„in einem zimmer sitzen das es nicht gibt“
Zur Vergabe des 21. Feldkircher Lyrikpreises
Katharina Klein · Nov 2023 · Literatur

Um die Lyrik zu feiern, bräuchte es eigentlich keinen Anlass. Die Vergabe des 21. Feldkircher Lyrikpreises ist trotzdem einer. Auf OpenAI, Reizkommunikation und Aufmerksamkeitsdefizit antwortet die Poesie so zeitgenössisch wie allgegenwärtig. Sie steckt in keiner Nische, auch wenn das immer alle behaupten, sondern vielmehr wie Stickstoff in allem Lebenden drin. Das letzte Novemberwochenende am Theater am Saumarkt beweist, auch rund um die Preisvergabe, mit dem Fest der Lyrik, dass man ebendiese nicht „einzimmern“ kann, sondern Gedichte Räume aufmachen wie Friedrich Kieslers (nie gebautes) „endless house“ Möglichkeiten.

Dichten im Dialog

Als Erika Kronabitter das Festival 2003 gründete, war der zündende Moment dafür eine post-Lesungsbegegnung. Inzwischen ist der Feldkircher Lyrikpreis zu einer international anerkannten Auszeichnung avanciert, die aber die Begegnung als Initial nicht verloren hat. Seit 2013 antwortet jeder Wettbewerbstext in einer Form auf eine Verszeile des im Vorjahr Prämierten. An diesem Gängelband wächst so ganz nebensächlich ein intertextuelles Gedicht, das mit „satt liegt deine hand in der wölbung meines rückens“ von Elisabeth Steinkellner beginnt und bei „in einem zimmer sitzen das es nicht gibt“ von Ann Kathrin Ast die Bedeutungspause macht, ehe es vom diesjährigen Preisträger:innentext angedichtet wird. Die ominösen Zahlenkombinationen 73161 und 36517 sind Anwärter:innen für die Fortsetzung; wer sich hinter ihnen verbirgt, wird bei der Gala am 25. November im Theater am Saumarkt bekanntgegeben. Die Jury – bestehend aus Marie Rose Cerha, Vorstandsmitglied von literatur:vorarlberg, Ferdinand Schmatz, Schriftsteller, Sophie Reyer, Lyrikerin, und Vorjahrespreisträgerin und Versgeberin Ann Kathrin Ast – hat bereits auch für den Publikumspreis nominiert, für den sowohl vor Ort als auch eine Woche vor Festivalbeginn online abgestimmt werden kann. Dass der Feldkircher Lyrikpreis im Laufe der Jahre nicht nur bekannte Namen wie Tristan Marquardt, Martin Piekar oder Sandra Hubinger echote, sondern immer wieder auch noch Ungehörte, spricht für sich und gegen den Uhrzeigersinn eines homogenen Literaturbetriebs.

Dichte, dichterische Umlaufbahn

Den Auftakt zum Rahmenprogramm macht Radio rosa: als Soundperformance zwischen konkreter Poesie, Interview und literarischer Expedition oszillierend, performen Markus Köhle, Erika Kronabitter, Lydia Steinbacher und Josef Wagner die 16. Edition des von Patricia Brooks konzipierten Textmix Labs. Ähnlich hybrid geht es inhaltlich mit „Das Chlebnikov Projekt“ weiter – die Filmvorführung zum Futurismus-Vorreiter und Wiener-Gruppe-Inspirator Welimir Chlebnikov umkreist in Anwesenheit von Filmemachern Chris Haderer und Alfred Woschitz das Who is Who der experimentellen Poesie. Von imaginären Spaziergängen zu literarischen Streifzügen mit Philipp Schöbi durch Feldkirch oder der Präsentation von Absolutely, dem Jugendwettbewerb in diesjähriger Auseinandersetzung mit ChatGPT, kreuzen sich hier intermedial alle Formen von Erzählung und bündeln sich am Abend zur Gala-Lesung, moderiert von Gerhard Ruiss. Die Matinee am Sonntag mit der Lesung der FLINTA-Lyrik Anthologie „habe bewurzelte Stecklinge“, herausgegeben von Raoul Eisele und Lea Menges, verschiebt die Ränder wieder in die Mitte. Fluxus, Prozess und Performance: dieses Jahr stemmt sich gegen das Normative, hier hört man, was sich räuspert, flitzt, codet, was die Sprache in den Spalten macht, und dass die Spalten nicht das sind, wo was reinfällt und wenn überhaupt was, dann Licht – aber wie sie Platz schaffen, Zimmer, die es sonst nicht gibt. Wenn all das eines eint, dann vielleicht, wie Ferdinand Schmatz in einem Interview mit dem Literaturmagazin JENNY Hans-Jost Frey zitierte: „Dichterisches Sprechen ist nicht ein beliebiges Reden über einen bestimmten Gegenstand, sondern dichterisches Sprechen ist ein bestimmtes Reden über einen beliebigen Gegenstand.“

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR November 2023 erschienen. Kurz vor Drucklegung wurden – entgegen der Tradition – die Namen der Preisträgerinnen vorab veröffentlicht: Den ersten Preis erhält Sabine Göttel (73161), der zweite ergeht an Slata Roschal (36517).

feldkircher lyrikpreis festival 2023
24. – 26.11.23
Theater am Saumarkt, Feldkirch
www.saumarkt.at

Erika Kronbitter (Hg.): 21. Feldkircher Lyrikpreis. „in einem zimmer sitzen das es nicht gibt“, edition v, Bregenz 2023, Hardcover, 120 Seiten, ISBN 978 3 903240 53 7, € 25

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