Kammermusik am Tag der Arbeit
Zwei Streichquartette, zwei Pianisten und ein Kontrabass begeisterten das Publikum bei der Schubertiade Hohenems
Michael Löbl · Mai 2023 · Musik

Ein verregneter 1. Mai – ideales Wetter für vier Stunden Kammermusik auf höchstem Niveau im Markus-Sittikus-Saal, Hohenems. Man kann nicht oft genug auf dieses „höchste Niveau" hinweisen, denn die Schubertiade ist der einzige Veranstalter im Land, der die Champions League zweier spezieller Musiksparten nach Vorarlberg bringt: Liedgesang und Kammermusik. Jede Kritik ist daher Meckern auf sehr hohem Niveau oder eigentlich mehr ein Vergleichen von verschiedenen musikalischen Konzepten und Herangehensweisen. Und ganz viel betrifft natürlich den persönlichen Geschmack jedes einzelnen Zuhörers.

Wenn man innerhalb von drei Tagen vier verschiedene Streichquartette hört, drängen sich Vergleiche fast zwangsläufig auf. Und von den sechzehn Musiker:innen bleiben einige stärker in Erinnerung als andere. Was natürlich auch mit den verschiedenen Aufgaben der jeweiligen Stimmen zu tun hat. Beim Quatuor Modigliani sind es der erste Geiger und der Bratschist, die musikalisch unmittelbar begeistern. Letzterer hat im langsamen Satz des Klavierquartetts op. 81 von Antonin Dvořák einige ausgiebige Soli, Laurent Marfaing vom Quatuor Modigliani gestaltete sie musikalisch und klanglich traumhaft schön. Als erster Geiger eines Quartetts steht man schon aufgrund seiner Position immer im Fokus. Und hier geht der Lorbeerkranz an Amaury Coeytaux, den ersten Geiger der Modiglianis. Er verfügt über einen großen, herrlich strahlenden aber doch runden Geigenton, den er auch gerne präsentiert, immer mit ausdrucksvollem Vibrato versehen, und das auch bei Haydn. Seine Stradivari singt und wird von ihrem Spieler auch nie – zum Beispiel durch historisch-informierte Einschränkungen – daran gehindert, ihre Stimme zu erheben. Es ist einfach ein Vergnügen, diesen Geiger dabei zu beobachten, wie er die schwierigsten und heikelsten Passagen quasi aus dem Ärmel schüttelt und sich dabei am Klang seines Instrumentes erfreut.

„Mehr Ideen als wir alle“

Das Quatuor Modigliani begann seine schubertfreie Matinee mit Hugo Wolfs „Italienischer Serenade“. Dieses achtminütige Stück ist eines der genialsten der Streichquartettliteratur, in der Klangsprache mit keinem anderen Komponisten zu vergleichen, witzig, brillant instrumentiert, voller Ideen, mit originellen Harmonien und Rhythmen. Leider hat Hugo Wolf zwar viele Lieder aber nur wenige Instrumentalwerke hinterlassen, es wäre interessant zu wissen, wie das von ihm konzipierte aber nie verwirklichte mehrsätzige Werk, für welches die „Italienische Serenade“ bestimmt war, geklungen hätte. Ihm folgte das Streichquartett op. 54/1 von Joseph Haydn, herrlich unbekümmert gespielt, frisch, musikalisch direkt und vor allem für die erste Violine hochvirtuos. Nach der Pause dann das Klavierquintett in A-Dur von Antonin Dvořák. Ein großes, in seinen Dimensionen durchaus symphonisches Werk mit herrlichen Themen, vier sehr unterschiedlichen Sätzen und zahlreichen solistischen Passagen für alle Beteiligten. „Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben“, hat Johannes Brahms über Dvořák gesagt und im A-Dur Klavierquintett wird dieses Zitat immer wieder bestätigt. So wird zum Beispiel im langsamen Satz ein ganz kurzes, rasend schnelles Intermezzo eingeschoben, dessen Motive dann aber nie wieder auftauchen. Jeder andere Komponist hätte daraus ein ganzes Scherzo gemacht. Doch dafür hat Dvorak ein noch besseres Thema gefunden. Hört man die Bratschensoli in diesem langsamen Satz, fragt man sich, warum Dvořák, der ja selber Bratschist gewesen ist, eigentlich kein Solokonzert für die Viola geschrieben hat? Man stelle sich das vor, ein Bratschenkonzert in den Dimensionen des Dvořák -Cellokonzertes – d alle Bratschisten dieser Welt wären dem Komponisten dankbar gewesen. Oder vielleicht auch nicht? In diesem Stück ergänzte der französische Pianist Adam Laloum das Quartett. Ihm und dem Quatuor Modigliani gelang eine makellose und musikalisch sehr inspirierte Wiedergabe dieses faszinierenden Werkes, einem der ganz großen Quintette des Kammermusikrepertoires.

Die „Forelle" als Finale

Etwas mehr als drei Stunden später wieder ein Quintett, diesmal mit Kontrabass statt zweiter Violine. Der kroatische Pianist Dejan Lazić, Alois Posch am Kontrabass und das Apollon Musagète Quartett haben sich zusammengefunden, um mit Schuberts „Forellenquintett" den ersten Schubertiade-Zyklus zu beschließen. Sie taten das mit einer frischen, jugendlichen Interpretation, sehr gut ausbalanciert und mit viel Schwung musiziert, ein würdiger Abschluss eines fünftägigen Kammermusikfestes im Markus-Sittikus-Saal. 2019 haben die vier polnischen Musiker des Apollon Musagète Quartetts einen Zyklus aller Streichquartette Schuberts bei der Schubertiade begonnen, der vor der Pause dieses Konzertes mit zwei Jugendwerken (Quartette D 94 und D 112) abgeschlossen wurde. Unglaublich, was dem 14- bzw. 17-jährigen Schubert bereits alles eingefallen ist und wie er sich bereits früh von den Vorbildern Haydn und Mozart lösen konnte. Am dramaturgischen Aufbau fehlte es allerdings naturgemäß noch, und so sind acht Sätze des Teenagers Schubert am Stück dann doch etwas ermüdend.

www.schubertiade.at

 

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