt die Leser:innen auf einen Spaziergang durch Kunst und Kultur dieser Zeit um die Jahrhundertwende.
Das versammelte Bildmaterial ist konsequent zusammengetragen und schafft Räume für eine vertiefende Auseinandersetzung. Im Speziellen beleuchtet die Publikation Gustav Klimts Rolle und Beziehung zum Interior Design, das eine zentrale Rolle in der Welt Wiens um 1900 spielte. Dahinter steckt die damals prominente Idee eines Zusammenwirkens von zeitgenössischer Kunst, Architektur und Design. Viele der Gemälde Klimts waren für spezifische Settings sehr geeignet. Dieser Aspekt seiner Malerei wird in Natters Publikation deutlich. Dazu zählen insbesondere die vielbewunderten Portraits von Adele Bloch-Bauer, Emilie Flöge und Sonja Knips, die teilweise schockierenden Akte „Nuda Veritas“ und „Hoffnung I“ sowie grüne Landschaften.
In der gegenwärtigen Rezeption von Klimts Malerei wird unter anderem besonders der magische Zugang in der Gegenwart betont. Die vollfarbigen Reproduktionen der Klimt Gemälde werden mit historischen schwarz-weiß Fotographien der originalen Innenausstattungen präsentiert. Reflektierende persönliche Texte des Klimt-Experten Tobias G. Natter begleiten jedes prominente Gemälde. In Summe öffnet das aktuelle Buch über Klimt, seine Malerei und seine Zeit einen offenen Blick auf den Künstler schlechthin und dessen persönlichen Vorstellungen zur Wiener Moderne. 

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Dez'23/Jän'24 erschienen.

Tobias Natter: „Gustav Klimt: Interiors“, Hardcover, leinengebunden, Prestel Verlag, 208 Seiten, ISBN 978-3-7913-7978-4, € 47,50

 

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