Schwabohipster sind Kulturokkupation – Politisches Kabarett von Malarina in der Kammgarn Peter Ionian · Apr 2022 · Kleinkunst,Kabarett

Malarina ist für mich persönlich das erste Mal auf dem Radar erschienen, als sie bei „Pratersterne“ im Wiener Fluc, moderiert von Hosea Ratschiller, Bastis Abschied verarbeitet hat. Bei der Übertragung im österreichischen Gebührenfernsehen hat sie meiner Meinung nach den Abend gerockt. Das war natürlich lange, nachdem die Kulturwerkstatt Kammgarn bereits einen Kabarettabend mit ihr vereinbart hatte. Umso gespannter war ich, eine gesamte Show von ihr in Hard ansehen zu können. Für den Auftritt am gestrigen Donnerstag, 28. April ist sie extra mit dem Zug bis nach Vorarlberg gereist. Nicht ohne zu erkennen, dass das Ländle von Wien fast genauso weit weg ist, wie die Ukraine. Und nicht ohne allen, die nicht hinkamen, ein schlechtes Gewissen auf ihrer Instagram Story zu machen. Ist auch angebracht, denn es wurden ja nicht nur Ressourcen verbraucht, sondern sie ist inzwischen unbestritten eine aufstrebende Newcomerin des österreichischen Kabaretts, wurde heuer mit dem Förderpreis des österreichischen Kabarettpreises ausgezeichnet und fängt gerade an, auch in Deutschland Fuß zu fassen. Da ist zu Hause bleiben schon ein klarer Fall von „selber Schuld“.

Malarina ist kein Kabarettgeplänkel für Weichgesottene, ganz im Gegenteil. Marina Lacković ist gebürtige Serbin, geboren in Picka Materina ohne Autobahnanschluss. Sie ist als Gastarbeiterkind nach Innsbruck gekommen und von dort geflohen. Nämlich nach Wien, in die Hauptstadt der Misanthropie. Aufgesetzte Freundlichkeit ist nicht so ihr Ding. Vielmehr seziert sie die kulturellen Absurditäten des weitgehend salonfähigen Nationalistentums dieser Gesellschaft, leitet dieses geschichtlich her und knallt es dem Publikum ohne Rücksicht auf Verluste um die Ohren. Dabei geht es sowohl um ihre „Schwaboseele“ als auch um ihren „Jugobackground“. Sie vermittelt zwischen den Fronten, die sie schonungslos in den Raum wirft. Sie nimmt sich auf der Bühne kein noch so kleines Blättchen vor den Mund. Neben Geschichtsstunde und Kulturvermittlung bekommt das Publikum auch ein Vollbad in politischem Kabarett. Sie ist scharfzüngig, klug, gnadenlos und das Programm kommt derart verdichtet daher, dass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Wofür auch, denn sie hat echt was zu sagen. 24 Seiten Text, prall gefüllt mit Hieben von allen Seiten. Wie würden Serben ihr zufolge sagen: „Ich ficke euch“. Also ja, wenn man sich an die Aufkleber der Musikindustrie aus den 90ern erinnert: „Parental Advisory – Explicit Content“. Das soll aber nicht täuschen, denn es ist kein vulgäres oder sexistisches Programm. Sie schlüpft in eine Rolle mit starkem Ausländerakzent, formuliert aber sprachgewandt wie eine überqualifizierte Langzeitstudentin. Ihre eigene Volksgruppe kann sie genauso perfekt nachspielen, wie gestandene Tiroler, Hühner oder die sprichwörtlich unfreundlichen Wiener. Barrieren der Sprache werden wie im Hürdenlauf übersprungen, von Serbisch über „Schwabodeutsch“ bis in die unterschiedlichen Dialekte.

Es braucht nicht viel, um viel zu bieten

Die Kammgarn Kulturwerkstatt ist immer wieder bemüht darum, ganz bewusst Frauen ins Programm zu bringen. Malarina ist aber definitiv mehr als eine Quotenfrau und eine Quotenmigrantin. Ihr Set ist bereit für größere Bühnen und wird bestimmt auch mit jedem Mal noch eingespielter. Die Regieanweisungen sind klar, es kommen Lichtstimmungen und lauthalsige Irritationen genauso wie Spotlights und pseudoernste Emotionalitäten. Auf der Bühne braucht es nichts, außer diesen Stimmungen, einem Sessel und Malarinas Sprechdauerfeuer. Deshalb werde ich jetzt bestimmt nicht anfangen, über Outfits zu reden, denn über die Verpackung wird nur verhandelt, wenn der Inhalt es nicht verdient. Bei ihr geht es jedoch um Inhalt. Wenn man also bereit ist, bis hinter die Zwischenkriegszeit alle großen kulturellen Konflikte zu betrachten – die Rede ist von Weltkriegen, Attentaten und historischer Schuld ­­– wenn man bereit ist, sich auch mit der gesellschaftlichen Schuld und Verantwortung, in Sachen Rassismus, Integration, Assimilation und himmelschreiender Scheinheiligkeit auseinanderzusetzen, wenn man bereit ist, sich vor Augen zu führen, wie wir immer wieder korrupten, hetzerischen Führerpersönlichkeiten auf den Leim gehen, dann ist Malarina mit komprimierter politischer und ethnokultureller Gnadenlosigkeit der beste selbstgebrannte Schnaps für durstige Hälse, in denen kein Lachen stecken bleiben will.

www.malarina.com
www.kammgarn.at

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