Jazzorchester Vorarlberg begeisterte mit Hausgemachtem
„Sonus Variegata“ von Martin Eberle und Benny Omerzell am Spielboden uraufgeführt
Peter Füssl · Dez 2023 · Musik

Das seit 18 Jahren bestehende Jazzorchester Vorarlberg setzte in den vergangenen Jahren oftmals auf die Zusammenarbeit mit Vokalistinnen und Vokalisten unterschiedlichster Prägung – von 5/8erl in Ehr’n, über Renee Benson, Aja und Fatima Spar, bis zu Orges & The Ockus-Rockus-Band. Für die traditionellerweise am Dornbirner Spielboden und im Porgy & Bess in Wien rund um den Jahreswechsel über die Bühne gehende Winterproduktion konzentrierte man sich heuer erstmals völlig auf Hausgemachtes und beauftragte die Bandmitglieder Martin Eberle und Benny Omerzell mit den Kompositionen für ein rein instrumentales Konzertprogramm. Um es gleich vorwegzunehmen: Nach einer guten Stunde bedankte sich das Publikum am fast ausverkauften Spielboden mit tobendem Applaus. Völlig zurecht.

Zwei Freunde schneidern Maßgerechtes

Der Pianist/Keyboarder Benny Omerzell und der Trompeter und künstlerische Leiter Martin Eberle zählen – wie auch einige andere Akteure dieses Abends – zum Urgestein des Jazzorchester Vorarlberg und schrieben somit nicht ein abstraktes Programm für irgendwelche Interessenten, sondern hatten bereits beim Komponieren die besonderen Stärken und Vorzüge aller Beteiligten im Hinterkopf. Dabei präsentierte sich das Orchester mit elf über die Jahre hinweg bestens bekannt gewordenen Protagonist:innen in seiner wohl schlankesten Version: Neben Martin Eberle komplettierten Christoph Ellensohn am French-Horn, Phil Yaeger an der Posaune und Thomas Halfer an Tuba und Bassposaune die exzellente Blech-Section. Ihnen gegenüber stand die ebenfalls prominent besetzte Reed-Section mit Martin Franz an Sopransax und Querflöte, Isabella Lingg an Tenorsax und Klarinette und Klaus Peter an Klarinette und Bassklarinette. Zwischen den beiden Bläsersätzen waren Peter Rom an der Gitarre, Benny Omerzell am Keyboard und die hervorragend harmonierende Rhythm-Section mit Tobias Vedovelli am E-Bass und Christian Eberle an den Drums positioniert.
Eberle und Omerzell sind seit Jahren bestens in der Wiener Musikszene etabliert, spielen gemeinsam auch in international erfolgreichen Projekten wie 5K HD, Kompost 3 oder Soap&Skin und sind auch jenseits der Musik eng befreundet. „Nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit verstehen wir uns beim gemeinsamen Musizieren blind und können uns dadurch ohne Weiteres, auch ohne viel zu besprechen, auf eine Bühne stellen und ein tolles Konzert spielen. Das ist etwas wahnsinnig Besonderes, und ich schätze es sehr“, schwärmte Benny Omerzell schon im Vorfeld in der Zeitschrift KULTUR. Diese Vertrautheit spiegelt sich auch im Kompositionsprozess wider. Jeder habe Skizzen, Melodien, Grooves etc. gesammelt und mit dem Partner besprochen, erzählt Eberle; und Omerzell präzisiert: „Schlussendlich haben wir in erster Linie jeweils an den eigenen Kompositionen gearbeitet, dies aber in stetigem Austausch miteinander, um sicher zu gehen, dass die musikalische Summe der Teile ein stimmiges Ganzes ergibt und dass die grundlegende Ästhetik des Programms aus einem Guss ist. Unsere Ansätze und Techniken der Kompositionsarbeit unterscheiden sich, es eint uns aber ein gemeinsamer musikalischer Geschmack und dadurch ergänzen wir uns gut.“
Die acht Stücke des Abends wurde praktisch ohne Unterbruch und ohne erläuternde Kommentare als eine Art Orchester-Suite präsentiert – das Publikum erfuhr weder, dass die einzelnen Kompositionen Titel wie „Constant Struggle“, „Radix Ratio“, „Myzel“, „Tauwerk“ oder „The Unconsoled“ trugen, noch wer was komponiert hatte, oder dass der Zyklus mit einer Suite namens „Tricolor Variegata“ abgeschlossen wurde. Das Gesamtwerk sollte wohl ohne großes Hintergrundwissen auf rein musikalische Art und Weise für sich sprechen – und das tat es.

