John Scofield: „Uncle John’s Band“ Peter Füssl · Okt 2023 · CD-Tipp

Letztes Jahr hatte der rührige John Scofield zu seinem 70-er überraschenderweise nach knapp 50 Alben unter seinem Namen und unzähligen Kollaborationen sein erstes Solo-Album überhaupt herausgebracht, nun setzt er aber wieder auf das Trio-Format, das ihm besonders zu liegen scheint und mit dem er gerne auch auf Tour geht.

Bill Stewart rührt schon seit mehr als dreißig Jahren für ihn die Trommeln, man tickt in denselben Grooves, schwelgt in denselben Melodien und kennt sich bis ins kleinste Detail. Stewart legt zwar die rhythmischen Fundamente, beschränkt sich aber keineswegs auf die Begleitfunktion, sondern demonstriert die hohe Kunst klassischen Time-Keepings im permanenten Dauer-Solo-Modus, gibt Impulse und setzt Akzente. Vincente Archer, der schon seit mehreren Jahren zunehmend Bassist Steve Swallow als Dritten im Bunde (zuletzt 2020 auf dem Album „Swallow Tales“) ersetzt, hat sich längst hervorragend in diese Dreier-Konstellation eingespielt und erhält ebenfalls viel Raum für seine gleichermaßen subtilen wie ausdrucksstarken Soli. Die beiden schaffen das ideale musikalische Biotop für John Scofields beseelte Gitarrenläufe, der das Bad in lässig swingenden Grooves liebt, die er durch kleine Energieschübe und reizvolle Experimente aufzufrischen versteht – bis hin zu freien Improvisationen, die aber perfekt in die konventionelleren Parts eingebettet sind. Auf dem Doppelalbum finden sich sieben Stücke aus Scofields Feder, die sein Händchen für schöne Melodien und lockere Atmosphären einmal mehr unter Beweis stellen. Jazz, Rock, Blues, Funk, Folk – Scofield schöpft aus vielen Quellen und veredelt die süffige Melange mit seinem ganz besonderen Aroma. Diese Vielfalt spiegelt sich speziell auch in der Auswahl der Fremdkompositionen wider – wahre Eye-Catcher, wenn man die Titelliste des Albums zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, die sich beim ersten Anhören dann umgehend in absolute „Ear-Catcher“ verwandeln. Da wäre gleich der Opener zu nennen, eine neunminütige Version von Bob Dylans „Mr. Tambourine Man“, der es Scofield – laut seinem Kommentar im Booklet – im Teenager-Alter vor allem in der Byrds-Version angetan hatte. Allein der kurze Moment, in dem die indisch anmutende Einleitung lässig in die wohlbekannte Mitsing-Melodie übergeht, wäre schon den Kauf des Albums wert, da hat man sich von den freien Improvisationen dazu noch gar nicht verblüffen lassen. Nicht weniger eindrucksvoll Neil Youngs „Old Man“ – gefühlvoll umspielt und kraftvoll rockend. Oder der Titelsong „Uncle John’s Band“ von Jerry Garcia/Robert Hunter, der ersten Grateful Dead-Hit, den Scofield vom Dead-Bassisten Phil Lesh gelernt hat, in dessen Bands er in den letzten 20 Jahren immer wieder mitspielte. Bewegt man sich hier im Ende 60-er/Anfang 70-er-Jahre-Bereich, geht Scofield bei den Jazz-„Covers“ sogar in die 1950-er Jahre zurück und bedient sich mit „Budo“ und „Ray’s Idea“ zweier Songs, die sein späterer Arbeitgeber Miles Davis bekannt gemacht hat – beide atmen Bebop und Cool und den Übergang dazwischen. Und die ganz große Kunst der Ballade zelebriert das erstklassige Trio mit zwei unsterblichen Klassikern – Leonard Bernsteins „Somewhere“ (aus der „West Side Story“) und „Stairway To The Stars“, das seit 1939 von Glenn Miller über Ella Fitzgerald und Benny Goodman bis Sarah Vaughan und Stan Kenton unzählige Stars im Programm hatten – auch Dexter Gordon, auf dessen Interpretation sich Scofield beruft. Ein durch und durch exzellentes Album, das beim ersten Durchlauf schon eingängig klingt und bei jedem Durchlauf neue Feinheiten preisgibt.

(ECM)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR November 2023 erschienen.

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