Cie Alogique/Laurent Piron: Battement de Peur - Magie Nouvelle, Zaubertheater aus Belgien Peter Niedermair · Sep 2020 · Kleinkunst,Zirkus

Am 10. September ging im zappendusteren Lustenauer Freudenhaus die Österreichpremiere des Stücks über die Bühne. So dunkel war es dort noch nie; Laurent Piron erzählte hernach im Gespräch mit KULTUR, dass man zwei Tage lang damit beschäftigt gewesen sei, alle Ritzen im Zelt abzudecken. Nichts, aber auch gar nichts sollte auch nur mit einem Lichtstrahl die Dunkelheit, in der man die Stille noch einmal eindringlicher erlebt, stören. Der Titel des Stücks „Battement de Peur“ ist ein Wortspiel – peur, Angst und coeur, Herz, Herzschlag; die Begriffe fließen phonetisch lautmalerisch ineinander über und inhaltsbezogen überlagern sich deren Bedeutungen als Metonymien, rhetorische Stilfiguren, die das eigentlich gemeinte Wort durch ein anderes ersetzen und so ein Bild erschaffen. Sie bezeichnen darüber hinaus auch emotionale Grundbefindlichkeiten des Menschen, ganz egal welchen Alters. Angst in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ist dabei die vordergründige, einerlei, ob sie als Antrieb oder Hemmung auftaucht, manchmal laut und dann wieder verschwindend leise.

Im Zauber der Emotionen

Der Herzschlag, wie Laurie Anderson in ihrem Song „Oh Superman“ von 1981 zeigt, ist jener lebensdefinierende, bestimmende Impuls, der uns in Gang hält, in den wir hineinhören, der uns in Relation zu den Alltagsereignissen wie ein Spiegel begleitet. Gespiegelt werden Emotionen wie Freude und Glück, und auch Angst. Alle diese Varianten werden in gut einer Stunde kaleidoskopisch durchgespielt. Von der dunkelsten Dunkelheit, die es im Freudenhaus je gab, über sirenenartig heulende Geräusche, die an der Grenze des noch Erträglichen laut tönen, bis hin zu jenen sich magisch im Raum bewegenden Kartonschachteln oder den wundersamen Spielzeug Entdeckungen, die Laurent Piron in der Rolle des Gaspard, der Reihe nach erlebt, wenn er mit dem Zuschauer über die Bühne und deren räumliche Dimensionen spaziert, immer wieder aufs Neue von der Magie Nouvelle motiviert. Und davon geht ein besonderer Zauber aus, der die Zuschauer des Premierenabends an die Stuhlkante vorrücken lässt. Im Stück, das noch diesen Freitag, 11. und Samstag, 12. September im Freudenhaus in Lustenau vom belgischen Zaubertheater-Ensemble aufgeführt wird, schlüpft Laurent Piron, der belgische Zauberkünstler in die Rolle von Gaspard, ein gewöhnlicher junger Mann, der sich mit seinen persönlichen Ängsten konfrontiert, auf sie zugeht, sich mit ihnen auseinandersetzt, ihnen auf den Grund geht und sie erforscht, um an ihnen stärker zu werden. All das präsentiert der dialogisch angelegte Verlauf des Stücks mit großer Leichtigkeit und auch Situationskomik, der wir staunend nachfragen, wie sie denn eigentlich funktioniert, wenn Schachteln von oben – wie aus dem Himmel – herunterfallen und sich nach dem Fallen in einem aufeinandergestapelten Turm wiederfinden. Das Stück, mit eigens dafür komponierter Musik, die ein starkes dramaturgisches Element repräsentiert, spielt mit den Emotionen der Zuschauer und verzückt mit seinen magischen Bildern, die uns fortlaufend staunend machen. Mit situationskomischem Humor. 

Gaspard soll auf Annas Brief reagieren

Der Dialog beginnt mit einer Frauenstimme, die Gaspard, der als einziger Spieler auf der Bühne auftritt, fragt, ob er ihren Brief erhalten habe. Dieses Thema zieht sich leitmotivisch durch die ganze Stunde, die aufgrund des großen abwechslungsreichen Geschehens, als sehr kurz erscheint, und eigentlich hätte ich mir am Ende noch eine Viertelstunde dazu gewünscht. Unter anderem zu den Spielsachen, die Gaspard fortwährend in den Schachteln entdeckt, hervorzaubert und magische Kunststücke vorführt, die – wie in der Magie Nouvelle entwickelt  – dem menschlichen Auge und dessen Wahrnehmungsoptionen zumeist nicht enträtselbar sind. Diese Episoden kontrastieren mit scheinbar monotonen Bewegungen des Kreisels, den Gaspard wiederholt antippt und ihn weitertrudeln lässt. Szenisch gesehen ist es, als gingen wir mit dem Hauptdarsteller auf den Dachboden und entdeckten dort im Bann seiner Neugier immer wieder neue Spielsachen, solche, die wir zum Teil kennen, und andere, die sich in Papierkneuel verwandeln. Mit großer Spannung folgt man auch den Schattenfiguren, die wie aus einem Fingerschattenwurf entstehen und sich auf einer kartonunterlegten Kleinbühne wie von selbst bewegen, ohne dass wir verstehen, wie das möglich ist. Natürlich hat Gaspard diesen Brief Annas bekommen, und wir erleben sie als nicht bühnenpräsent, wie sie seiner Antwort nachfragt, die ihm offensichtlich größte Mühe bedeutet. Wir erleben den Protagonisten, wie er ein ums andere Mal mit einer Anrede beginnt, darob dann jedoch schon wieder verzweifelt und aus den Papierstücken Fetzen und geknüllte Bälle fabriziert, die er wiederholt bewirft. Das Stück aus purer Magie gestrickt – „Battement de Peur“ – bedeutet einen großen Zauber, der die Besucher des Abends nahezu atemlos in Bann zieht. Auch das vereinzelt jüngere Freudenhaus Publikum schien sichtlich Gefallen daran zu finden. Das Stück lebt vom Wechsel einer zarten Poesie zu lauten, mitunter tumultartigen Szenen, in denen die Papierflugzeuge im Bühnenkosmos um die Wette fliegen. Ob Anna letzten Endes einen Brief zurückgeschrieben bekommt, bleibt ein Geheimnis. Vielleicht erfahren wir davon bei einem nächsten Gastspiel des belgischen Magie-Nouvelle-Ensembles. Man hat etwas in dieser leichtfüßigen Dramaturgie noch selten einmal hier im Land gesehen. Für das neue Freudenhaus-Team unter neuer Leitung hat die Saison optimal begonnen. Davon hätten wir gerne noch mehr. Beim Hinausgehen in die nicht mehr so stockfinstere Lustenauer Nacht sagte mir ein alter Bekannter „This evening is curing my summertime sadness.“ 

Das Stück „Battement de Peur“ entstand als großartige Ensembleleistung der belgischen Gruppe „Cie Alogique“:
Schauspiel, Magie: Laurent Piron / Regie: Hugo Van de Plas / Dramaturgie: Sylvia Delsupexhe / Magische Effekte: Laurent Piron & Le collectif 9 ¾ / Musik: Grégoire Gerstmans / Lichtdesign: Renaud Minet / Videodesign: Jos Claesen / Technik: Olivier Creppe & Lucas André
www.ciealogique.com

Weitere Termine im Freudenhaus, Lustenau: Freitag, 11.9. und Samstag, 12.9., jeweils 20:00 - geeignet für Besucher ab 10 Jahren
https://freudenhaus.or.at

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