„Sonus Variegata“

Der Titel „Sonus Variegata“ bezieht sich auf das Phänomen der Variegation in der Botanik, also auf das zumeist zufällige und oft durch Chlorophyll-Mangel bedingte Auftreten verschiedenfarbiger Zonen auf den Blättern von Grünpflanzen. In der Tat glänzt auch das neue Programm des Jazzorchester Vorarlberg auf vielfältige Weise durch Buntheit. Einmal durch seine stilistische Offenheit, denn hier treffen Jazz-Elemente auf Post-Rock-Mäßiges, kammermusikalisch Anmutendes auf Funk, Minimalistisches auf Noise-Einsprengsel und durchkomponierte Passagen auf freie Improvisationen. Die elfköpfige Band überrascht aber auch mit einem großen Klangfarbenreichtum, die ausgefallene Kombination Querflöte-Klarinette-Bassklarinette etwa hört man auch nicht alle Tage. Die vier Blechbläser waren klanglich wunderbar aufeinander abgestimmt, überzeugten aber auch als hervorragende Solisten. So verblüfft Martin Eberles technisch perfektes, aber gleichwohl enorm ausdrucksstarkes Spiel auf der Trompete immer wieder aufs Neue und bewegt sich längst auf allerhöchstem Niveau. Aber auch Christoph Ellensohn, Martin Franz, Isabella Lingg oder Peter Rom steuerten solistische Glanzlichter bei. Benny Omerzell sorgte – die vielfältigen Klangmöglichkeiten auf seinem Nord electro 5D-Keyboard geschickt ausreizend – für den die einzelnen Stücke verbindenden roten Faden und überraschte immer wieder mit unkonventionellen Einwürfen. Das Spiel mit reizvollen Kontrasten erwies sich als ausgesprochen effektiv, wenn etwa die Bläser auf wundervoll getragene Weise schöne Klanglandschaften entstehen ließen, während gleichzeitig der gleichermaßen sensibel wie zupackend agierende Christian Eberle an den Drums und Tobias Vedovelli am E-Bass das musikalische Geschehen kraftvoll groovend vorantrieben. Besonders eindrucksvoll geriet auch eine Passage, in der die tiefen Blechbläser gemeinsam mit den Rhythmikern tonnenschwere Grooves entstehen ließen, die in auffallendem Gegensatz zu den sowohl ruhigen, in einer Art Wellenbewegungen dahinfließenden Sounds, aber auch zu den elektrisierend vibrierenden Abschnitten standen. Feinziseliertes und Handfestes harmonieren – geschickt arrangiert – aufs Beste. Die Kompositionen sind zwar mit unzähligen musikalischen Raffinessen gespickt, gehen aber leicht ins Ohr – und sie sind zwar den JOV-Akteur:innen auf den Leib geschrieben, verfügen aber über genügend musikalische Substanz und bewegen sich auf einem Niveau, um durchaus auch für andere Ensembles von Interesse sein zu können. Das Jazzorchester Vorarlberg hat mit „Sonus Variegata“ jedenfalls ein weiteres, abwechslungsreiches und höchst vergnügliches Kapitel in seiner eindrucksvollen Bandgeschichte aufgeschlagen.

Jazzorchester Vorarlberg: „Sonus Variegata“
Porgy & Bess, Wien
Mi, 3.1.2024, 20.30 Uhr
www.porgy.at

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