Kendrick Scott: Corridors Peter Füssl · Apr 2023 · CD-Tipp

Nach zwei erfolgreichen Alben mit seinem Quintett Oracle betritt der aus Housten/Texas stammende Drummer und Komponist Kendrick Scott auf seiner dritten „Blue Note“-Produktion für ihn völliges Neuland, indem er auf Harmonieinstrumente verzichtet und sich voll auf die Arbeit mit seinem neuen Trio einlässt. Was rein zahlenmäßig eine Reduktion bedeuten mag, eröffnet gleichzeitig freie Räume, in denen der Bandleader seine vielschichtige, farbenreiche, permanent antreibende und impulsgebende Rhythmusarbeit voll entfalten kann.

Konzentriert man sich allein auf Scott, könnte man von einem vierzigminütigen einfallsreichen Dauersolo sprechen, aber der mit Art Blakey, Elvin Jones oder Tony Williams verglichene Drummer ist alles andere als eine egozentrische One-Man-Show. Vielmehr hat er permanent den Triolog mit dem exzellenten, von Charles Lloyd und Tomasz Stańko her bestens bekannten Kontrabassisten Reuben Rogers und seinem frühen texanischen Weggefährten, dem Tenorsaxofonisten Walter Smith III, im Visier. Es scheint, als hätte der auch kompositorisch einfallsreiche Scott ihnen die acht neuen, klug strukturierten, zwischen lebendigem Post-Bop („Your Destiny Awaits“, „Treshold“) und ungemein stimmungsvollen Balladen („One Door Closes, Another Opens“) changierenden Stücke auf den Leib geschrieben. Da fügt sich als einzige Fremdkomposition auch das Hard-Bop-artige „Isn’t This My Sound Around Me?“, das der Vibraphonist Bobby Hutcherson 1994 zu seinem Duo-Album mit McCoy Tyner („Manhattan Moods“) beigesteuert hatte, nahtlos ein und eröffnet den beiden Rhythmikern noch dazu eine ganz besondere Spielwiese. Kendrick Scott ließ sich für die Stücke von seinen Erfahrungen während der Corona-Lockdowns inspirieren, als die normalerweise der Bewegung von einem Ort zum anderen dienenden Korridore stillgelegt waren und die in mehreren Titeln vorkommenden Türen verschlossen blieben. Der ihm abverlangte Schritt aus der „Komfortzone“ resultiert aber nicht in Missmut, Verzweiflung oder gar Selbstmitleid, sondern in kämpferischer Lebensfreude, die sich ihren Weg zurückbahnt. Rogers erdendes und aufbauendes Bassspiel, Smiths warme und ausdrucksstarke Melodiefindungen und Scotts inspirierende und detailreichen rhythmischen Soundwelten drücken das perfekt aus und beackern dabei ziemlich punktgenau ein Terrain, das dem Mainstream-Publikum nicht zu experimentell und den fortschrittlicheren Musikfreunden nicht zu konservativ ist.

(Blue Note/Universal)

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